Wie Donald Trump den Handel gefährdet

16

Was Amerikas Präsident Donald Trump in den vergangenen Tagen verursacht hat, war für die Weltwirtschaft eine der schwersten Erschütterungen der vergangenen 100 Jahre. Zwar entschärfte er seine am „Liberation Day“ verkündeten Zölle leicht, weil ihm die Anleihemärkte signalisiert hatten, dass neben einer Rezession auch eine Finanzkrise drohte. Trotzdem beließ er die Zölle auf einem Niveau, das die berüchtigten Smoot-Hawley-Zölle von 1930 wie eine zarte Intervention wirken lässt. Mehr als 25 Prozent beträgt die durchschnittliche effektive Quote, rechnet das Staatshaushaltsinstitut der Universität Yale vor.

Globale Handelsbeziehungen, die die USA in der Nachkriegszeit gehegt und gepflegt haben und die nach einmütiger Einschätzung der Ökonomen den größten Wohlstandsschub der Neuzeit produzierten, wurden ohne großes Federlesen gekappt. Immer wieder werden Trumps Aktionen in diesen Tagen mit der Großen Depression der Dreißigerjahre verglichen. Ifo-Chef Clemens Fuest warnt, so weit dürfe es nicht kommen, und der britisch-amerikanische Historiker Harold James arbeitet die Unterschiede heraus. Sicher ist: Die Lage ist ernst. Auf eines allerdings kann sich Trump berufen: Er hatte immer gesagt, dass er genau das tun würde.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Über Amerika kursieren aktuell zwei große Erzählungen. Die eine ist die eines hoch dynamischen Landes, das die Globalisierung beherrscht dank Energie, Unternehmergeist und positiver Einstellung zum technischen Fortschritt und das in einem Tempo voranschreitet, bei dem andere einst stolze Industrienationen längst nicht mehr mithalten können. Unschlagbare Produktivität, Innovationskraft und Technologieunternehmen, um die der Rest der Welt die USA beneidet, sind die Früchte dieses Prozesses. Mississippi, Amerikas Armenhaus, hat inzwischen ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als Deutschland.

Handel ist grundsätzlich nützlich

Die alternative Erzählung ist die von den USA als Opfer der Globalisierung. Donald Trump verwendet sie erfolgreich, wie seine Wahlsiege zeigen. Es ist die Geschichte von einem ausgehöhlten Land, von niedergehenden Städten und vom Abzug Zehntausender Fabriken. Es ist eine Geschichte des Verlustes von Einkommen, Arbeitsplätzen, sinnstiftender Beschäftigung, von sozialen Bindungen und sogar Chancen auf dem Heiratsmarkt. Am Ende stehen Verzweiflung, Drogensucht und Selbstmord, wie der Ökonom Angus Deaton beschreibt.

Wirtschaftswissenschaftler gehen seit der Theorie der komparativen Vorteile von 1817 davon aus, dass Handel grundsätzlich nützlich ist. Jedes einzelne Land mehrt seinen Wohlstand demzufolge am besten, wenn jeder auf der Welt das tut, womit er sich auskennt: Die einen bauen die Autos, die anderen die Chips, die dritten schreiben tolle Computerprogramme für diese Chips. Haben die Wissenschaftler vielleicht etwas übersehen? Ja, würde der Ökonom David Autor sagen. Er wurde mit seinen Arbeiten zum China-Schock berühmt. Er konnte zeigen, dass wegen des Auftretens Chinas am Weltmarkt und der Akzeptanz als Handelspartner von 1999 bis 2013 rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze in den USA verloren gingen, die Hälfte in alten Industrieclustern wie South Carolina mit seiner Textilindustrie oder Tennessee mit seinen Möbelfabriken. Untersuchungen zeigen, dass viele Arbeiter dieser aufgegebenen Fabriken nie wieder richtig Anschluss fanden im Arbeitsmarkt und sich häufig in die Arbeitsunfähigkeitsversicherung hineinretteten, um wenigstens noch ein Einkommen zu haben. Viele radikalisierten sich politisch.

Die Vorstellung, dass Globalisierung unterm Strich positiv ist, wird durch diese Erkenntnis noch nicht einmal infrage gestellt. Denn die durchaus utilitaristische Vorstellung lautet, dass ein Projekt dann nutzt, wenn der Nutzen der Gewinner den Schaden der Verlierer überwiegt. In Amerika mit dem Selbstverständnis großer Mobilität war es leichter, die Verlierer zu ignorieren: Sie sollten Kentucky oder Tennessee hinter sich lassen und in dynamischeren Regionen ihr Glück versuchen. Nur, das klappte nicht mehr so gut wie in den Sechziger- oder Siebzigerjahren, als Wohnraum in den blühenden Großräumen von New York, Boston oder San Francisco noch erschwinglich war.

Die Zweifel an der Globalisierung sind alt

Es brauchte nicht Donald Trump, um Misstrauen gegen die Globalisierung zu nähren. In vielen westlichen Ländern ist es seit Jahren ein beliebtes Thema, auch wenn die auffälligeren Kritiker in den vergangenen Jahrzehnten eher von links kamen. „Globalisierung geht ganz anders – Mensch und Natur vor Profit“, so heißt es bis heute auf der Homepage des Netzwerks Attac. Vor zehn Jahren leisteten in Deutschland die Grünen heftigsten Widerstand gegen ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten.

Unter Donald Trump scheint sich der weltweite Handel dramatisch zu verändern.
Unter Donald Trump scheint sich der weltweite Handel dramatisch zu verändern.AP

Der Ökonom Dani Rodrik stellte schon vor 20 Jahren fest, dass eine integrierte Weltwirtschaft nicht mit nationaler Souveränität und Demokratie vereinbar sei: Man könne immer nur zwei davon haben, aber nie alle drei. Und noch im Jahr 2020 hieß eines der einflussreicheren Bücher über internationale Handelspolitik „Handelskriege sind Klassenkriege“: Die Autoren argumentierten, dass in der Globalisierung oft die Interessen der Reichen über die der Armen gestellt würden. Vor allem in den USA, wo die Gewerkschaften zu schwach waren, um für die Weiterbildung der Arbeiter zu streiten, hat die Globalisierung tatsächlich Stellen gekostet. So hat sich ein Misstrauen gegen internationalen Handel gebildet, auf dessen Grundlage mancher republikanische Vordenker Zölle für eine Wählerstimmen versprechende Forderung hielt und Trump sich mit seinen Zoll-Ideen tatsächlich wählen lassen konnte.

Und so schwindet die Globalisierung, zumindest die wirtschaftliche. Die Statistiken weisen schon seit Jahren aus, wie der Welthandel gebremst wurde. Das begann nicht erst mit Donald Trump. Schon seit der Finanzkrise 2008 wächst der Anteil des internationalen Handels mit Gütern an der Wirtschaftsleistung nicht mehr weiter, nur Dienstleistungen werden noch stärker weltweit ausgetauscht.

Der Stärkste muss sich kümmern

Inzwischen sieht man in den Handelsstatistiken auch die neue Blockbildung, sagt der Handelsexperte Gabriel Felbermayr, Chef des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Und das kostet Wohlstand. Wenn man seine Waren nicht mehr beim besten Lieferanten einkauft, sondern nur noch beim besten Lieferanten, mit dem man befreundet ist, dann ist die Ware oft teurer oder nicht so gut.

Die neuen Entwicklungen bedrohen die Globalisierung noch weiter. Im Moment probieren viele Länder außerhalb der Vereinigten Staaten, den Handel untereinander noch freier zu machen, zum Ausgleich. Wie weit das geht, ist fraglich. Die Europäische Union konnte ihr Freihandelsabkommen mit Südamerika nicht zuletzt deshalb schließen, weil Frankreichs Regierung zu jener Zeit mit innenpolitischen Problemen beschäftigt war – bis heute versucht Frankreich Widerstand zu organisieren. In den nächsten Monaten dürfte es noch schwieriger werden. Denn dann suchen all die Produkte, die nicht mehr in die USA geliefert werden, neue Abnehmer.

Wichtiger noch: Globalisierung beruht nach einer These des Wirtschaftshistorikers Charles Kindleberger auch darauf, dass der Stärkste sich um ein paar Dinge kümmert, damit der Handel rundläuft. Der Historiker Robert McCauley weist dieser Tage oft darauf hin, dass die USA da sehr zurückhaltend werden. Es beginnt mit internationaler Sicherheit. Schon für die will Trump nicht mehr allein zahlen. An zweiter Stelle steht eine Leitwährung. Bisher galt das als Vorteil für die Amerikaner. Trump sieht das jedoch anders. Er argumentiert: Weil die anderen Länder auf der Welt so viele Dollars halten, werde der Dollar stärker, als es gerechtfertigt sei – und wieder würden amerikanische Güter teurer als nötig, sein Land könne weniger exportieren. Dass die USA auf der anderen Seite viele Dienstleistungen exportieren, zum Beispiel Finanzdienste und Internetangebote, das ignoriert Trump.

Auch die USA profitieren von der Globalisierung

Wäre es also besser, die Globalisierung zu verabschieden? Das würde auch David Autor verneinen und sieht sich durch eigene Untersuchungen bestätigt. Trumps Handelskrieg mit China in seiner ersten Amtszeit hatte nicht nur keine neuen Arbeitsplätze in den geschützten Indus­trien gebracht, sondern auch Landwirten schwer geschadet. Sie wurden mit Subventionen kompensiert. Politisch allerdings war der Handelskrieg ein Gewinn. Er stärkte Trumps Republikaner.

Auch die USA haben einen Nutzen von der Globalisierung, er ist nur schwer wahrzunehmen. Viele Güter sind günstiger geblieben, als sie es ohne Globalisierung gewesen wären. Ob das allerdings gut ist, ist umstritten. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, niedrige Preise könne es nur geben, wenn Menschen oder der Planet ausgebeutet würden. Doch auch die armen Länder hatten großen Nutzen, denn die Globalisierung holte Milliarden von Menschen aus bitterer Armut.

David Autor, Dani Rodrik und andere Ökonomen plädieren eher dafür, die Arbeiter durch Bildungs- und Umschulungsprogramme abzusichern. Daran hapere es in Amerika. Allerdings würde damit nicht unbedingt die Zustimmung zur Globalisierung steigen. In Europa, wo solche Programme üblicher sind, ist die Antiglobalisierungsstimmung ebenfalls ausgeprägt. Vielleicht besteht die wahre Kunst darin, den Wandel der Arbeitswelt, ob durch Handel oder Technologie, erschütterungsfrei zu gestalten, dass Arbeiter ihn besser ertragen können.

Und wie wird es Deutschland gehen? Handelsexperte Felbermayr sieht nicht ganz schwarz. „Die Unsicherheit bleibt in den nächsten Jahren groß“, sagt er. „Unternehmen in Deutschland können nach wie vor mit offenen Märkten Geld verdienen, aber es wird riskanter.“