Wie Psychopharmaka Lachse beeinflussen können

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Menschen nutzen immer mehr Medikamente – und so gelangen die Wirkstoffe zunehmend in die Umwelt. Das liegt daran, dass der Körper sie nur zum Teil verwertet und einiges zudem falsch entsorgt wird. Im Jahr 2022 hatten Untersuchungen an weltweit gut tausend Oberflächengewässern in 103 Ländern Arzneistoffe detektiert, mitunter in bedenklichen Konzentrationen. Das wird auch zu einem Problem für Fische: Wie ein internationales Forscherteam nun im Fachmagazin „Science“ berichtet, können Arzneistoffe das Verhalten wilder Lachse deutlich verändern.

Für die Studie untersuchten die Forscher die Auswirkungen zweier Arzneistoffe, die gegen Angststörungen und Schmerzen eingesetzt werden. Die Wissenschaftler implantierten in den Jahren 2020 und 2021 rund 280 Jungtieren ein Gerät zur Freigabe der Stoffe: Jeweils ein Viertel der Fische erhielt den Angstlöser Clobazam, das Opioid-Schmerzmittel Tramadol, eine Mischung von beiden oder zur Kontrolle keinen Wirkstoff. Die Arzneimitteldosen sollten dabei jenen ähneln, denen die Fische nach den Ergebnissen früherer Studien tatsächlich ausgesetzt sind.

Sonnenaufgang über dem schwedischen Fluss Dal
Sonnenaufgang über dem schwedischen Fluss Dalpicture-alliance / Chad Ehlers

Das Team setzte die Tiere im recht unbelasteten Fluss Dal im Osten Schwedens aus und erfasste, wie weit ihre Wanderung zur Ostsee erfolgreich war und ob sie Hindernisse wie Staudämme umgehen konnten. Dem Angstlöser Clobazam ausgesetzte Fische erreichten die Ostsee laut der Studie häufiger als Kontrolltiere, auch passierten sie die Dämme schneller. 256 weitere Tiere wurden im Labor untersucht, um etwa zu bestimmen, ob das Implantat korrekt funktioniert – und dass die Aufnahme des Wassers des Dals nicht zu relevanten Konzentrationen der Stoffe führt.

Wie weitere Laborexperimente ergaben, veränderten die Clobazam ausgesetzten Fische ihr Sozialverhalten und ihre Risikobereitschaft: Schwamm ein Hecht in ihrer Nähe, schwammen sie weniger eng beieinander als Kontrolltiere.

Jede Veränderung des Migrationsverhaltens könne Auswirkungen auf die Lebensfähigkeit kontaminierter Populationen haben, warnt das Team. „Zieht man realistische Szenarien in Betracht, bei denen ganze Ökosysteme mit mehreren Arten vielen freigesetzten Stoffen ausgesetzt sind, werden die möglichen Folgen noch komplexer“, sagt Studienautor Marcus Michelangeli von der australischen Griffith University.

Klar ist: Das Problem sollte nicht darüber gelöst werden, dass Patienten wichtige Wirkstoffe einfach absetzen. Neue Methoden der Abwasseraufbereitungen könnten Arzneistoffe immer besser entfernen, sagt der Umweltwissenschaftler Michelangeli – doch werden die bislang kaum eingesetzt. Er fordert, dass Medikamente von Anfang an so entwickelt werden, dass sie schnell abgebaut werden können.