Die Müll-Krise in Birmingham spitzt sich zu

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Es stinkt bestialisch, klagen Bürger von Birmingham. Zwischen den Müllsäcken auf den Straßen krabbeln Ratten und anderes Ungeziefer. Nach fünf Wochen Streik liegen gut 21.000 Tonnen in Abfallsäcken in den Straßen. An fast jeder Ecke türmen sich Müllberge der mittelenglischen Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern. Besonders die daraus entstandene Rattenplage erschreckt die Bürger.

Reihenweise beißen die dicken Nager inzwischen Autokabel durch, berichtete der Besitzer einer Reparaturwerkstatt dem „Guardian“. Suhail Sadiq ist wütend. „Der ganze Stadtrat sollte gefeuert werden. Wir sind in keinem Drittweltland. Wir sind in England“, schimpft der Autowerkstattleiter.

Ob Birmingham derzeit zur Ersten Welt gehört, bezweifeln viele. Die Müllkrise hat sich immer weiter verschärft. Seit dem 11. März streiken etwa 350 Müllleute. Die Gewerkschaft Unite hat zum Arbeitskampf gegen eine Restrukturierung mit neuen Lohntarifen aufgerufen, die für einige der Müllwerker deut­liche Lohneinbußen bedeuten würde.

Birmingham fehlt Geld

Die Stadt ist finanziell angeschlagen. Vor zwei Jahren musste Birmingham faktisch Bankrott anmelden. Fehlkalkulationen rund um ein IT-System und ein Gerichtsurteil zur Lohngleichheit für die städtischen Beschäftigten hatten fast ein Milliardenloch in den Haushalt gerissen. Seitdem muss die von der Labourpartei regierte Stadt eisern sparen. Bibliotheken wurden geschlossen und Sozialdienste gekürzt. Der Streik der Müllleute macht die Schwierigkeiten so sichtbar wie noch nie.

Nach fünf Wochen Streik hat Vize­premierministerin Angela Rayner nun sogar die Armee um Unterstützung ge­beten. Etwa zwei Dutzend Spezialisten sollen helfen, die Logistik der verblie­benen Müllabfuhr wieder zum Laufen zu bringen. Dass nun sogar das Militär in der Stadt zum Einsatz kommt, sorgte landesweit für Schlagzeilen. Einige Kommentatoren erinnerten an den „Winter des Missvergnügens“ vor viereinhalb Jahrzehnten im Vereinigten Königreich, als zahlreiche Streiks, darunter auch der Müllleute, das Land lahmlegten.

Müllarbeiter streiken bis nach Ostern

Die Gewerkschaft Unite hat Anfang der Woche das neue Lohnangebot des Stadtrats abgelehnt. Es sei „völlig ungenügend“, sagte Unite-Generalsekretärin Sharon Graham. Der Streik wird nun vermutlich bis mindestens nach Ostern fortgesetzt. Nach Angaben der Gewerkschaft drohten Müllarbeitern mit dem neuen Tarifvertrag Lohneinbußen von bis zu 8000 Pfund im Jahr. Die Stadtverwaltung weist diese Behauptung zurück. Nur 17 Müllarbeiter würden deutlich verlieren, erklärt die Stadtverwaltung. Und keineswegs gehe es um Lohneinbußen in der von Unite genannten Höhe. Die Gewerkschaftschefin spricht wiederum von „Lügen“ der Regierung und des Stadtrats.

Wer in dem Streit die Wahrheit sagt, ist für Außenstehende kaum nachzuvoll­ziehen. Die Bürger von Birmingham sind zunehmend frustriert. Im Kern dreht sich der Streit um eine neue Organisation der Müllabfuhr, bei der bestimmte, früher recht gut bezahlte Positionen wegfallen.

Der Birminghamer Müllstreit führt dazu zum landesweiten Zerwürfnis zwischen Unite und Labour. Früher war die linke Gewerkschaft ein wichtiger Spender der Partei. Nun scheint das Tischtuch zerschnitten.

Politiker werfen Unite vor, sie würde eine Millionenstadt zur Geisel nehmen. Gesundheitsminister Wes Streeting hat vor öffentlichen Gesundheitsgefahren durch den Müll auf den Straßen gewarnt. Besonders in ärmeren Stadtvierteln, in denen die Bürger keine private Abfallentsorgung finanzieren können, wachsen seit März die Müllberge – und die Rattensorgen. Ein professioneller Rattenfänger berichtete gegenüber der „Times“ von erstaunlich großen Tieren. Er habe ein Rekordexemplar erlegt, das vom Kopf bis zur Schwanzspitze unvorstellbare zwanzig Zoll (über fünfzig Zentimeter) maß.