Was bedeutet Assads Sturz für die Dschihadisten-Szene?

23

Der islamistischen Miliz „Hay’at Tahrir al-Scham“ (HTS) ist in Syrien ein militärischer Erfolg gelungen – und im Ausland ein propagandistischer. Der Sturz des Assad-Regimes wurde auch auf deutschen Straßen von Muslimen gefeiert. Aber wird er auch einen Einfluss auf die islamistische Szene hierzulande haben?

Die deutschen Sicherheitsbehörden vermuten das. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es, dass militärische Erfolge generell dschihadistische Gruppen attraktiver machen. Der Erfolg der HTS-Offensive könnte die islamistische Szene in Deutschland außerdem motivieren, die Propaganda der HTS zu verbreiten und Ausreiseversuche in Richtung Syrien zu unternehmen, um sich an dortigen Kämpfen zu beteiligen.

Das werde dadurch verstärkt, dass die dschihadistische Szene die Vorgänge in Syrien weitgehend positiv bewerte. Im Innenministerium hat man registriert, dass der Vorstoß der HTS auch von Sympathisanten des „Islamischen Staats“, die die HTS eigentlich ideologisch ablehnen, in den sozialen Netzwerken positiv kommentiert wird.

Hunderte Deutsche sind wohl noch in Syrien

Die Sicherheitsbehörden versuchen, die Reisebewegungen deutscher Staatsangehöriger in die Region Syrien/Irak möglichst genau zu beobachten, inklusive der Taten, die dort begangen werden. Immer wieder kommt es auch zu Verfahren gegen solche Personen vor deutschen Gerichten, wenn sie zurückgekehrt sind. Dem Bundesinnenministerium liegen derzeit Erkenntnisse zu etwa 1150 Islamisten aus Deutschland vor, die seit 2011, dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien, in diese Region gereist sind und sich dort aufhalten oder aufgehalten haben.

Bei zwei Dritteln dieser Personen gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie den „Islamischen Staat“, Al-Qaida oder andere terroristische Gruppen unterstützt haben – auch mit Kampfhandlungen. Ein Viertel der 1150 Personen ist dabei wohl ums Leben gekommen. Etwa 40 Prozent kehrten nach Deutschland zurück. Der Rest dieser Personen hält sich weiterhin im Ausland auf. Einige sitzen in Haft, die überaus meisten aber bewegen sich wohl frei in der Region.

Flüchtlinge aus Syrien kommen mit ihrem Gepäck in einer
Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg an.
Flüchtlinge aus Syrien kommen mit ihrem Gepäck in einer
Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg an.
dpa

Was bedeutet das nun für die Gefährdungslage in Deutschland? Im Innenministerium denkt man in Szenarien – je nachdem, wie sich die aktuell sehr volatile Lage in Syrien entwickeln wird. Grundsätzlich aber gilt, dass der militärische Erfolg der HTS und ihrer Verbündeten einer nationalen, gegen die Assad-Regierung gerichteten Agenda folgt. Die Sicherheitsbehörden gehen deswegen nicht von einer erhöhten Gefährdung Deutschlands durch dschihadistische Täter der HTS aus.

Denkbar aber ist auch, dass sich die Situation der HTS und die humanitäre Lage in Syrien verschlechtern. Das könnte für Menschen mit Deutschlandbezug ein Grund sein, wieder nach Europa zurückzukehren. Diese Personen würden dann sehr wohl eine Gefahr darstellen, weil sie sich enorm ideologisiert und auch Kampferfahrungen gesammelt haben.

Die Debatte in Deutschland wird derzeit bestimmt von Fragen rund um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihre Heimat. Zum Jahresende 2023 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 712.000 syrische Schutzsuchende im Ausländerzentralregister registriert. Syrer machen damit 22 Prozent der insgesamt 3,17 Millionen Schutzsuchenden in Deutschland aus und sind nach ukrainischen Staatsangehörigen (31 Prozent) die zweitgrößte Gruppe.

90 Prozent der Syrer haben nur einen befristeten Schutzstatus

Die Hälfte der Syrer kam zwischen 2014 und 2016 erstmals nach Deutschland. Zwölf Prozent der syrischen Schutzsuchenden sind in Deutschland geboren, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Der überwiegende Teil der Syrer verfügt über einen humanitären Schutzstatus, in den meisten Fällen war das ein Status als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Auf eine weitere große Gruppe entfällt der subsidiäre Schutz, der gewährt wird, wenn im Herkunftsland erhebliche Gefahr droht.

Dieser Status verhindert auch eine Abschiebung. Nach Syrien wurde deswegen niemand aus Deutschland abgeschoben, was nun aber wieder in der Diskussion ist. Denn auch der Zuzug von Syrern war bis zuletzt hoch. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrierte im Zeitraum von Januar bis November dieses Jahres 72.000 entsprechende Anträge. Somit stellten Syrer jeden dritten Erstantrag auf Asyl.

Bei 90 Prozent der rund 624.000 syrischen Schutzsuchenden mit anerkanntem Schutzstatus war dieser nur befristet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) hatten sich kritisch geäußert zu Forderungen nach Abschiebungen von CDU/CSU. Ob es sogar zu einer neuen Flüchtlingswelle von Syrien aus kommen wird, darüber will man im Innenministerium nicht spekulieren.

Weil sich viele Syrer schon so lange in Deutschland aufhalten, haben einige die Möglichkeit genutzt, den deutschen Pass zu beantragen. Allein im Jahr 2023 wurden laut Einbürgerungsstatistik 75.000 Syrer eingebürgert. Sie machten 38 Prozent aller Einbürgerungen aus und waren damit die größte Gruppe.