Angesichts der aggressiven Zollpolitik von Donald Trump blickt die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf sehr pessimistisch nach vorn. Unter der Annahme, dass der amerikanische Präsident die momentan ausgesetzten „reziproken“ Zölle reaktiviert und die handelspolitischen Unsicherheiten fortbestehen, könnte das Volumen des globalen Warenhandels in diesem Jahr um 1,5 Prozent sinken, schreibt die WTO in ihrem am Mittwoch veröffentlichten „Global Trade Outlook“. Das ist eine drastische Verschlechterung gegenüber der Prognose vom Oktober vergangenen Jahres, als Trump noch nicht gewählt war. Seinerzeit erwarteten die WTO-Ökonomen, dass der globale Handel in diesem Jahr um drei Prozent wachsen würde. 2024 betrug das Handelsplus 2,9 Prozent.
WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala zeigte sich „zutiefst besorgt“ über die aktuelle Lage. „Die anhaltende Unsicherheit droht das globale Wachstum zu bremsen, was schwerwiegende negative Folgen für die Welt und insbesondere für die schwächsten Volkswirtschaften haben wird“, sagte die Nigerianerin auf einer Pressekonferenz. Zölle seien ein politischer Hebel mit weitreichenden und oft unbeabsichtigten Folgen, warnte der WTO-Chefökonom Ralph Ossa.
Selbst wenn Trump die Zölle dauerhaft auf dem aktuellen Stand ließe, würde dies den Warenaustausch stark bremsen. Für diesen Fall rechnet die WTO für 2025 mit einem Rückgang des Welthandels um 0,2 Prozent. Der Abschwung geht vor allem von Nordamerika aus. In dieser Region erwartet die WTO einen Rückgang der Exporte um 12,6 Prozent und der Importe um 9,6 Prozent. Damit hat sich der ehemalige Wachstumsmotor im Welthandel zu dessen größter Bremse entwickelt.
China sucht andere Absatzmärkte
Für Asien wird sowohl bei den Exporten als auch bei den Importen ein Wachstum von 1,6 Prozent prognostiziert; in Europa könnten die Exporte um ein Prozent und die Importe um 1,9 Prozent steigen. Der kombinierte Beitrag der übrigen Regionen zum Welthandel bleibe ebenfalls positiv.
Die Unterbrechung des Warenverkehrs zwischen den USA und China wird zu erheblichen Umlenkungseffekten führen. „Chinesische Firmen werden versuchen, andere Absatzmärkte für ihre Produkte zu finden“, sagte Ossa. Nach seinen Berechnungen könnten die chinesischen Exporte nach Europa im Durchschnitt um sechs Prozent steigen. Damit bestätigte er, dass die Sorgen der deutschen Wirtschaft vor einer preisaggressiven und damit möglicherweise wettbewerbsverzerrenden „China-Schwemme“ berechtigt sind. Die Umleitungseffekte könnten dazu führen, dass sich der Handelskonflikt ausweitet. Dies müsse verhindert werden.
Laut Ossa steckt das multilaterale Handelssystem „natürlich in einer Krise“. Aber der deutsche Ökonom erinnerte daran, dass der bilaterale Güterhandel zwischen China und den USA rund drei Prozent und amerikanische Importe 13 Prozent des Welthandels ausmachten. „Das heißt, 87 Prozent der Importe kommen aus anderen Ländern der Welt.“ Daher sei es wichtig, die Glaubwürdigkeit des bestehenden Systems zu schützen und Handelsbarrieren gering zu halten. Aktuell liefen immer noch 74 Prozent des Welthandels nach den Regeln der WTO. „Das zeigt, dass es noch viel Schützenswertes gibt.“ Zu Beginn dieses Jahres lag diese Quote allerdings noch bei 80 Prozent. Okonjo-Iweala sagte, dass viele Länder die aktuelle Krise als Chance sähen, die WTO zu erneuern und die Entscheidungsfindung zu verbessern. „Unsere Mitglieder anerkennen und schätzen die Stabilität und die Berechenbarkeit des multilateralen Handelssystems.“ Unter den Freunden dieses System fänden gerade sehr viele Gespräche statt mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zu verbessern.
Entwicklungsländer werden am stärksten getroffen
Nach Lesart der WTO haben die US-Zölle schwerwiegende Auswirkungen auf die am wenigsten entwickelten Länder. Deren Volkswirtschaften reagierten besonders empfindlich auf externe wirtschaftliche Schocks, da ihr Handel sich oft auf eine geringe Anzahl von Produkten konzentriere und sie nur über begrenzte Ressourcen verfügten, um mit Rückschlägen fertig zu werden. Andererseits könnten auch diese Länder von Umleitungseffekten profitieren, insbesondere bei Textilien und Elektronik.
Wie berichtet, haben die USA ihre Mitgliedsbeitragszahlungen für die WTO ausgesetzt. Das sei keine einfache Situation für die Organisation, sagte Ossa. Aber man könne die Einnahmeverluste abfedern, indem man nicht-existentielle Ausgaben streiche. Die WTO müsse aber kein Personal abbauen. „Da stehen wir wesentlich besser da als unsere Kollegen bei den Vereinten Nationen.“