Warum Voigts Wahl ohne Eklat über die Bühne ging

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Mario Voigt wirkt am Donnerstagvormittag im Thüringer Landtag beinahe überrascht, als das passiert ist, was er selbst bis wenige Stunden zuvor ausgehandelt hat. Der 47 Jahre alte Landes- und Fraktionschef der Thüringer CDU ist mit 51 Stimmen im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden. Voigt wird vereidigt, er spricht die Gottesformel, dann gratulieren alle Abgeordneten.

Bodo Ramelow, der scheidende Ministerpräsident von den Linken, trägt ein demonstratives Lächeln im Gesicht. Der scheidende Ministerpräsident scheint besonders zufrieden. Es gibt Blumen und kurze Gespräche, später überreichen die Vorsitzenden des BSW, Katja Wolf und Steffen Schütz, dem neuen Regierungschef einen Brombeerstrauch. Thüringen hat, so sagt es sinngemäß Landtagspräsident Thadäus König, der Bundesrepublik ein neues Gesicht gezeigt. Gemeint ist: eine Ministerpräsidentenwahl ohne Eklat.

Die Stunde der Wahrheit hatte für ­Voigt und die erste CDU/BSW/SPD-Koalition um 10 Uhr begonnen. Diesmal sollte nichts schiefgehen. Thüringen sollte nicht noch einmal der größte Problemfall im deutschen Parlamentarismus sein. Allein der „Brombeere“, wie sich die Koalition nun schon selbst nennt, fehlt eine Stimme zur Mehrheit von 45 Stimmen.

Der Königsmacher war die Linke

Dazu kamen andere Unwägbarkeiten. Wird das BSW geschlossen Voigt wählen? Immerhin hatte ein Viertel der Mitglieder mit Nein gestimmt, als es am Wochenende um den Koalitionsvertrag ging. Und auch in der SPD hatten nur 68 Prozent der Mitglieder, die sich am Online-Entscheid beteiligten, die Koalition befürwortet. Am Ende hatte Voigt sieben Stimmen mehr, als die Koalition hat. Gegen den CDU-Politiker hatten 33 Abgeordnete gestimmt, vier hatten sich enthalten.

Der Königsmacher für Voigt war die Linke mit ihren zwölf Sitzen im Landtag. Der ehemaligen Regierungspartei, die noch starken Phantomschmerz seit dem Abschied von der Macht verspürt, hatten die Brombeer-Chefs einen Deal vorgeschlagen: Ein Drei-plus-eins-Format sollte wichtige Themen besprechen, eine Runde, in der die Parlamentarischen Geschäftsführer einmal im Monat zusammenkommen. Bedingung: Die Linke müsse eine Wahl Voigts gleich im ersten Wahlgang garantieren.

Der Vorschlag kam wohl von der SPD, aber auch Ramelow hatte ihn öffentlich geäußert. Er ist ein etwas heikles Konstrukt, denn der Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU verbietet eine Zusammenarbeit mit der Linken. Zwar präsentierten die Brombeer-Parteien das Papier, in dem der Linken das Angebot gemacht wurde. Die Linke aber unterzeichnete es nicht, sodass es sich, so die gemeinsame Lesart, nicht um einen Vertrag oder eine Tolerierung handelt.

Eine feste Zusage der Linken gab es dennoch erst einmal nicht, obwohl Ramelow dafür lange geworben hatte. Der 68 Jahre alte Linken-Politiker, zehn Jahre Regierungschef in Thüringen, habe als „Architekt einer stabilen Landesregierung“ mitgewirkt, lobte BSW-Chefin Katja Wolf ihn nach der Wahl im Landtag. Ramelow will am Wochenende als Direktkandidat für den Wahlkreis Erfurt-Weimar zur Bundestagswahl aufgestellt werden. Voigt dankte ihm in einer kleinen Antrittsrede für seine Amtszeit, in der ihm wohl manche „Silberlocke“ gewachsen sei.

„Ein Vertrauensvorschuss, aber kein Blankoscheck“

Wie aber kam es zum Deal mit der Linken? Am späten Mittwochabend hatten sich Voigt und Linken-Fraktionschef Christian Schaft noch einmal getroffen, sie verhandelten bis 23 Uhr. Es habe eine Einigung gegeben, sagte Schaft am Morgen. Eine halbe Stunde vor Beginn der Landtagssitzung teilte er mit, dass seine Fraktion für Voigt stimmen werde: „Im ersten Wahlgang wird es heute mit unseren Stimmen eine Mehrheit geben, um der AfD keine Bühne zu geben.“ Die Fraktion habe der Einigung zugestimmt.

Das sei „ein Vertrauensvorschuss, aber kein Blankoscheck“ für die Brombeer-Koalition. In den Verhandlungen habe die Linke erreicht, dass in das geplante Format auch die Fraktionsvorsitzenden einbezogen würden, dass es für die ganze Dauer der Legislaturperiode gelte und dass es keine Zusammenarbeit der Koalition mit der AfD geben werde. Das steht zwar schon im Koalitionsvertrag, doch die Koalition war bereit, es noch einmal in das Papier aufzunehmen.

Der neu gewählte Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) und der frühere Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) geben sich am 12. Dezember 2024 vor der Staatskanzlei die Hand.
Der neu gewählte Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) und der frühere Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) geben sich am 12. Dezember 2024 vor der Staatskanzlei die Hand.dpa

Die AfD ließ sich nicht in die Karten schauen. In einem zweiten Wahlgang hätte ihr Frontmann Björn Höcke antreten können, allerdings ohne Chancen angesichts von 32 AfD-Abgeordneten. Doch so konnte die AfD am Donnerstag nur zusehen, wie sie isoliert wurde. Fraktionschef Björn Höcke warf Voigt nach der Wahl vor, ein Regierungschef „von Gnaden“ dreier linker Partner zu sein. Voigts Machtwille sei so groß, dass er die Reste von Konservativem und Tradition in der CDU dafür opfere.

Eine Brombeere spielt die Hauptrolle

Voigt hatte sich schon am Mittwochnachmittag entspannt gezeigt, als der Koalitionsvertrag unterzeichnet wurde. Den Termin nutzte die CDU im Veranstaltungszentrum „Zentralheize“ zu einer Bühnenshow, die ein wenig an amerikanische Wahlkämpfe erinnerte, mit Voigt, der in einem kleinen Dorf in Thüringen mit 120 Einwohnern aufgewachsen ist und als Politikwissenschaftler einst in den USA studierte. Es gab einen Film über den schwierigen Weg zur Koalition, in dem eine glitzernde schwarz-weiße Brombeere eine Art Hauptrolle spielte.

Die Zivilgesellschaft wurde vor 200 Gästen anhand der Personen des Chefs des Lehrerverbands, des IHK-Vorsitzenden, der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden und des thüringischen Chefs des Deutschen Roten Kreuzes zum Koalitionsvertrag befragt. Die Spitzenkandidaten erzählten Anekdoten aus den gemeinsamen Verhandlungen. Katja Wolf nannte Voigt den „Vater der Kompanie“, es gab zahlreiche Umarmungen. Zudem gab es Törtchen mit Brombeeren und in Erfurt gebrautes „Brombeer“, das von der SPD mitgebracht wurde.

Über die Aufteilung der Ministerien hatten sich die drei Parteien schon zuvor geeinigt. Die CDU erhält das Bildungsministerium, das Wirtschaftsministerium, zu dem auch die Landwirtschaft gehört, sowie das Ministerium für Justiz, Migration und Verbraucherschutz. Sie stellt zudem den Chef der Staatskanzlei, der als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und den Sport zuständig ist. Für das Ressort Bildung wird Christian Tischner als Minister genannt, für die Justiz Beate Meißner.

Das BSW bekommt das Finanzministerium, das Katja Wolf übernehmen wird. Ein neues Ministerium für Digitales und Infrastruktur, zu dem Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung gehören, geht ebenfalls an das BSW, hierfür wird der Ko-Landeschef Steffen Schütz gehandelt. Das Umwelt- und Energieministerium, das dritte vom BSW geführte Haus, soll der frühere Linken-Politiker Tilo Kummer führen. Die SPD behält das Innenministerium, das weiter von Landeschef Georg Maier geführt wird, und das Sozial- und Gesundheitsministerium, zu dem auch Arbeit und Familie gehören. Es soll von der Abgeordneten Katharina Schenk geleitet werden.