Die politische Situation in Deutschland wird immer häufiger mit dem Ende der Weimarer Republik und dem Weg in den Nationalsozialismus verglichen. Ist das übertrieben, oder ist unsere Demokratie wirklich in ihrer Existenz bedroht, Herr Ministerpräsident?
Es ist an der Zeit, dass wir diesen Vergleich ernst nehmen. Natürlich sind wir grundsätzlich zu einer stabilen Demokratie geworden. Dennoch wählen viele Menschen sehr leichtfertig eine Partei, die AfD, die in Teilen rechtsextremistisch ist. Für einige ihrer Landesverbände wird das vom Verfassungsschutz bestätigt. Die AfD macht keinen Hehl daraus, dass ihr demokratische Institutionen hinderlich sind. Das alles dürfen wir nicht ausblenden. Es ist schon einmal sehr schnell gegangen, dass in Deutschland die Demokratie beseitigt worden ist.
Es darf keine Form der Zusammenarbeit mit der AfD geben, da sind wir klar. Das steht auch sehr deutlich in dem von Union und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag. Die AfD ist zwar demokratisch gewählt. Aber wenn sie offen gegen unsere Verfassung arbeitet, dann ist sie auch keine Partei wie jede andere.
Sie würden der AfD nicht mal einen Ausschussvorsitz überlassen?
Die AfD sitzt seit der letzten Wahl bei uns in Schleswig-Holstein zum Glück nicht mehr im Landtag. Aber wir haben uns parteiübergreifend darauf verständigt, dass es auch in unseren Kommunalvertretungen keine Zusammenarbeit mit der AfD gibt und wir keine AfD-Politiker in führende Positionen wählen.
Es gab aber schon Ausschussvorsitzende von der AfD im Bundestag.
Stimmt. In der vorletzten Wahlperiode. Aber die AfD hat sich immer mehr radikalisiert. Sie nutzt Funktionen aus, um der Demokratie Schaden zuzufügen.
War es ein Fehler, dass die Union im Bundestag Anfang des Jahres die Entschließungsanträge und einen Gesetzentwurf zur Migrationspolitik auf die Tagesordnung gesetzt hat in dem Wissen, dass die AfD denen zu einer Mehrheit verhelfen kann?
Ich glaube auch rückblickend, dass uns dieses Vorgehen nicht geholfen hat und dass eine gemeinsame Mehrheit demokratischen Parteien wichtig gewesen wäre. Mit dem Zustrombegrenzungsgesetz war es schwieriger, weil der Entwurf schon im Gesetzgebungsverfahren und von CDU und CSU eingebracht worden war. Zu erwarten, dass die Unionsabgeordneten gegen einen eigenen Gesetzentwurf stimmen, war auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich hatte selbst in diesen Tagen nichts unversucht gelassen, um zu einer Verständigung und Mehrheit der demokratischen Fraktionen zu kommen.
Man kann die beiden Parteien nicht vergleichen. Die AfD stellt eine deutlich größere Gefahr für die Demokratie dar. Trotz alledem ist für mich auch die Linke keine normale Partei. Ich stehe zu unserem Beschluss in der CDU, dass es mit der Linkspartei keine Koalition oder ähnliche Form der Zusammenarbeit geben sollte. Das schließt aber nicht aus, dass wir, wenn es um Zweidrittelmehrheiten geht, künftig mit der Linken reden.
Ein ostdeutscher Parteifreund von Ihnen sagte mir kürzlich, wenn die CDU an ihrer Ablehnung der Zusammenarbeit mit der Linkspartei etwas ändern würde, triebe das noch mehr Wähler in den ostdeutschen Ländern in die Arme der AfD. Da würden Christdemokraten sagen, bevor man mit den alten SED-Kadern zusammenarbeite, würde man lieber zur AfD gehen. Ist das ein Argument, das Sie verstehen?
Ich kann das Unbehagen gerade in Ostdeutschland verstehen. Trotzdem müssen wir uns mit der Situation auseinandersetzen, dass wir in den ostdeutschen Landesparlamenten schwierige Mehrheitsbildungen haben. Politik ist leider nicht immer so, dass man sich alles wünschen kann. Ich habe es auch nicht verurteilt, dass etwa in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg mit Parteien gesprochen wird, denen gegenüber wir größte Zurückhaltung üben sollten. Ich finde nicht, dass das BSW eine gute Alternative zur Linkspartei ist, um es deutlich zu sagen.

Im Bund will die Union nun mit der SPD regieren. Ist das, was Sie in den letzten Tagen aus Berlin hören, noch ein vernünftiger Umgang demokratischer Parteien miteinander? Oder geht der Parteienstreit, an dem die Ampel-Koalition zerbrochen ist, munter weiter?
Erstmal war es wohltuend, dass von den Koalitionsverhandlungen wenig nach außen drang, auch, wenn es mal nicht so harmonisch zuging. Dass jetzt, wo zumindest SPD und CDU noch über den Vertrag abstimmen müssen, nochmal einige Positionen betont werden, dafür habe ich Verständnis. Die Phase zwischen Wahl und Regierungsbildung würde ich anders bewerten als die Zeit, wenn man wirklich miteinander regiert. Dann muss es aber tatsächlich eine vernünftige Zusammenarbeit geben. Nicht zuletzt der Streit in der Ampel hat die AfD so stark werden lassen.
Friedrich Merz hat nur gesagt, was ausgehandelt wurde. Das kann man ihm nicht zum Vorwurf machen.
Sie haben kürzlich gesagt, es müssten noch mehr Strukturreformen kommen. Was meinen Sie genau?
Wir haben bei Rente und Sozialversicherung manches in die Hände von Kommissionen gelegt. Dafür habe ich Verständnis, denn diese Themen sind zu komplex, als dass sie innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen in Koalitionsverhandlungen abschließend zu regeln wären. Nun müssen aber zügig die Arbeiten für Reformen beginnen.
Ist das Versprechen der CDU, das Bürgergeld werde in dieser Form so nicht weiter bestehen, durch den Koalitionsvertrag eingelöst?
Wir haben immer gefordert, dass die neue Grundsicherung, die es anstelle des Bürgergeldes geben soll, das Fördern und Fordern in den Mittelpunkt stellt. Das Grundprinzip soll die Vermittlung in Arbeit sein. Das steht so im Koalitionsvertrag.
Die Union hat auch eine Wende in der Migrationspolitik versprochen. Findet die sich ausreichend im Koalitionsvertrag?
Ja, absolut. Es geht um eine deutliche Begrenzung der illegalen Migration und eine bessere Steuerung, und das ist im Vertrag so beschrieben.
Schleswig-Holstein hat eine Grenze zu Dänemark. Den Dänen ist es gelungen, durch eine andere Politik, auch eine andere Migrationspolitik, die Rechtspopulisten zurückzudrängen. Können wir davon lernen?
An Dänemark kann man sehen: Wenn eine solche Politik aus der Mitte heraus gemacht wird, so wie es in Kopenhagen vor allem die Sozialdemokraten tun, kann das dazu beitragen, dass radikale Kräfte eine deutlich geringere Rolle spielen. In Dänemark sind sie dabei, sich aus der Parteienlandschaft zu verabschieden. Eins zu eins übertragen kann man die Situation auf Deutschland nicht. Dänemark ist kleiner als Deutschland und hat nur eine Landgrenze. Da lässt sich manches leichter durchsetzen.
Das nächste ostdeutsche Land, in dem gewählt wird, ist Sachsen-Anhalt. Fürchten Sie, dass dort im nächsten Jahr die AfD so stark wird, dass sie den Ministerpräsidenten stellen kann?
Wir müssen alles tun, um das zu verhindern und wir werden das auch schaffen. Alle, die in Berlin in Verantwortung sind, wissen, dass die Bundespolitik dazu einen großen Beitrag leisten kann und muss.
Welche Rolle spielen gesellschaftspolitische Fragen? Die Ampel hat beispielsweise mit der teilweisen Aufhebung des Cannabis-Verbotes oder dem Selbstbestimmungsgesetz viel Kritik ausgelöst.
Das spielt sicherlich eine Rolle. Wir müssen uns immer fragen, wie hoch wir solche Themen im politischen Alltag hängen. Manche Dinge müssen geregelt und auch erklärt werden. Die Frage ist bloß, wie viel öffentliche Aufmerksamkeit man ihnen gibt. Viele Menschen fragen sich bei solchen Themen: Haben die in der Politik eigentlich nichts Wichtigeres zu tun?
Sie haben in der CDU – als es das noch gab – zum Team Merkel gehört. Vermissen Sie die Merkel-Jahre?
Die ruhige Art, mit der Angela Merkel regiert hat, ihre Bereitschaft zum Kompromiss, stehen in einem wohltuenden Kontrast zu dem Dauerstreit der Ampel-Regierung. Das hätte ich mir in den dreieinhalb Jahren durchaus zurückgewünscht, und da war ich sicher nicht der einzige. Ich hoffe, dass dieser Pragmatismus und dieser Wille, gemeinsam etwas zu erreichen, jetzt zurückkehren.
Schafft Friedrich Merz das?
Ich glaube daran, dass Friedrich Merz es schafft, einen ruhigen und kompromissorientierten Regierungsstil zu pflegen. Als Partei- und Fraktionsvorsitzender musste er der CDU wieder ein stärkeres Profil geben. Aber er weiß, dass er als Bundeskanzler für die gesamte Koalition stehen muss.