Die Hoffnung stirbt zuletzt, jedenfalls nach der Kernkraft. Befürworter des Atomstroms halten es für ein gutes Zeichen, dass der Koalitionsvertrag keinen Satz dazu enthält. Damit zeigten sich Union und Sozialdemokraten offen dafür, nach der Mitgliederbefragung doch noch zu dieser Technik zurückzukehren. Das ist eine phantasievolle Argumentation – aber zu weit hergeholt. Abgesehen davon, dass ein solches Kalkül von der SPD-Basis als Täuschung empfunden würde, spricht dagegen auch, dass CDU und CSU bei der Kernkraft unübersehbar einen Rückzieher machen mussten.
Noch im Arbeitsgruppenpapier hatten sie ein Rückbaumoratorium für die letzten Reaktoren gefordert. Diese Option ließ die SPD aber nicht zu, wie Friedrich Merz (CDU) soeben eingestand. Das habe man „zu akzeptieren gehabt“. Überraschend kommt der Verzicht nicht. Schon im Wahlkampf hatte der Kanzlerkandidat gesagt, die Anlagen würden abgerissen, „da ist wahrscheinlich nichts mehr zu machen“. Die Betreiber bestätigen das.
Zweifellos war es falsch, die Kernspaltung zu beenden
Zweifellos war es falsch, die Kernspaltung zu beenden. Unterstützt von der Mehrheit der Bevölkerung, könnte sie heute helfen, die Klimaziele zu erreichen, die Abhängigkeit von Stromimporten zu verringern, den Kohle- und Gasausstieg zu schaffen, die Preise zu senken, den Netzausbau zu verringern, die Versorgungssicherheit jederzeit zu gewährleisten. Für den Fehler sind SPD, Grüne, Union und FDP gemeinsam verantwortlich, aber die Zeit, ihn zu korrigieren, ist verstrichen: Deutschland wird zwar weiterhin Atomstrom nutzen, aber nicht aus eigener Erzeugung.
Viel spricht dafür, dass die Union das Thema zuletzt als Verhandlungsmasse einsetzte, als „Bargaining Chip“, wie es hieß. Die Unterhändler ahnten, dass die Messen gesungen waren, wollten aber andere Präferenzen in der Energie- und Klimapolitik durchsetzen. Gelang das? Zum Teil ja. So ist es ein Fortschritt, dass der Transport, die Abscheidung, Nutzung und Verpressung von CO₂ möglich werden. Auch für Gaskraftwerke.
Leider aber fehlt den Koalitionären der Mut, die Verfahren übergangsweise auch für moderne abgeschriebene Kohleblöcke zu öffnen. Auf diesem Wege ließe sich treibhausgasarm die nötige gesicherte Leistung als Rückgrat für Wind und Sonne bereitstellen.
Schwach ist, dass die Union auf ihren „Klimabonus“ verzichtet
Stattdessen planen Schwarz-Rot 20 Gigawatt in teuren neuen Gaskraftwerken. Ob der Bau bis 2030 gelingt, steht in den Sternen. Falls nicht, muss die Kohle ohnehin verfeuert werden – ohne CO₂-Abscheidung. Zu den unsicheren erneuerbaren Energien kommen also unsichere Gaskapazitäten, unsichere Netz- und Systemplanungen hinzu. Damit wird es schwierig, den Strompreis wie versprochen um mindestens fünf Cent zu senken.
Zu begrüßen ist das Bekenntnis zur Ausweitung des Emissionshandels als dem erfolgreichsten Instrument zur CO₂-Minderung. Schwach ist indes, dass die Union auf ihren „Klimabonus“ verzichtet, die direkte Rückgabe der CO₂-Einnahmen. Neue EU-Minderungsziele für 2040 trägt sie auf Wunsch der SPD mit, aber nur, wenn diese Deutschland nicht zusätzlich belasten. Bedauerlicherweise konnten sich CDU und CSU nicht zu dem Vorschlag aus der Wirtschaft durchringen, die CO₂-Neutralität um fünf Jahre auf das EU-Datum 2050 zu verschieben. Das hätte, ohne größere Klimaauswirkungen, Hunderte Milliarden gespart und viel Druck von Unternehmen und Haushalten genommen.
Eine der wichtigsten Errungenschaften des Koalitionsvertrags ist die Neubewertung der Energiewende. Ein „Monitoring“ soll bis zur Sommerpause klären, wie viel Strom in Zukunft wirklich gebraucht wird, wie es um den Ausbau der Erneuerbaren und der Netze, wie es um die Digitalisierung und den Wasserstoffhochlauf steht. Zumindest dem Papier nach begreifen Union und SPD, dass im bisherigen Umbau zentrale Aspekte des energiewirtschaftlichen Gleichgewichts zu kurz gekommen sind.
Künftig will man stärker auf Bezahlbarkeit, Effizienz und Versorgungssicherheit, auf System- und Netzdienlichkeit achten. Die Energiewende soll „technologieoffen“ erfolgen, auch im Verkehr und im Heizungskeller. Es soll mehr Speicher und eine „smartere“ Einspeise- und Verbrauchssteuerung geben, einschließlich der Förderung. Zudem möchten die Partner mehr heimische Gasförderung und langfristige internationale Lieferverträge ermöglichen.
Auch wenn man sich einen beherzteren Befreiungsschlag von der dogmatischen grünen Energie- und Klimapolitik der vergangenen Jahre gewünscht hätte: Die neue Koalition stellt die richtigen Fragen und lässt statt Ideologie Pragmatismus erkennen. Die Antworten sind leider weniger klar. Hoffentlich reichen Zeit und Kraft, um das Ruder herumzureißen.