In Damaskus geben sich die Rebellen freundlich

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Der Trupp bärtiger Kämpfer schiebt sich vorbei an den Autos, die sich in der schmalen Gasse drängen. Die interessierten Blicke streifen die Auslagen der Zuckerbäcker und Händler des Suq al-Hamidiya, des berühmten Markts in der Altstadt von Damaskus. Trügen sie nicht Tarnkleidung und Sturmgewehre über die Schulter, man hätte sie für Touristen aus der Provinz halten können.

Sie kommen aus dem Osten, aus Deir ez-Zor, und der jüngste von ihnen, Abu Anas, war noch nie in seinem Leben in der Hauptstadt. „Wir hatten hier schon etwas anderes zu tun“, sagt er auf die Frage, ob sie auf einer Besichtigungstour unterwegs seien, und lacht.

Der Truppführer, der augenscheinlich nicht in Plauderstimmung ist, flüstert eisig: „Sag dem Deutschen, dass wir hier sind, um das syrische Volk zu befreien.“ Aber Abu Anas lässt sich die joviale Stimmung nicht verderben. „Wenn das hier vorbei ist, will ich weiterstudieren“, sagt er. „Computertechnik“. Das Gespräch wird kurz unterbrochen, als ein Händler hinzutritt und Bonbons verteilt.

„Ihr Ziel ist, dass das Leben weitergeht“

Islamistische Kämpfer aus allen Teilen Syriens sind in Damaskus Teil des Straßenbildes. Sie stehen Wache vor den Palästen des gestürzten Machthabers Baschar al-Assad, besetzen Regierungsgebäude, regeln den Verkehr. Oder sie ziehen mit einem Becher Eiscreme in der Hand durch die Altstadt. Inzwischen ist das Leben wieder dorthin zurückgekehrt. Auch wenn Sorgen bleiben – die Beklemmung, die in den ersten Tagen nach dem Sturz des Regimes über der syrischen Hauptstadt lag, weicht. Überall füllen sich Cafés, öffnen Geschäfte. Freudenschüsse, die einige unbeabsichtigte Todesopfer gefordert hatten, sind merklich weniger geworden.

Die neue Ruhe geht Hand in Hand mit einer Machtübernahme: Nach und nach sind Kämpfer der sunnitischen Islamistenallianz „Hay’at Tahrir al-Scham“ (HTS) in Damaskus eingerückt, um die Kontrolle zu übernehmen. Die wirken diszipliniert und folgen den Anweisungen ihres Anführers Abu Muhammad al-Golani, sich von ihrer toleranten und freundlichen Seite zu zeigen. Während die islamistischen neuen Machthaber sich bemühen, einen sicheren Alltag zu organisieren und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, haben hinter den Kulissen schon Machtkämpfe begonnen.

Rebllen gehen vor der Umayyaden-Moschee aus dem 7. Jahrhundert an Verkaufsständen vorbei
Rebllen gehen vor der Umayyaden-Moschee aus dem 7. Jahrhundert an Verkaufsständen vorbeidpa

„Ihr vorrangigstes Ziel ist es, dass das Leben weitergeht“, sagt Anas Joudeh, einer der führenden Köpfe in der Damaszener Zivilgesellschaft, über die neue Führung. „Sie arbeitet hart daran, dass die öffentlichen Dienstleistungen funktionieren“, berichtet er. Außerdem hätten sie Vertretern der Handelskammer versprochen, ihnen das Leben leichter zu machen und Importrestriktionen des gestürzten Regimes aus dem Weg zu räumen. „Sie haben angekündigt, sich nicht einmischen zu wollen, und lediglich darum gebeten, faire Preise zu erheben“, sagt Joudeh.

Er ist eigentlich gut vernetzt in den politischen Kreisen von Damaskus. Die neuen Machthaber kennt er aber nicht. „Ich weiß nach wie vor nicht, wie ich sie anrufen soll“, sagt er. „Es gibt überhaupt keine Transparenz.“ Joudeh sieht die Gefahr, dass sich Syrien unter HTS-Führung zu einer islamistischen Dienstleistungsdiktatur nach dem Vorbild der Vereinigten Arabischen Emirate entwickelt – nur ohne Petrodollar.

In der Stadtverwaltung herrscht Unbehagen

Unbehagen herrscht auch bei denen, die helfen sollen, die Dienstleistungen am Laufen zu halten. „Sie sind dabei, den ganzen Laden zu übernehmen“, sagt ein hoher Funktionär der Stadtverwaltung von Damaskus, der es nicht wagt, sich namentlich zitieren zu lassen. Der Gouverneur und viele andere Spitzenfunktionäre seien schon entlassen worden. Sie würden mit HTS-Personal ersetzt, das nicht aus Damaskus kommt, sondern aus anderen Gegenden wie Aleppo oder Idlib.

„Es sind zum Teil erfahrene Technokraten“, sagt der Funktionär. Der neu ernannte Gouverneur zum Beispiel sei westlich ausgebildet, habe an einer amerikanischen Universität studiert und Erfahrung mit Großprojekten. „Aber sie kommen nicht aus Damaskus, und das ist ein Problem.“ Es gebe große kulturelle Barrieren, fügt er an. „

Sie ziehen die Schuhe aus, wenn sie zu einem Meeting kommen, verlassen es völlig unvermittelt, um zu beten. Die Leute hier kennen das nicht, und sie kennen die Leute hier nicht.“ Er habe zum Beispiel viele besorgte Anrufe von Leuten bekommen, die Restaurants und Nachtlokale betrieben, die Alkohol ausschenkten und nicht wagten, diese wieder zu öffnen. Der neue Scharia-Gelehrte, der die Justiz führen soll und in traditionellen Gewändern auftrete, treibe die säkularen Eliten um.

Und der Funktionär berichtet von einer weiteren Sorge, mit der er nicht allein ist: dass das robuste Vorgehen der Islamisten zu neuen Kämpfen mit anderen Rebellengruppen führt. Die ersten Aufständischen, die von außen nach Damaskus gelangten, kamen aus dem Süden. Sie und die Islamisten aus dem Norden lehnen sich gegenseitig ab. „Die Gruppen aus dem Süden haben sich schon beschwert, dass sie sich übergangen fühlen“, sagt der Funktionär, und Ähnliches ist auch aus anderen Quellen zu hören.

Das alte, auch regimeferne Damaszener Bürgertum scheint sich schwerer mit den neuen Machthabern aus der Provinz zu tun. Seine Vertreter begrüßen einander am Telefon spöttisch mit religiösen Formeln. In den Vierteln, in denen die einfachen Leute wohnen, sind die kulturellen Barrieren, von denen der Funktionär spricht, deutlich niedriger. Die Menschen, die noch immer am Umayyaden-Platz den Sturz des Regimes feiern, kommen aus den unteren Schichten und haben mit den Kämpfern aus der Provinz deutlich mehr gemeinsam. Sie rufen nicht nur „Syrien ist frei“, sondern auch „Allahu Akbar“.

Eine alte Frau sagt im Fernsehen zum Beispiel: „Unsere Jungs sind jetzt an der Macht.“ Sie freut sich darüber, dass sie jetzt ohne Angst in eine Polizeiwache gehen kann. In alten Aufstandshochburgen, in der die Einwohner vor allem aus der sunnitischen Unterschicht kommen, scheint der Machtwechsel ohne größere Störgeräusche zu verlaufen. „Wir übernehmen jetzt und sind von der Bevölkerung akzeptiert“, sagt ein HTS-Funktionär in Darayya, einem Vorort im Süden von Damaskus, der eine brutale Belagerung des Regimes erleiden musste. Dort ist die HTS-Führung gerade dabei, Waffen aus der Bevölkerung einzusammeln.

Geduld mit den neuen Machthabern

In der Mehrheit der Bevölkerung scheinen auch die Grabenkämpfe in der Verwaltung und unter den Rebellengruppen nicht anzukommen. Da prägt die oberflächliche Stabilität die Haltung. Sogar in einem Oberschichtenviertel von Damaskus trifft man auf jugendliche Zuversicht. Eine Gruppe von Studenten ist dabei, die Straßen zu kehren und den Müll wegzuschaffen, der sich in den Tagen des Chaos angesammelt hat. „Wir haben jetzt endlich das Gefühl, dass das Land auch uns gehört“, sagt einer aus der Gruppe. „Jetzt wollen wir einen Beitrag leisten.“

Er will nicht nur in seinem Viertel aufräumen, sondern auch mit den alten Erzählungen des Regimes, die Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen säen sollten und die Generation seiner Eltern noch prägen. Die Rebellenkämpfer, auf die er gestoßen sei, seien freundlich und respektvoll gewesen. „Ich glaube an die Menschen.“

In einem kleinen Hauswarengeschäft in der Nähe des Hamidiya-Marktes kommt eine Gruppe Männer zu dem Schluss, dass sich die Syrer gerade ein bisschen besser kennenlernen. „Am Anfang hatte ich Angst“, sagt der Besitzer. „Aber ich habe mit ein paar Kämpfern gesprochen, da waren Ärzte und Apotheker dabei.“ Er will geduldig sein mit den neuen Machthabern, wenn sie ihn in Ruhe lassen. „Die Stromversorgung war schon vorher eine Katastrophe, die wirtschaftliche Lage auch.“

Als er abgelenkt wird, weil er endlich einmal wieder etwas verkauft, eine Kaffeekanne, ergreift ein schiitischer Freund das Wort. „Sie haben den Leuten in meinem Viertel gesagt, sie könnten einfach weiterleben.“

Auch am schiitischen Ruqayya-Schrein hätten sie mit den Leuten gebetet. „Schau es Dir an“, fordert er. Aber die Stätte, in der noch vor einigen Jahren schiitische Milizionäre aus dem Irak, Libanon oder Afghanistan zu sehen waren, ist geschlossen. „Der soll aber bald wieder aufmachen“, sagt ein Händler gegenüber, dessen Zunft sich schon an die neuen Machtverhältnisse angepasst hat.

Die Hizbullah-Devotionalien und andere Souvenirs aus Irans schiitischem Schattenreich sind aus den Auslagen verschwunden. „Das war für die Ausländer“, sagt der Händler. „Aber die sind schon lange weg.“