Warum wir immer noch religiöse Feiertage brauchen

8

Wenn in einem Land mit gut 83 Millionen Einwohnern nur noch knapp 38 Millionen einer der beiden großen Kirchen angehören, müssen gesetzliche Feiertage für christliche Feste gut begründet werden. Darüber wird ungern geredet, weil es bei vielen nicht gut ankommt, ihnen die Aussicht auf ein langes Wochenende an Pfingsten oder auf freie Donnerstage mit Brückentag zu nehmen. Trotzdem darf die Frage gestellt werden, welche Bedeutung christliche Feiertage in einer Gesellschaft haben, in der es immer weniger Christen gibt.

Ursprünglich ging es mal darum, dass der Staat, der von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, einen Rahmen schafft, damit Bürger ihre religiösen Feste gemeinsam begehen können. Wenn das bedeutet, einen Gottesdienst zu besuchen und aus religiösen Gründen nicht zu arbeiten, brauchen viele keine Feiertage mehr. Man könnte sagen: Oft ist nur noch der Rahmen geblieben.

Dieser Rahmen ist aber wichtig. Vor allem an Weihnachten und Ostern werden die christlich geprägten Bräuche nicht nur von Kirchgängern gepflegt. Krippen werden aufgestellt und Osterlämmer gebacken. Es kann auch österlich sein, wenn die Familie zu einem Osterbrunch zusammenkommt, bei dem die Theodramatik der Kar- und Ostertage zu einer vagen kulturellen Erinnerung verblasst. Die ist nämlich notwendig, damit nicht in Vergessenheit gerät, was seit Jahrhunderten prägend und identitätsstiftend ist.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Die christlich geprägte Feiertagslandschaft ist alles andere als einheitlich. Es gibt Feste, für die in allen Bundesländern Feiertage vorgesehen sind, Karfreitag, Ostermontag, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag und die Weihnachtsfeiertage. Darüber hinaus gibt es konfessionell geprägte Feiertage, die nur in manchen Bundesländern gelten, etwa Fronleichnam und der Reformationstag.

Allerheiligen ist für manche der Tag nach Halloween

Ein Fest wie Pfingsten mit dem Verweis auf das Brauchtum zu verteidigen, wäre schwierig. Es ist den Unternehmen zum Glück bislang nicht gelungen, aus diesem Fest ein Geschäft zu machen. Ähnlich ist es bei anderen Feiertagen, mit denen außerhalb der Kirchen kaum jemand etwas anfangen kann. Christi Himmelfahrt ist längst zum Vatertag geworden, Allerheiligen ist für manche der Tag nach Halloween und Fronleichnam vielen ein Rätsel.

Schokoladenhasen in einem Süßwarengeschäft im brandenburgischen Hornow
Schokoladenhasen in einem Süßwarengeschäft im brandenburgischen Hornowdpa

Was ist die Antwort auf diese Entfremdung? Manche schlagen vor, schwimmende Feiertage einzuführen, dann soll jeder selbst entscheiden, ob er Allerheiligen, das Ende des Ramadans oder den Christopher Street Day feiern will. Man könnte annehmen, das würde Individuen in einer pluralen Gesellschaft gerechter werden, aber es ist nicht ersichtlich, worin dann der Mehrwert für das Gemeinwesen bestehen könnte, außer dass ihm ein schwieriger Aushandlungsprozess erspart bliebe. Und wie sich Ruhe für den Einzelnen einstellen soll, wenn die einen arbeiten und die anderen nicht. Der Vorschlag überzeugt also nicht.

Die christlichen Feste sind ein kostbares Erbe, weil sie eine Schneise in den Alltag schlagen. Der Wert eines Feiertags liegt auch darin, dass er, auch wenn er teilweise nur in einzelnen Bundesländern gilt, eine Gemeinsamkeit schafft. Alle erleben in einem bestimmten Zeitraum eine Unterbrechung ihres Alltags oder, um es mit den Worten von Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung zu sagen: „Tage der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung“. Dafür muss man nicht in die Kirche gehen. Eine gemeinsame freie Zeit eint die fragmentierte Gesellschaft und aktualisiert das kulturelle Gedächtnis. Auch Nebeneffekte wie der, dass alle Kinder ungeachtet ihrer Weltanschauung am langen Pfingstwochenende mit zum Zeltlager fahren können, sind für den Zusammenhalt bedeutsam.

Vor allem ordnen besondere Tage die Zeit. Am deutlichsten wird das am Sonntag, den schon Konstantin der Große 321 zum reichsweiten Feiertag erhob. In der christlichen Theologie kann er als „Urfeiertag“ betrachtet werden, weil er ein wöchentliches Osterfest ist. Dahinter steht das jüdische Erbe der Sieben-Tage-Woche und die Erzählung, dass der Schöpfer ruhte, nachdem aus dem Chaos ein Kosmos geworden war. Ein ordnendes Prinzip für die Zeit tut allen gut. Der Sonntag schafft einen Rhythmus für eine Gesellschaft, die aus dem Takt zu geraten droht. Der Mensch kann an Sonn- und Feiertagen zu sich finden, Zeit haben für Familie, Freunde und fürs Nichtstun. Es ist eine alte Erkenntnis, dass Kult und Muße zusammengehören. Auch wenn religiöse Riten für viele an Bedeutung verlieren, darf die Muße einer Gesellschaft heilig bleiben.