Alexander Schweitzer spricht über die SPD und das Bürgergeld

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Herr Ministerpräsident, Sie haben nach der Wahlniederlage der SPD von Ihrer Partei einen Neuanfang gefordert. Verbirgt sich dieser Neuanfang schon irgendwo im Koalitionsvertrag?

Nein, der Koalitionsvertrag ist der Koalitionsvertrag. Aber wieder in eine Regierung einzutreten und dort seine Aufgabe gut zu erfüllen, kann Teil eines Wiedererstarkens der SPD sein. Es gibt aber noch weit mehr zu tun.

Die SPD muss Fragen beantworten: Sind wir mit unseren Ideen noch auf der Höhe der Zeit? Haben wir noch ein Gefühl für die Menschen, für die wir eintreten ? Haben wir noch eine Idee, wohin sich dieses Land entwickeln sollte? Können wir den Leuten glaubhaft vermitteln, dass es dafür eine starke SPD braucht?

Eine Aufgabe der SPD ist, zwischen den Menschen zu vermitteln, die wollen, dass es einen starken Sozialstaat gibt, ihn aber nicht brauchen wollen, und den Menschen, die ihn brauchen, die aber nicht auf Dauer von Transferleistungen abhängig sein wollen. Beides ist nur mit Arbeit möglich. Im Mittelpunkt muss für die SPD deshalb die Gestaltung der Arbeitsgesellschaft stehen. Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen, ist eine Uridee der Sozialdemokratie. Aber nicht die permanente Alimentierung wie bei einem Grundeinkommen.

Dann war die SPD also auf dem falschen Weg mit dem Bürgergeld?

Beim Bürgergeld wurde nach meiner Auffassung fälschlich der Eindruck vermittelt, dass nicht Arbeit im Mittelpunkt steht, sondern dass es sich eine Weile auch ohne Arbeit gut leben lässt. Das Bürgergeld stand am Ende wie die Chiffre für einen Sozialstaat, der die Falschen belohnt, nicht die Fleißigen. Das hat den Gerechtigkeitsbegriff vieler Bürger verletzt. Parteitagsdiskussionen und Küchentischgespräche haben hier nicht zusammengepasst.

War das Bürgergeld nicht eine SPD-Therapie zur Überwindung von Hartz IV?

Das sehe ich nicht so. Jede Zeit braucht ihre Antworten. Anfang der 2000er Jahre hatten wir Massenarbeitslosigkeit. Heute haben wir Fachkräftemangel und das Bürgergeld soll helfen, wieder in Arbeit zu kommen. Der fehlenden Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung dafür haben wir uns nicht so gewidmet wie der innerparteilichen Diskussion. Die SPD muss aber die Debatten in der Gesellschaft gewinnen, nicht die ihrer Parteitage, um wieder mehrheitsfähig zu werden.

Hat die Union der SPD also einen Gefallen getan, indem sie darauf gedrungen hat, das Bürgergeld genau in diesem Sinne zu überarbeiten?

Das ist sehr taktisch gedacht. Die SPD hätte sich auch ohne Union mit dem Bürgergeld weiterbeschäftigt.

Nicht nur mit dem Bürgergeld. Der Koalitionsvertrag sieht eine Kommission vor, die eine Sozialstaatsreform vorschlagen soll. Der Vorschlag, so ist der Text zu verstehen, darf alles enthalten, nur nicht Kürzungen. Warum nicht?

Es wäre nicht klug, jetzt über Kürzungen zu sprechen. Dann stellt sich sofort die Frage: bei wem und warum? Klug ist die Frage: Erreicht der Sozialstaat seine Ziele? Wir müssen herausfinden, warum die Sozialkosten in bestimmten Bereichen so dynamisch steigen. In vielen Flächenländern steigen die Kosten etwa für die Eingliederungshilfe um zweistellige Prozentzahlen. Gleichzeitig ist die Zufriedenheit der Betroffenen über das Maß der Inklusion aber nicht gewachsen. Gestiegen sind aber die Kosten. Da stimmt doch etwas nicht. Da ist es doch gerade Aufgabe der SPD, die Bedürfnisse der Menschen zu respektieren und trotzdem oder gerade deshalb einen Sozialstaat zu bauen, der effizient und erfolgreich ist.

Und das geht nicht mit Kürzungen?

Wenn ich sage, das geht nur mit Kürzungen, dann weiß ich, wie die Debatte läuft: ritualisiert.

Die Erwartungen an die neue Regierung sind sehr hoch. Schon jetzt macht sich Enttäuschung breit. Verantwortlich wird auch die SPD gemacht, weil sie in den Koalitionsverhandlungen der Bremser gewesen sei. Können Sie das nachvollziehen?

Nein. Ich teile die Einschätzung nicht. In der Union gibt es Enttäuschung. Deren Ursprung steckt schon im Wahlergebnis selbst, weil die Union unter dem erwarteten Ergebnis geblieben ist. Außerdem hat die Union im Wahlkampf Versprechungen gemacht, die sie nicht einhalten konnte. Das musste sie auch vorher schon gewusst haben. Dann hat sie mit dem Sondervermögen einen Weg eingeschlagen, den wir für dringend nötig halten, der aber weit davon entfernt war, was die Union im Wahlkampf noch für programmatisch richtig gehalten hat. Dadurch entsteht eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Diese Lücke zu schließen, kann nicht Aufgabe der SPD sein.

Welchen Stellenwert muss die Migrationspolitik für die nächste Bundesregierung haben?

Im Wahlkampf war die Migrationspolitik ein zentrales Thema, deshalb muss sie es auch für die nächste Bundesregierung sein. Wir müssen uns fragen, wie wir irreguläre Migration bekämpfen und gleichzeitig ein offenes Land für diejenigen sind, die unserer Gesellschaft weiterhelfen, die den Laden am Laufen halten. Wir müssen die ultrahocherhitzte Debatte mit einer gewissen bürgerlich-sozialdemokratischen Gelassenheit runterkochen. Dadurch wird die Flamme der Rechtspopulisten, die hoch gepustet wurde, kleiner.

In anderen Wahlkämpfen spielte die Migration keine Rolle, trotzdem war es das Thema, das viele Wähler bewegte. Nicht darüber zu sprechen, scheint auch keine gute Lösung zu sein.

Die Mehrheit der Menschen will, dass Migration geordnet und fair abläuft. Das zu erreichen, ist keine Sache, die binnen weniger Wochen gelingt. Die künftige Bundesregierung aus SPD und Union sollte zwei Dinge zusammenbringen: Ordnung und Humanität. Das ist eine große Chance. Die beiden Volksparteien stellen die Mehrheit der Landesregierungen und führen die allermeisten Kommunen. Daraus kann eine exekutive Alltagsintelligenz erwachsen, mit der sich Probleme lösen lassen.

Begleitend zu den Koalitionsverhandlungen sind die Umfragewerte der AfD gestiegen. Besorgt Sie das?

Wir haben als rheinland-pfälzische SPD Übung darin, mit Umfragen umzugehen. Es gab solche, die so schlecht waren, dass wir als Landesregierung gleich die Arbeit hätten einstellen können. Am Ende konnten wir bei den Wahlen die Menschen immer von uns überzeugen. In den heutigen Umfragen im Bund stecken viele Einflüsse: Wir haben es mit einem Zollkrieg zu tun, der sich auch auf deutsche Arbeitsplätze auswirken dürfte, die kriegerische Auseinandersetzung in Osteuropa ist nicht entschärft und viele Bürger spüren noch immer die Folgen der Inflation. Die letzte Bundesregierung ist abgewählt worden, alle drei Parteien sind weit unter ihren Erwartungen geblieben, gleichzeitig ist die neue Bundesregierung noch nicht angetreten. Wenn es im Mai eine neue Bundesregierung gibt, wird es mehr Klarheit geben und manches kann zur Ruhe kommen.

Ende Juni will die SPD ihre Führung neu aufstellen. Stimmen Sie für Saskia Esken?

Welche Erwartungen haben Sie an die künftige SPD-Spitze?

Ich hoffe, dass es einige neue Identifikationsfiguren gibt. Neben der Programmarbeit müssen wir immer berücksichtigen, dass Menschen Menschen wählen. Wenn man sich verändert, da sind aber immer noch die gleichen Personen, ist das schwer zu vermitteln.

Wollen Sie ein neues Gesicht an der SPD-Spitze sein?

Ich will nicht SPD-Vorsitzender werden. Im vergangenen Jahr habe ich in Rheinland-Pfalz eine Aufgabe übernommen. Ich möchte nicht nur in dieser Legislaturperiode regieren, ich möchte mit der SPD die Landtagswahl im März kommenden Jahres gewinnen. Darauf konzentriere ich mich komplett.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat Volker Wissing, der die FDP verlassen hat und Verkehrsminister blieb, sehr gelobt. Sehen Sie ihn im nächsten Kabinett?

Das halte ich für eine mediale Debatte.

Es waren schon sehr herzliche Worte.

Er ist herzlich willkommen. Ich habe immer gerne in Rheinland-Pfalz mit Volker Wissing zusammengearbeitet und es war ein gutes Miteinander. Im Ernst: Volker Wissing hat für sich persönlich eine Entscheidung getroffen. Ich sehe nicht, dass er morgen einen rheinland-pfälzischen SPD-Ortsverein führt.

Sollte die nächste Bundespräsidentin eine Frau sein?

Haben Sie jemanden im Blick?

Nein. Um die Debatte zu führen, müssen nicht gleich Namen genannt werden. Es wird gute geeignete Kandidatinnen geben. Ein Amt, das die gesamte Gesellschaft repräsentiert und auch eine wichtige Symbolik hat, sollte nach zwölf Männern auch aus symbolischen Gründen endlich mal von einer Frau ausgeübt werden.