Die USA und China befänden sich in einem Konflikt, der sich auf der ganzen Welt abspiele, sagt der geopolitische Analyst Dmitri Alperovitch. Europa müsse nun für sich selbst schauen.

China und die USA bereiten sich auf einen möglichen Krieg um Taiwan vor: Das taiwanische Militär übt jedes Jahr für den Fall einer chinesischen Invasion.
Als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, waren viele Beobachter, Politiker und gar Nachrichtendienste überrascht. Einer war es nicht: Dmitri Alperovitch. Der geopolitische Beobachter aus den USA war bereits zwei Monate zuvor überzeugt, dass der russische Präsident diesen Schritt machen würde. Er sollte recht behalten.
Alperovitch ist ein Analyst, der Geopolitik mit Expertise in den Bereichen Technologie und Cybersicherheit verbindet. Er kam 1980 in Moskau in der damaligen Sowjetunion zur Welt und emigrierte als 13-Jähriger in die USA. Dort wurde er zum Spezialisten für Cybersicherheit und gründete die IT-Sicherheitsfirma Crowdstrike mit.
Heute beschäftigt sich Alperovitch mit Politik und Technologie. Vergangenes Jahr hat er das Buch «World on the Brink» über den Konflikt zwischen den USA und China veröffentlicht.
Herr Alperovitch, Sie sprechen von einem kalten Krieg zwischen den USA und China, der im Gange ist. Brauchen die USA dabei Europa als Verbündeten?
Die USA brauchen die Unterstützung Europas, um China zu bremsen. Europa spielt im Chipbereich eine entscheidende Rolle mit Unternehmen wie ASML in den Niederlanden oder Zeiss in Deutschland. Diese Firmen sind entscheidend für die Herstellung von Chips. Wenn die USA die Möglichkeiten Chinas einschränken wollen, selbst hochmoderne Chips für KI herzustellen, müssen sie mit Europa zusammenarbeiten.
Wie kann das geschehen?
Die USA haben Instrumente, um Europa zum Handeln zu bewegen. Eine wirtschaftliche Waffe des Handelsministeriums besagt zum Beispiel: Die USA können den Export von jedem Produkt einschränken, das bestimmte amerikanische Technologie enthält. Egal, wo es hergestellt wird. Die Maschinen von ASML zur Chipproduktion enthalten amerikanische Komponenten. In anderen Bereichen mag eine Regulierung schwieriger sein, aber die amerikanische Regierung hat eine Menge Druckmittel zur Hand.
Europa verliert das Vertrauen in die USA, seit Trump an der Macht ist. Schwächt dies Amerika im Konflikt mit China?
Ich glaube nicht. Es mag sein, dass Sie die Vereinigten Staaten in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht mögen. Aber mögen Sie China? Zwischen den USA und China zu wählen, fällt vielen Ländern nicht schwer. Insbesondere wenn ihnen die Menschenrechte und die Stabilität in Asien am Herzen liegen.
Europa ist besorgt wegen der grossen technologischen Abhängigkeit von den USA. Ist es realistisch, dass Europa unabhängiger wird von den USA, zum Beispiel bei den Cloud-Diensten?
Diese Diskussionen gab es schon vor Donald Trump. Die Europäer versuchen seit Jahrzehnten, mit dem amerikanischen Technologiesektor mitzuhalten. Viele Vorschriften der Europäischen Union zielen darauf ab, die grossen Tech-Firmen aus den USA zu bremsen. Nichts davon hatte Erfolg. Speziell im Cloud-Sektor halte ich es für unwahrscheinlich, dass Europa Erfolg haben wird.
Warum?
Es gibt einen entscheidenden Grund. Alle Unternehmen, die erfolgreich ihre riesigen Cloud-Systeme aufgebaut haben und damit auch im Rennen um KI erfolgreich sind, haben ein grosses Zusatzgeschäft: Microsoft mit der Unternehmenssoftware, Google mit dem Werbegeschäft und Amazon mit dem Online-Shopping. Diese Geschäftsbereiche generieren einen riesigen Cashflow, den die Firmen für Investitionen im Cloud-Bereich verwenden können. Das gilt in gewissem Masse auch für Huawei und Tencent in China. In Europa gibt es keine Unternehmen, die profitabel genug sind, um mithalten zu können.
War es ein Fehler, dass Europa nicht früher, vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, stärker auf technologische Unabhängigkeit gesetzt hat?
Europa hat das ja versucht, aber nie geschafft. Mit dem amerikanischen Tech-Sektor zu konkurrieren, ist sehr, sehr schwierig. China ist das einzige Land, das einige Alternativen hat.
Europa ist selbst beim Ukraine-Krieg von den USA abhängig. Die amerikanische Regierung will den Krieg um jeden Preis beenden, wie es scheint. Stärkt ein schlechter Frieden nicht Russland und China?
Dmitri Alperovitch ist Experte für Geopolitik, Technologie und Cybersicherheit.
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Verhandlungen in absehbarer Zeit zu einem Ergebnis kommen werden. Das Problem ist: Die amerikanische Regierung möchte einen Frieden, während die Kriegsparteien den Sieg wollen. Als Vermittler kann man jedoch nicht mehr erreichen, als die Parteien selbst wollen. Bei den Verhandlungen um die Ukraine erkennt die amerikanische Regierung vermutlich allmählich, dass keine Einigung absehbar ist. Die USA werden sich wohl in naher Zukunft von diesem Konflikt abwenden und sich auf andere Dinge konzentrieren.
Was bringt ein Ende des Ukraine-Kriegs den USA?
Die USA haben mit ihrer Unterstützung der Ukraine viel erreicht. Zum einen ist die Ukraine unabhängig geblieben. Zum anderen, und das ist vielleicht noch wichtiger, haben die amerikanischen Investitionen von rund 100 Milliarden Dollar die Kampfkraft der russischen Landstreitkräfte dezimiert. Aber nun werden die Erfolge geringer. Der Chef des amerikanischen Regionalkommandos für den indopazifischen Raum sagt, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine die amerikanischen Lagerbestände aufbrauchen, die die USA eigentlich für den Kampf gegen China brauchen. Es gilt also abzuwägen. Ich persönlich fände es eine Tragödie, wenn wir die Ukraine an Russland verlieren würden. Aber man muss auch die Abschreckung gegenüber China im Pazifikraum berücksichtigen.
In Ihrem Buch «World on the Brink» beschreiben Sie, wie die USA den Wettlauf mit China noch gewinnen könnten. Warum ist es ein Wettlauf?
China sieht es so. Wenn Sie in einer Kneipe sind und jemand schlägt Sie, geraten Sie in eine Kneipenschlägerei. Ob Sie das mögen oder nicht. Sie können sich zurückziehen, oder Sie können kämpfen. Dieselben Optionen haben die USA mit China. Die USA scheuen traditionellerweise keinen Kampf. Es ist ein kalter Krieg, mit vielen Ähnlichkeiten zum ersten Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion.
Inwiefern?
Der Konflikt zwischen den USA und China spielt sich auf der ganzen Welt und in allen Bereichen ab: diplomatisch, militärisch, ökonomisch und technologisch. Spätestens seit Trumps Strafzöllen 2018 herrscht ein wirtschaftlicher Konflikt. Beide Seiten bereiten sich auf einen möglichen Krieg um Taiwan vor. Taiwan ist das neue Westberlin. Es findet ein neues konventionelles und nukleares Wettrüsten statt und ein neuer Wettlauf im Weltraum. Der Wettlauf zum Mond war vielleicht der prägendste Moment des Kalten Krieges. Und was passiert jetzt? Wir versuchen, zurück auf den Mond zu kommen, bevor es den Chinesen gelingt.
Sie vergleichen den Konflikt mit einer Kneipenschlägerei. Aber hat China zuerst zugeschlagen? Trump startete 2018 den Handelskrieg.
Sie müssen viel weiter zurückgehen als 2018. Trump begründete seinen Schritt mit dem massiven und unbestrittenen Diebstahl von geistigem Eigentum in den zwei Jahrzehnten davor. China stahl alles, was es kriegen konnte. Gleichzeitig hinderte es amerikanische und westliche Unternehmen daran, in China tätig zu werden. China schlug zuerst zu, es führte einen Wirtschaftskrieg.
Können die USA diesen neuen kalten Krieg gewinnen?
Absolut. China ist in vielen Bereichen unglaublich schwach. Chinas Wirtschaft ist abhängig von Exporten. Gleichzeitig ist das Land daran, seinen wichtigsten Kunden, die USA, zu verlieren. China ist zudem äusserst abhängig von Rohstoffimporten wie Öl aus Nahost, deren Lieferungen die amerikanische Marine leicht blockieren könnte. In China findet ein demografischer Kollaps statt, und die Wirtschaft stagniert. Xis Ziel, die chinesische Volksbefreiungsarmee bis 2027 für eine Invasion Taiwans bereit zu machen, ist extrem schwierig zu erreichen. China steht also vor enorm vielen Herausforderungen.
Es sieht gut aus für die USA?
Ein Sieg ist nicht garantiert. Die USA haben enorme Vorteile, aber es kann sein, dass wir diese verspielen. Im Vergleich zu China haben wir beträchtliche Stärken, vor allem im Wettlauf um KI. Diese Technologie wird entscheidend sein für die wirtschaftliche und militärische Stärke im 21. Jahrhundert. Die USA sind im KI-Wettlauf nicht nur weit voraus, sie kontrollieren auch die kritischen Komponenten. Das hindert China daran, Fortschritte zu machen. Vor kurzem hat die Trump-Regierung den Export der letzten Chipmodelle von Nvidia verboten, die noch verkauft werden konnten. Jetzt gibt es keine amerikanischen KI-Chips mehr, die an China geliefert werden dürfen.
Anfang Jahr überraschte China die Welt mit dem Chatbot von Deepseek. Die USA wollen solche chinesischen KI-Entwicklungen stoppen?
Richtig. Das Modell von Deepseek wurde mit Nvidia-Chips trainiert. Indem die USA den Zugang zu solchen Chips stoppen, schränken sie China bei der Entwicklung von KI-Anwendungen ein. Für China wird die Situation mit den neuen Exportkontrollen noch schwieriger.
Wann würden Sie sagen, die amerikanischen Exportkontrollen hätten ihr Ziel erreicht?
Das Ziel der Amerikaner ist es, China einzudämmen. Genau so wie wir im ersten Kalten Krieg die Sowjetunion eingedämmt haben, um sicherzustellen, dass die USA die Supermacht Nummer eins blieben.
China will bis 2027 bereit sein für einen Krieg um Taiwan. Donald Trump wäre dann noch Präsident. Würde er die amerikanischen Streitkräfte für Taiwan in den Krieg schicken?
Das ist die grosse Frage. Präsident Joe Biden hat fünfmal gesagt, er würde amerikanische Truppen schicken, um für Taiwan zu kämpfen. Doch selbst unter Biden wäre der Entscheid wohl offen gewesen. Gegen China, eine Atommacht, Krieg zu führen mit täglichen Verlusten, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr hatten, ist ein sehr schwieriger Entscheid.
Was bedeutet das?
Wir müssen China überzeugen, dass sich die USA in den Krieg einmischen würden. Das kann China abschrecken. Die Devise lautet: Den Krieg hinauszögern, um ihn zu vermeiden. Das Letzte, was wir wollen, ist ein Krieg mit China. Und nebenbei: Ein solcher Krieg würde niemanden unversehrt lassen, auch Europa nicht.
Im ersten Kalten Krieg waren die Europäer enge Verbündete der USA. Was bedeutet es, dass dieses Bündnis nun möglicherweise zerbricht?
Im ersten Kalten Krieg gab es teilweise erhebliche Spannungen zwischen den USA und den Europäern. Es ist fraglich, ob die Spannungen heute grösser sind als jene, die es beispielsweise zwischen den USA und den Briten sowie den Franzosen während der Suezkrise 1956 gab. Auf jeden Fall ist die jetzige amerikanische Regierung der Ansicht, dass Europa im Wettlauf mit China viel weniger relevant ist als früher.
Teilen Sie diese Ansicht?
Ich glaube, Europa ist wichtig. Ich halte es für eine schlechte Strategie, die Europäer grundlos gegen sich aufzubringen. Aber die Trump-Regierung hat in einem Punkt recht: Der Fokus der Weltpolitik liegt auf Asien. Die amerikanische Strategie «Pivot to Asia», die Hinwendung zu Asien, die bereits Obamas Aussenministerin Hillary Clinton 2012 verkündet hatte und die zahlreiche Folgeregierungen umzusetzen versuchten, findet jetzt statt. Und wenn man sich etwas Neuem zuwendet, heisst das auch, dass man sich von etwas anderem abwendet. Europa wollte das jahrelang nicht wahrhaben. Jetzt bringt gerade Trumps Rhetorik die Europäer dazu, ihre Sichtweise auf die eigene Verteidigung zu verändern. Das ist gut. Meine Freunde in Europa sind wütend, aber die Strategie ist wirksam.
Welche Rolle wird Europa künftig in der Welt spielen? Müssen wir uns mit Russland arrangieren, weil es die Supermacht in der Region ist?
Russland ist keine Supermacht. Seine Wirtschaft ist so gross wie jene Italiens. Europa sollte viel stärker sein als Russland. Dass sich die USA abwendeten, war unvermeidlich. Wir haben einfach nicht mehr die Ressourcen, die wir früher hatten. Jetzt muss Europa seine Anstrengungen verstärken, um militärisch unabhängiger von den USA zu werden. Wie schnell das geschieht, bleibt abzuwarten.