Ministerium entlastet Historiker Hasselhorn nicht

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Der am 12. März verabschiedete Beschluss des Studierendenparlaments der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) mit der Überschrift „Gegen neurechte Diskursverschiebung in der Lehre“ umfasst fünf Punkte. Mit Punkt 4 wurde Benjamin Hasselhorn, Akademischer Rat und Privatdozent am Lehrstuhl für Neueste Geschichte, zur Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung des Inhalts aufgefordert, nicht unter Pseudonym in der Zeitschrift „Sezession“ veröffentlicht zu haben. Auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks und der Zeitung „Main-Post“ räumte Hasselhorn daraufhin erstmals ein, dass er 2014 unter dem Pseudonym Martin Grundweg in der rechtsintellektuellen Zeitschrift publiziert hatte. Niklas Weber, ein Kulturwissenschaftler, der an der Berliner Humboldt-Universität mit einer Arbeit zur Kulturgeschichte der Eisenbahnreise promoviert worden ist, hatte Hasselhorns Autorschaft der Grundweg-Artikel schon 2021 in der „taz“ quellenkritisch nachgewiesen.

Das Studierendenparlament verlangte von Hasselhorn, der seit 2019 an der Universität beschäftigt ist, Klarheit in der Urheberfrage und begründete diese Forderung mit einer „Analyse der Konrad Adenauer Stiftung“, wonach einer der Hasselhorn zugeschriebenen Artikel eine „metapolitische Delegitimierung“ des politischen Systems der Bundesrepublik „im Sinne einer radikalen Alternative“ propagiert habe. „Diese müsse mit dem Mehrheitsprinzip brechen und eine neue Elitenherrschaft begründen.“ Die Studenten stellten fest, eine „solche Haltung“ sei „absolut unvereinbar mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung“.

Aussagekräftige Quelle für Uwe Backes

Der Aufsatz „Zum Weltbild der Neuen Rechten in Deutschland“, den die Parteistiftung der CDU im Oktober 2018 in ihrer Schriftenreihe „Analysen und Argumente“ veröffentlichte, stammt von Uwe Backes, einem Pionier der Extremismusforschung. Die Studenten haben Backes missverstanden. Er verweist auf den Artikel „Demokratie von rechts“ aus dem Juniheft 2014 der „Sezession“, weil der als Martin Grundweg firmierende Autor dort die von Backes referierte Strategiedebatte der Neuen Rechten darstellt und in ihr Partei ergreift. Hasselhorn plädierte in der Grundweg-Maske aber nicht für den Verfassungsbruch, sondern für einen Kurs des Legalismus, in den Worten von Backes „eine Strategie populistischer Massenmobilisierung“ im Rahmen des Systems. Der Fehler der Studenten macht nun aber nicht richtig, was in der „Solidaritätserklärung“, die der Althistoriker Burkhard Meißner von der Hamburger Bundeswehr-Universität aufsetzte, über den Artikel steht: Dieser sage das „Gegenteil“ des von den Studierenden Unterstellten; „Kollege Hasselhorn“ habe „Elitenherrschaft ausdrücklich abgelehnt, sich für eine ‚Stärkung des Mehrheitsprinzips‘ ausgesprochen und eine ,eindeutige Parteinahme für die Demokratie‘ verlangt“.

Führte mit dem Präsidenten seiner Universität nach Angaben von deren Pressestelle am 8. April 2025 ein „intensives Gespräch“ im Wissenschaftsministerium in München: Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte in Würzburg.
Führte mit dem Präsidenten seiner Universität nach Angaben von deren Pressestelle am 8. April 2025 ein „intensives Gespräch“ im Wissenschaftsministerium in München: Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte in Würzburg.Wikimedia

Elitenherrschaft lehnt der Artikel nur deshalb ab, weil es anders als in der Weimarer Republik für eine rechte Revolution von oben an einer „real existierenden Gegenelite“ fehle. Die „gegenwärtige politische Elite“ sei der „Gegner jedes Konservatismus“, und in den „denkbaren Gegeneliten aus dem wirtschaftlichen Bereich“ finde man „die vehementesten Befürworter – und Vorbereiter – einer postdemokratischen Plutokratie“. Einen taktischen Zweck hatte in diesem apokalypti­schen Szenario die Stärkung des Mehr­heits­prinzips: Nur jenseits der Eliten hoffte Hasselhorn noch auf „Widerstandsreserven gegen die massiven staatlichen Selbstzerstörungstendenzen“. Die Parteinahme für die Demokratie erfolgte gemäß bekannter konservativ-revolutionärer Denkungsart unter dem Vorbehalt eines Primats der Lageanalyse: Wer die alten konservativen Einwände gegen die Demokratie in die politische Tat umsetzen wolle, solle überlegen, wem „gegenwärtig eine Ächtung des Mehrheitswillens tatsächlich“ nützen würde.

Thema und Adressat des Artikels ist „die Rechte“, und so verwendet ihn Backes als aussagekräftige Quelle für eine interne Debatte der Neuen Rechten, die einig ist in der Systemkritik und nur über die Mittel der Systemüberwindung streitet. Hasselhorns nachgereichte Erläuterung, er habe „für einen dezidiert demokratischen deutschen Tory-Konservatismus geworben“, verschleiert den politischen Sinn seines Debattenbeitrags, übrigens durchaus nicht ungeschickt, weil die englische Tradition der Tory-Demokratie, die sich auf Benjamin Disraeli beruft, sehr wohl auch antiparlamentarische und antipluralistische Optionen einschließt.

Die Presseinformation vom 8. April 2025

Diese Beschwichtigung scheint auch höheren Orts nicht ohne Wirkung geblieben zu sein, teilte doch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst am 8. April der Presse mit: „Es besteht Einigkeit, dass die von Teilen der Studierenden kritisierten Äußerungen und Publikationen, auch von Lehrstuhlmitarbeitern, – entsprechend der Prüfungen der von der Hochschulleitung eingesetzten Taskforce – in keiner Weise zu beanstanden sind.“ Hasselhorn spricht gegenüber der F.A.Z. von einer „Klarstellung“ des Ministeriums, sein Chef Peter Hoeres in der „Berliner Zeitung“ von einer „deutlichen Stellungnahme des bayerischen Wissenschaftsministeriums“. Laut der „Tagespost“ „stellte“ das Ministerium „per Pressemitteilung fest“, dass die Vorwürfe „haltlos sind“. Ein „Indiz“ einer „Trendwende“ sieht der Kommentator des rechtskatholischen Blattes mit einem Schlagwort der Kulturkämpfe der Siebzigerjahre, denn „dass eine Landesregierung öffentlich die Reputation von Wissenschaftlern wiederherstellt, die Opfer einer linken Cancel-Kampagne geworden sind“, habe „höchsten Seltenheitswert“.

Wegen verschiedener Vorgänge an den freistaatlichen Museen musste sich Bayerns Kunst- und Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) zuletzt häufig zu geschichtspolitischen Fragen äußern.
Wegen verschiedener Vorgänge an den freistaatlichen Museen musste sich Bayerns Kunst- und Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) zuletzt häufig zu geschichtspolitischen Fragen äußern.dpa

Aber hat das höchst seltene Ereignis tatsächlich stattgefunden? Auf Nachfrage der F.A.Z. möchte das von Markus Blume (CSU) geleitete Ministerium gar keine Bewertung der Angelegenheit vorgenommen haben. Die Presseinformation gebe lediglich „das Ergebnis des Gesprächs“ zwischen dem Präsidenten der Universität Würzburg und Peter Hoeres wieder, das im Ministerium „auf Vermittlung des Staatsministeriums stattgefunden“ habe, „um den Hochschulfrieden und einen offenen Diskurs im Sinne der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit an der JMU vollumfänglich zu wahren“. Hasselhorn hat gegenüber der Presse seine demokratische Bona fides auch mit seiner Mitgliedschaft in der CSU begründet. Erst in seinem „Welt“-Artikel vom 23. April erwähnte er, dass er bis 2019 sechs Jahre lang (nach „Welt“-Rechnung: „kurzzeitig“) Mitglied der AfD war. Just 2019, in dem Jahr, als Hasselhorn seine Würzburger Stelle antrat, sagte der heutige Wissenschaftsminister Blume als damaliger CSU-Generalsekretär, eine Aufnahme von früheren AfD-Mitgliedern in die CSU setze „zwingend eine glaubwürdige Distanzierung von der Gesinnung der AfD und ein uneingeschränktes Bekenntnis zu unseren Grundwerten voraus“. Die Frage der F.A.Z., ob dem Staatsministerium Hasselhorns frühere AfD-Mitgliedschaft zum Zeitpunkt der Presseinformation schon bekannt war, beantwortete das Ministerium nicht.

Dass in der Presseinformation eines Ministeriums die Erweiterung des Veranstaltungsangebots eines einzelnen Lehrstuhls angekündigt wird, hätten vereinsmäßig vernetzte Wächter der Wissenschaftsfreiheit in anderer Konstellation wohl als Eingriff in die Lehrfreiheit des betroffenen Professors gerügt. Wie kam es dazu, dass diese Erweiterung im Ministerium vereinbart wurde? Die Universität teilt mit, dass „der Präsident persönlich ein intensives Gespräch mit dem Inhaber des Lehrstuhls geführt“ habe. „In diesem verständigten sich Lehrstuhlinhaber und Präsident unter anderem darauf, möglichst bald einen ergänzenden Lehrauftrag im Fach Neueste Geschichte zu erteilen. Die an der JMU standardmäßig durchgeführten Evaluationen der Lehrveranstaltungen am Lehrstuhl waren durchwegs positiv, enthielten aber vereinzelt die Bitte, für Lehramtsstudierende vertieft Themen der NS-Zeit und des Holocaust anzubieten. Dieser Wunsch wird vereinbarungsgemäß derzeit vom Lehrstuhlinhaber als Modulverantwortlichen in Abstimmung mit der zuständigen Fakultät umgesetzt.“

Die in der Presseinformation erwähnte Taskforce (ein Instrument für Ad-hoc-Untersuchungen, das Staatsminister Blume schätzt) bestand aus „Juristen und Kommunikatoren“. Sie hat laut Auskunft der Universität nur geprüft, „ob ein straf- oder disziplinarrechtlich relevantes Verhalten“ vorliege. „Dies war nach intensiver Prüfung nicht der Fall. Es wurden Stellungnahmen der Philosophischen Fakultät, der Studierenden und selbstverständlich der betroffenen Mitarbeitenden eingeholt.“ Wenn sich der Untersuchungsauftrag von vornherein auf das Straf- und Dienstrechtliche beschränkte und auch die Kommunikatoren keine weiter gezogenen Maßstäbe für einen etwaigen Ansehensschaden der Universität ins Spiel bringen durften, ist die Formulierung „in keiner Weise zu beanstanden“ sehr unglücklich. Sie legte nahe, dass der Artikel „Demokratie von rechts“ nicht nur rechtlich, sondern auch politisch für unbedenklich erklärt werden sollte – im Sinne einer amtlichen Ratifikation der von Hoeres und Hasselhorn verbreiteten Legende, er habe der Verteidigung der FDGO gedient. Auch der Bayerische Rundfunk verbreitete am 9. April eine Nachricht, die sich jetzt als falsch darstellt: „Das Ministerium entlastet den Lehrstuhl.“