Steuerschätzung, Bundeshaushalt, Treffen mit Amtskollegen – Lars Klingbeil muss als frisch gekürter Bundesfinanzminister sofort durchstarten. Wenn Friedrich Merz (CDU) am nächsten Dienstag zum Bundeskanzler gewählt ist, kann der CDU-Politiker die Kabinettsmitglieder benennen. Anschließend geht es hinüber zum Bundespräsidenten, um die Urkunden in Empfang zu nehmen. Dann beginnt die abenteuerliche Reise des nunmehr unbestrittenen mächtigsten Mannes in der SPD.
Klingbeil wird nicht nur Vorsitzender der SPD sein, sondern auch Vizekanzler und Fachminister mit Einwirkungsmöglichkeiten in jedes Ressort. Sein künftiges Haus besitzt Spiegelreferate für alle anderen Ministerien, um deren Ausgabengebaren kritisch begleiten zu können. Bisher hat der Niedersachse kein großes Interesse an seinem neuen Themenfeld gezeigt. Nun muss er sich und aller Welt beweisen, dass die Aufgabe für ihn nicht zu groß ist, schließlich dürfte er sich in vier Jahren um noch Größeres bewerben wollen. Wird sein Projekt im Finanzministerium gelingen?
Für die Einnahmen ist wenig Gutes zu erwarten
Klingbeil muss einen Kavalierstart hinlegen. Schon in der Woche nach Erhalt seiner Ernennungsurkunde darf er das Ergebnis der Steuerschätzung verkünden. Die offizielle Frühjahrsprojektion, die Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor wenigen Tagen vorlegt hat, lässt wenig Gutes für die Einnahmen des Bundes erwarten. Doch zuletzt hatte sich das Steueraufkommen überraschend positiv entwickelt. Noch ist unklar, was die Schätzer unter dem Strich schreiben werden.
Sicher ist dagegen, dass der Neue im Ministerium an der Wilhelmstraße sich auf bohrende Nachfragen einstellen muss: Was heißt das Ergebnis für den Bundeshaushalt 2025, den die Regierung noch vor der Sommerpause ins Gesetzblatt bringen will? Wie groß sind die Lücken in der Finanzplanung bis zum Jahr 2029? Was heißt das für die schwarz-roten Projekte aus dem Koalitionsvertrag, die alle unter Finanzierungsvorbehalt stehen? Das potentielle Frage-Antwort-Spiel reicht von A wie Abschreibung (Stichwort: Investitionsbooster von 30 Prozent) bis Z wie Zollpolitik – testet doch Donald Trump im Weißen Haus die Belastungsgrenzen der Weltwirtschaft und der Börsen aus.
Klingbeil hat einen großen Startvorteil. Der amtierende Amtsinhaber Jörg Kukies ist ein ihm wohlgesinnter Parteifreund, der die Übergabe penibel vorbereitet. „Meine Mission der letzten zwei Monate und nächsten zwei Wochen ist es, die Vorarbeiten zu leisten, dass die nächste Regierung schnell zu Potte kommt“, berichtete Kukies unlängst am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds in Washington. Nicht zuletzt in der Haushaltspolitik ist das extrem hilfreich, weil der mehr als 1000 Seiten dicke Haushaltsentwurf für das Kabinett gut vorbereitet sein muss.
Wie wird sich Klingbeil schlagen?
Nicht nur die heimischen Beobachter der Finanzpolitik werden genau verfolgen, wie sich der Novize im wohl wichtigsten Ministerium schlagen wird. In Brüssel warten seine Kollegen schon gespannt auf das erste Treffen. Die nächste Gelegenheit wird schon am ersten Montag nach seinem Amtsantritt sein. Dann tagt die Eurogruppe, am folgenden Dienstag ist das übliche Treffen im Rat der Fachminister, dem ECOFIN. Eine Woche später ist der Austausch mit den Amtskollegen und Notenbankgouverneuren aus den sieben westlichen Industrieländern (G 7) im kanadischen Ferienort Banff.
Eckhard Janeba, Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim, bezeichnet Klingbeil als „langjährigen Politprofi“, der mit vielen Themen vertraut ist. „Wenig Erfahrung scheint er im europäischen und internationalen Bereich zu haben, was für den Finanzminister ein wichtiges Feld ist, siehe die aktuelle Diskussion um die europäische Schuldenregeln oder den Dollar-Euro Wechselkurs“, hebt der Ökonom gegenüber der F.A.Z. hervor.
Das persönliche Defizit kann der SPD-Politiker nach Janebas Einschätzung durch eine kluge Besetzung der Staatssekretäre auffangen. Er verweist auf Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der seinerzeit Kukies in dieser Funktion von der Investmentbank Goldman Sachs zu sich geholt hatte. „Dieses Modell haben wir auch bei anderen Ministerien gesehen: Robert Habeck hatte sich Sven Giegold und Franziska Brantner geholt, wobei Habeck dann als Folge der Energiekrise schnell in der Weltpolitik angekommen ist“, betont Janeba, der Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Wirtschaftsministerium ist.
„Ein Minister muss ein gutes Team aufbauen“
Der Ökonom Jens Südekum gehört schon länger zu Leuten, mit denen sich der SPD-Chef austauscht. Der Hochschullehrer aus Düsseldorf, der selbst Sozialdemokrat ist, hat keinen Zweifel, dass dessen Amtszeit auch ohne ein darauf ausgerichtetes Studium oder politische Arbeit in den entsprechenden Fachgremien gelingen wird. „Lars Klingbeil ist ein politischer Allrounder mit jeder Menge Erfahrung und schneller Auffassungsgabe. Deshalb wird er sich problemlos in die Themen und seine Rolle als Finanzminister und Vizekanzler einarbeiten können“, sagt der Volkswirt.
Klingbeil hat in den Jahren 1999 bis 2004 in Hannover Politische Wissenschaft, Soziologie und Geschichte studiert (Abschluss Magister). Der Wirtschaftswissenschaftler Südekum weist gegenüber der F.A.Z darauf hin, dass Klingbeil im Finanzministerium erfahrene Mitarbeiter vorfinden wird und Leute aus dem Kanzleramt zu sich holen kann. „Darauf kommt es letztlich an: Ein Minister muss ein gutes Team aufbauen und steuern können, und er muss wissen, wie Politik funktioniert. Und das weiß er.“
Der Freiburger Finanzwissenschaftler Lars Feld war in der vergangenen Legislaturperiode der offizielle Berater von Klingbeils Vorvorgänger Christian Lindner (FDP). Von ihm hört man Überraschendes zu der schon länger erwarteten Personalie. Klingbeil sei wie Lindner Politikwissenschaftler. „Studien zeigen, dass Juristen an der Spitze des Hauses eher für stabile Finanzen sorgen als Ökonomen“, berichtet Feld im Gespräch.
Ein guter Finanzminister bringt nach den Worten von Feld vor allem drei Eigenschaften mit. Erstens lässt er sich von seinen Fachleuten im Ministerium beraten und ist offen für diese Beratung. Er ist zweitens in der Lage, tragfähige Kompromisse zu erzielen, und muss daher über Verhandlungsgeschick verfügen. Drittens ist er bereit, sich in finanz- und steuerpolitische Details einzuarbeiten, selbst wenn sie kompliziert sind. „Und genug zu tun, wird es geben.“
Das Gesamtergebnis ist aus Sicht von Feld positiv: „Vor diesem Hintergrund kann ich mir gut vorstellen, dass Lars Klingbeil ein guter Minister wird.“ Verhandlungsgeschick habe er jedenfalls in der Gesprächen zur Bildung dieser Koalition bewiesen, wie die Dominanz der von der SPD gewünschten Maßnahmen im Koalitionsvertrag belegten. „Ob dies zu einer soliden Finanzpolitik führen wird, darf man jedoch angesichts der Lockerung der Schuldenbremse, ihrer weiteren Torpedierung aus dem SPD-Lager und den finanzwirksamen Vorhaben des Koalitionsvertrags bezweifeln.“ Es bleibe zu hoffen, „dass Deutschland unter der Führung von Lars Klingbeil und Friedrich Merz nicht erneut, wie schon im Jahr 2003, die Axt an die europäischen Fiskalregeln legt“.