Tony Blair attackiert „irrationale“ grüne Klimapolitik

11

Tony Blairs Wort besitzt in der britischen Labourpartei noch immer Gewicht. Der frühere Premierminister hat sich nun mit einer Kritik an einer „irrationalen“ Klimapolitik zu Wort gemeldet, die den aktuellen Labour-Regierungschef Keir Starmer in die Bredouille bringt.

Die Wähler hätten in vielen entwickelten Ländern das Gefühl, „dass sie zu finanziellen Opfern und Änderungen ihres Lebensstils aufgefordert werden, obwohl sie wissen, dass die Auswirkungen auf die globalen Emissionen minimal sind“, schreibt Blair im Vorwort zu einem aktuellen Bericht des Tony Blair Institute.

Er warnte davor, dass die Wähler sich deshalb vom Ziel der Klimaneutralität („Net Zero“) abwenden könnten. Trotz hoher Investitionen in Erneuerbare Energien funktioniere der gegenwärtige Kurs nicht. In der Debatte gebe es „unrealistische“ Klimavorschläge. Zeitungen wie die „Times“ brachten daraufhin auf der Titelseite die Schlagzeile „Net Zero ist zum Scheitern verurteilt, sagt Tony Blair“.

Bisherige Klimapolitik scheitert

Seine kritische Intervention hat in der Labourpartei zu nervösen Reaktionen geführt. Umweltminister Steve Reed beharrte in einem TV-Interview darauf, dass die Labour-Politik richtig sei. Mit ihrem Fokus auf Erneuerbare Energien stärke sie zudem die Energiesicherheit. Auch Premierminister Keir Starmer wurde im Parlament zu einer Stellungnahme gezwungen. Starmer verteidigte die „Net Zero“-Politik der Regierung. Am Donnerstag meldete sich Blair nochmals zu Wort und sagte, er unterstütze im Prinzip auch diesen Weg.

Doch der Ex-Premier glaubt eben nicht, dass er erfolgreich sein werde. Daher sei ein Neustart der Klimapolitik nötig. Statt auf einem Pfad zu beharren, der zu steigenden Kosten führe und zunehmend auf Widerstände im Volk stoße, solle die Politik mehr auf den Einsatz von Technologie setzen, um dem Klimawandel zu begegnen. Blair empfiehlt unterirdische Kohlenstoff-Lagerung und den vermehrten Einsatz von Kernkraftwerken. „Nuklearenergie wird ein wesentlicher Teil der Antwort sein“, schreibt Blair.

Warum die bisherige Klimapolitik mit dem Ziel „Net Zero“ zum Scheitern verurteilt sei, begründet der frühere Regierungschef mit den Verschiebungen in der Weltwirtschaft. Die großen Quellen für mehr CO2-Emissionen würden in der Zukunft „hauptsächlich von den sich entwickelnden Ländern kommen“. Diese Länder wollten in die Entwicklung ihres Wohlstands investieren, auch wenn es dagegen „grüne“ Bedenken gebe. Daraus resultiere ein Rückschlag gegen die Bemühungen, CO2-Emissionen zu reduzieren.

China, Indien und Afrika verbrauchen mehr

Politiker müssten ehrlich eingestehen, „der gegenwärtige Ansatz funktioniert nicht“, findet Blair. „Obwohl die Erneuerbaren Energien in den letzten 15 Jahren explosionsartig zugenommen haben und obwohl Elektrofahrzeuge der am schnellsten wachsende Sektor des Fahrzeugmarktes sind, wobei China in beiden Bereichen führend ist, sind die Produktion und die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen gestiegen, nicht gesunken, und werden bis 2030 weiter steigen“, gibt er zu bedenken.

China habe allein im Jahr 2024 den Bau von 95 Gigawatt neuen Kohle-Kraftwerken begonnen. Indien habe die Marke vom Abbau von einer Milliarde Tonnen Kohle in einem einzigen Jahr überschritten. Zunehmende Urbanisierung verstärke die Nachfrage nach mit hohem Energieaufwand hergestellten Stahl und Zement. Afrikas Bevölkerung werde sich in den nächsten Jahren bis 2030 verdoppeln, auch das treibe die Nachfrage nach mehr Energie und den Ressourcenverbrauch.

Investitionen in moderne Technik

Das seien „die unbequemen Tatsachen, die bedeuten, dass jede Strategie, die entweder auf einem kurzfristigen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen oder auf einer Begrenzung des Verbrauchs beruht, zum Scheitern verurteilt ist“, betont Blair.

Stattdessen plädiert er dafür, mehr in neue Technik zu investieren, um das Ruder noch herumzureißen. Blair spricht konkret die Kernfusion, nachhaltigen Flugzeugtreibstoff, grünen Stahl und eine emissionsarme Zementproduktion an. Statt nur Reduktion und Verzicht zu predigen, sollte man sich auch mehr auf die Technik der CO2-Lagerung konzentrieren, so genanntes Carbon Capture and Storage (CCS). Blair schreibt: „Wir sollten die Kohlenstoffabscheidung – die direkte Entfernung von Kohlenstoff sowie die Abscheidung an der Quelle – in den Mittelpunkt des Kampfes stellen.“ Außerdem betont er, dass die Kernenergie, die wenig CO2-Emissionen verursacht, einen wichtigen Beitrag leisten solle. „Die neue Generation kleiner modularer Reaktoren bietet Hoffnung auf eine Renaissance der Kernenergie, aber sie muss in die Energiepolitik der Länder integriert werden.“

Der 71 Jahre alte ehemalige Premierminister, der von 1997 bis 2007 das Vereinigte Königreich regierte und seine Partei als „New Labour“ auf einen marktwirtschaftlichen Reformkurs brachte, spricht sich damit für eine grundsätzliche Neuorientierung aus.

Brisant ist auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Reports des Blair-Instituts. Die Labourpartei schwächelt in Umfragen und droht, von der rechtspopulistischen Reformpartei von Nigel Farage überholt zu werden. Diese gehört zu den härtesten Kritikern des „Net Zero“-Kurses. Auch in der Konservativen Partei gibt es immer mehr kritische Stimmen, die warnen, ein zu scharfer und teurer Kurs für die Klimaneutralität könnte dem Land wirtschaftlich zu sehr schaden. Am Donnerstag finden in Teilen des Königreichs Kommunalwahlen statt, bei denen Reform UK auf hohe Zugewinne hofft.