„Unser Gegner ist die AfD“

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Sind Sie zufrieden damit, wie Friedrich Merz die Posten in der Bundesregierung vergeben hat, Herr Ministerpräsident?

Es gibt sicherlich verschiedenste Überlegungen und Proporzgedanken, die jede Gruppe oder jeder Landesverband hat. Ich habe dreimal ein Kabinett gebildet. Daher weiß ich, dass es da keinen idealen Weg gibt. Man kann nicht alle Wünsche berücksichtigen. Insgesamt denke ich aber, dass hier unter Einbeziehung der Parlamentarischen Staatssekretäre ein gutes Team bereitsteht.

Ist ein Muster zu erkennen?

Friedrich Merz hatte sich eine Strategie zurechtgelegt, wie man sieht. Er wollte Kandidaten aus dem Pool der Politik haben und Externe mit besonderen, auch wirtschaftlichen Qualifikationen. Da er einen stark wirtschaftspolitischen Wahlkampf geführt hat, ist das konsequent. Jeder wächst auch in seine Funktionen rein. Jedenfalls will er eine stimmige, homogene Politik aus einem Guss machen. Es ist eine auf das Kanzleramt und seine Führungsposition ausgerichtete Gesamtstruktur.

Ich bin da sehr hoffnungsvoll. Friedrich Merz hat zwar noch nie eine Regierung geführt. In Oppositionszeiten an der Spitze der Opposition zu stehen ist etwas anderes. Aber er ist da gut vorbereitet.

An der Spitze von Regierung, Partei und Fraktion stehen jetzt Männer aus Nordrhein-Westfalen, die zum Wirtschaftsflügel gehören. Ist das nicht etwas einseitig?

Gerhard Schröder hatte als Kanzler Arbeits- und Wirtschaftsministerium zusammengelegt in der Überzeugung, dass beides unterschiedliche Seiten derselben Medaille sind. Das war eine Voraussetzung für die Durchsetzung der Agenda 2010. Das Arbeitsministerium musste Friedrich Merz der SPD überlassen. Nun muss er sehen, wie er dennoch beide Säulen, die Wirtschafts- und die Sozialpolitik, zusammenbringt. Das muss durch Kommunikation und durch Handeln geschehen und Erfolge zeitigen. Da ist die ganze Koalition gefordert, auch der sozialdemokratische Partner.

Der christlich-soziale Gedanke, dem Sie sich stark verpflichtet fühlen, soll sich, wenn schon nicht durch einen Minister, wenigstens im Handeln zeigen?

Ja, es kann und muss im Vollzug passieren. Friedrich Merz muss dafür sorgen, dass er immer die Sozialpartner mit an dem Tisch hat, an dem Wirtschaftsrat und Mittelstand sitzen.

Keine klare wirtschaftspolitische Kante?

Mit klarer Kante, wie Sie es sagen, bekommen Sie in unserer Sozialen Marktwirtschaft nur sehr bedingt etwas hin. Gerade in der weltweit auch wirtschaftlich aufgeheizten Atmosphäre reicht das Lehrbuch der freien Marktwirtschaft, garniert mit sozialen Implikationen, nicht aus. China und jetzt auch Amerika spielen ökonomisch nach ganz anderen Regeln, als es das EU-Beihilferecht vorschreibt. Aber wenn wir weiter mitspielen wollen, muss die Politik auch bei uns in Deutschland Möglichkeiten haben, den Unternehmen und den Arbeitnehmern stärker zu helfen.

Reiner Haseloff in der Magdeburger Staatskanzlei
Reiner Haseloff in der Magdeburger StaatskanzleiDaniel Pilar
Nun soll es eine aus Ostdeutschland kommende Wirtschaftsministerin richten, die seit Langem für ein Energieunternehmen in Westdeutschland arbeitet. Was kann Katherina Reiche erreichen?

Ich kenne Frau Reiche seit vielen Jahren. Ihre Herkunft und ihre berufliche und politische Erfahrung stehen außer Frage.

Und genügt das zur Vertretung ostdeutscher Interessen?

Nun, da wird man die Bundesregierung insgesamt betrachten müssen. Ich sage immer, dass das Jahrbuch des Bundesamtes für Statistik für Politiker ein ständiger Begleiter sein sollte. Da finden sich die Unterschiede zwischen der DDR und der alten Bundesrepublik heute noch deutlich wieder. In sämtlichen Bereichen. Wir haben ein wiedervereinigtes Deutschland. Aber die Vereinigung ist noch nicht beendet. Die Sünden der Väter gehen bis ins dritte und vierte Geschlecht, heißt es in der Bibel. Das bedeutet: Hundert Jahre nach dem Mauerfall wird dann vielleicht im Statistischen Jahrbuch die teilungsbedingte Trennung zwischen Ost und West nicht mehr sichtbar sein.

Hat denn die CDU die Stimmung in Ostdeutschland ausreichend im Blick?

Ich bin mir nicht sicher. Man schaue sich die Ergebnisse der Bundestagswahl an: Die Ampel wurde von den Leuten abgewählt, klar. Aber die CDU stand doch auch auf dem Wahlzettel. Und trotzdem haben in vielen ostdeutschen Regionen knapp die Hälfte der Leute für die AfD gestimmt, die unser politisches System abschaffen will, so klar muss man das benennen. Wir haben die Pflicht, diese Lage wieder zu drehen. Daran muss sich die Bundesregierung messen lassen.

Der künftige CDU-Fraktionschef Jens Spahn scheint ja eher auf eine Normalisierung im Umgang der AfD als auf eine Abgrenzung zu setzen. Was ist Ihre Linie?

Die AfD ist nur so stark, weil die anderen Parteien Fehler gemacht haben. Ohne diese Defizite läge die AfD mit ihrer Programmatik im einstelligen Prozentbereich, mehr nicht. Wir müssen daher die Probleme bei der Migration und der Wirtschaft lösen. Das läuft nur über Europa, denn die politischen Entscheidungen fallen heute zu achtzig Prozent in Brüssel. Ich habe eine klare Meinung zum Umgang mit der AfD: Auf kommunaler Ebene werden keine Gesetze gemacht, da kann man die AfD nicht völlig raushalten. Mein Rat ist aber dennoch: Wenn die AfD ein Schlagloch schließen will, suche noch zwei weitere Schlaglöcher, schreib die in einen eigenen Antrag und beschließe diesen und nicht den Text der AfD. In den Landtagen und im Bundestag muss die Abgrenzung glasklar sein. Unsere Gegner dort sind nicht etwa SPD, FDP oder die Grünen, sondern die AfD. Das muss allen in der Union klar sein, und dementsprechend sollten wir uns auch verhalten.

Sie werden bekniet, bei der Landtagswahl im September 2026 noch einmal anzutreten, um den ersten AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern. Werden Sie diesen Bitten am Ende nachkommen?

Wir haben im Landesverband einen festen Zeitplan. Die Entscheidung fällt ein Jahr vor der Wahl. Das will alles sehr gründlich überlegt sein. Ich habe bei der Bundestagswahl mal einen kleinen Test gemacht und mich im heimischen Bundestagswahlkreis zusammen mit unserem Kandidaten Sepp Müller auf die Plakate drucken lassen. Wir haben dort ungefähr zehn Prozentpunkte mehr geholt als in anderen Wahlkreisen. Auch bei der Landtagswahl 2021 sind wir rund zehn Prozent über dem damaligen Bundesschnitt gelandet. Die Lehre ist: Es hängt viel von der Person an der Spitze ab.

Zur Wahrheit gehört aber, dass wir auch in meinem heimischen Bundestagswahlkreis klar hinter der AfD gelandet sind. Mit dem richtigen Kandidaten kann man vielleicht zehn Prozentpunkte zusätzlich erreichen, aber nicht zwanzig. Deshalb kommt jetzt alles darauf an, dass die Bundesregierung rasch wirksam wird und die richtigen Entscheidungen trifft. Und ich werde das klar und kritisch begleiten. In den anstehenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg wird sich die politische Mitte schon irgendwie durchsetzen. Die Entscheidung, ob die AfD erstmals eine absolute Mehrheit bekommt, fällt dann in Sachsen-Anhalt. Die neue Bundesregierung muss deshalb schon bis zur Sommerpause, die wir uns eigentlich gar nicht leisten können, richtig Dampf machen!

An was denken Sie konkret?

Die Wirtschaft muss wieder in Fahrt kommen. Ein Viertel der Wirtschaftskraft Sachsen-Anhalts hängt an der Chemie, unserer Leitbranche. Da steht es Spitz auf Knopf, absolute Alarmstimmung.

Ein großes Wahlversprechen der CDU ist das Vorgehen gegen die illegale Migration. Dabei sind die Zahlen schon unter der Ampel gesunken. Gegen die AfD hat aber auch das nicht geholfen.

Da möchte ich widersprechen. Der geringere Zustrom ist längst nicht nur ein Erfolg der Ampel. Auch bei der Migration fallen viele bedeutende Entscheidungen längst auf europäischer Ebene. Und mich wundert gar nicht, dass der Unmut in der Bevölkerung weiterhin hoch ist. Es gibt weiter einen Zustrom ins Land, obwohl wir schon eine sehr hohe Zahl von Mi­granten aufgenommen haben. Die Schulen, die Sprachkurse und der Wohnungsmarkt sind allein durch diesen Bestand bereits überlastet. Wenn diese Menschen nach einiger Zeit aus der offiziellen Statistik herausfallen, bedeutet das wenig. Die Integrationsaufgabe ist dadurch aber nicht erledigt.

Und das merken die Bürger, zumal sie durch Berichte über Straftaten und die Kriminalstatistik immer wieder darin bestärkt werden, dass wir ungelöste Probleme damit haben. Deshalb sage ich ja schon seit Jahren, dass die Parteien der Mitte irreguläre Migration begrenzen müssen. Auf der anderen Seite benötigen wir Zuwanderung, aber bitte geordnete Zuwanderung von Fachkräften in den Arbeitsmarkt und nicht vorrangig in die Sozialsysteme.