Der britische Öl- und Gaskonzern BP erscheint wegen seines gesunkenen Aktienkurses schon seit einiger Zeit als mögliches Übernahmeobjekt. Europas größter Öl- und Gaskonzern Shell soll nun ein Auge auf den kleineren Wettbewerber geworfen haben. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg hat Shell damit begonnen, mit Beratern einen möglichen Kauf von BP zu prüfen. Es wäre die größte Fusion in der Ölindustrie seit Längerem. Ein Zusammenschluss der beiden britischen Konzerne würde das mit Abstand größte Energieunternehmen Europas mit einem kombinierten Börsenwert von wohl mehr als 200 Milliarden Pfund (etwa 240 Milliarden Euro) schaffen. Das läge über der Marktbewertung des zweitgrößten US-Ölmultis Chevron , aber noch deutlich hinter Exxon-Mobil .
Shell wurde an der Londoner Börse am Freitag mit 146 Milliarden Pfund (174 Milliarden Euro) bewertet und ist damit fast dreimal so schwer wie BP, die derzeit nur auf 56 Milliarden Pfund (65 Milliarden Euro) kommen. Da die Londoner Börse am Montag wegen eines Bankfeiertags geschlossen war, konnte es keine Kursreaktion auf die Nachrichten geben. BPs Aktienkurs ist in den vergangenen zwölf Monaten um 30 Prozent gesunken und hat damit doppelt so viel wie der Shell-Kurs verloren. Der Ölpreis ist seit Anfang des Jahres wegen der schwächeren Weltwirtschaft um fast ein Fünftel gesunken.
Shell-Vorstandchef Sawan will lieber Aktien zurückkaufen
Ein Shell-Sprecher wollte den Bloomberg-Bericht vom Wochenende nicht kommentieren und wiederholte frühere Aussagen des Unternehmens. Laut der Nachrichtenagentur, die sich auf mit der Angelegenheit vertraute Personen beruft, will Shell offenbar noch die weitere Entwicklung des BP-Kurses und des Ölpreises abwarten. BP kommentierte die Berichte nicht.
Zurück zu Öl und Gas: Investitionen in Erneuerbare zahlten sich nicht aus
BP-Chef Murray Auchincloss steht seit geraumer Zeit unter wachsendem Druck von Investoren, einen Turnaround des Unternehmens zu schaffen. Ein neuer Großaktionär ist der aktivistische US-Hedgefonds Elliott Management, der fünf Prozent der BP-Anteile gekauft hat. Er dringt auf eine Renditesteigerung. Elliott warnte zudem, dass BP zum Übernahmeziel werde, wenn BP nicht schärfere Kosteneinsparungen durchsetze.
Auchincloss’ Vorgänger Bernard Looney hatte den Konzern auf einen „grünen“ Energiewendekurs mit hohen Investitionen in Erneuerbare gesetzt, der sich aber nicht auszahlte. Der seit 2023 amtierende kanadische BP-Chef versucht, mit einer Rückwärtswende zurück zum Öl- und Gasgeschäft die Gunst der Investoren zurückzugewinnen. Auchincloss hat Kostensenkungen angekündigt und den Verkauf von Geschäften wie der Schmierölfirma Castrol und Teilen des Solarunternehmens Lightsource BP. Diese Verkäufe sollen insgesamt 20 Milliarden Dollar einbringen. Sinkende Gewinne, schwächere Barmittelzuflüsse sowie relativ hohe Schulden erschweren es BP jedoch, weiter Geld an die Aktionäre auszuschütten.
Der niedrigere Ölpreis führt in der ganzen Branche derzeit zu sinkenden Gewinnen. Shell berichtete am Freitag einen Gewinn von 5,6 Milliarden Dollar im ersten Quartal, das war 28 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl lag allerdings um rund ein Zehntel über den Analystenerwartungen. Der größte Öl- und Gaskonzern Europas wird abermals 3,5 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe einsetzen. Es ist das vierzehnte Quartal mit Rückkäufen von mehr als drei Milliarden Dollar.
Die Börse belohnte die Zahlen mit einem Kursanstieg um zwei Prozent. Seit Sawan vor gut zwei Jahren Vorstandschef wurde, ist die Börsenbewertung um mehr als 20 Prozent gestiegen. Der Shell-Vorstandschef hat den Konzern verschlankt, den Fokus klar auf Erdöl, Gas und Flüssiggas gesetzt, etwa mit der Übernahme des LNG-Unternehmens Pavilion Energy, und die Ausgaben für erneuerbare Energien gekürzt. „In den letzten zwei Jahren ging es vor allem darum, schlanker und fitter zu werden“, sagte Sawan bei der Vorlage der Quartalsergebnisse.
Doch auch Shells Kursentwicklung hinkt gegenüber Exxon-Mobil und Chevron hinterher. Beide sind seit dem Tiefpunkt beim Corona-Einbruch 2020 stärker gestiegen, Chevron hat sich verdoppelt. Shells Marktwert beträgt fünfmal die Summe des bereinigten Cash Flows, wogegen Exxon-Mobil und Chevron auf mehr als neunmal den Cash Flow kommen.