SPD-Politiker und neuer Umweltminister Carsten Schneider im Porträt

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Vom jüngsten Abgeordneten bis zum Ältestenrat, das muss man erst einmal hinbekommen. Der designierte Umwelt- und Klimaschutzminister Carsten Schneider (SPD) zog 1998 mit nur 22 Jahren als jüngster Parlamentarier in den Bundestag ein, dem er seither ununterbrochen angehört. Zehn Jahre später wurde er als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion Mitglied im Ältestenrat, einem geschäftsführenden Gremium nicht notwendigerweise alter, aber erfahrener Politiker. Im Februar hat Schneider zum achten Mal hintereinander ein Bundestagsmandat errungen und ist noch nicht einmal 50 Jahre alt. Geboren wurde er am 23. Januar 1976 in Erfurt.

Zuletzt gehörte der gelernte Bankkaufmann als Staatsminister beim Bundeskanzler und Regierungsbeauftragter für Ostdeutschland dem Kreis der engsten politischen Vertrauten von Olaf Scholz (SPD) an. Neben Verteidigungsminister Boris Pistorius und neben der neuen Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (beide SPD), die ebenfalls Staatsministerin im Kanzleramt war, ist Schneider der dritte aus Scholz’ erweiterter Regierungsmannschaft, der in das Kabinett von Friedrich Merz (CDU) einrückt.

Überraschende Berufung

Wie mit anderen Personalien überrascht SPD-Chef Lars Klingbeil auch mit Schneiders Berufung. Obgleich der Neunundvierzigjährige schon so lange im Geschäft ist „und jeden von Bedeutung kennt“, wie es heißt, gilt er in der Öffentlichkeit als weitgehend unbekannt, positiv gedreht: als unverbraucht. Das ist wichtig in einem politisch verminten Feld wie der Umwelt- und Klimapolitik, die langfristig angelegt ist, zugleich aber im Hier und Jetzt Zumutungen erfordert. Wie man politische Entscheidungen herbeiführt, das hat Schneider auch akademisch gelernt. Nach dem Zivildienst in einer Jugendherberge absolvierte er in Erfurt ein Studium für Staatstätigkeit (Public Policy).

Der Thüringer wird das Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit führen. Die Verantwortung für den Klimaschutz ist aus dem Wirtschafts- und Energieministerium und jene für die Klimaaußenpolitik aus dem Auswärtigen Amt in das Haus zurückgekehrt, dessen erster Dienstsitz nach wie vor in Bonn liegt. Der neue Chef ist bisher weder in Umwelt- noch in Klimafragen hervorgetreten. Er gilt als erfahrener Haushalts- und zuletzt als ostdeutscher Strukturpolitiker. Das Haus wieder auf die Klimapolitik einzurichten und sich selbst in unbekannte Zusammenhänge einzuarbeiten, wird eine seiner ersten und anstrengendsten Aufgaben sein.

Fehlende Fachkenntnis

Als umso wichtiger gelten gute Sekundanten. Gemutmaßt wird, dass Schneider den SPD-Politiker Jochen Flasbarth zum beamteten Staatssekretär macht. Der ehemalige Präsident des Umweltbundesamts und des Naturschutzverbands NABU bekleidete das Amt schon einmal von 2013 bis 2021, bevor er mit seiner damaligen Chefin Svenja Schulze (SPD) ins Entwicklungsministerium wechselte. Für Schulze wurde bisher keine Anschlussverwendung bekannt.

Flasbarth war in unterschiedlicher Funktion jahrelang an internationalen Verhandlungen zum Klima- und Artenschutz beteiligt, etwa auf der entscheidenden Weltklimakonferenz 2015 in Paris. Das Amt eines Staatssekretärs und Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik, das für die ehemalige Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan im Außenamt geschaffen worden war, wird es im neuen Ministerium nicht mehr geben. Die damit verbundenen Aufgaben könnten in Flasbarths Zuständigkeit übergehen.

Trotz fehlender Fachkenntnis sprechen für Schneiders Eignung im neuen Amt aus Sicht von Fachleuten seine Haushaltserfahrung und seine Nähe zum neuen Finanzminister Klingbeil. Der Ostbezug helfe in den klimapolitisch herausfordernden Braunkohlegebieten, die – anders als im Westen – bis 2038 weiterfördern dürfen. Als Vertreter des Seeheimer Kreises wird Schneider zugetraut, auch strukturkonservative Sozialdemokraten mit der Umwelt- und Klimapolitik zu erreichen und mit der pragmatischen neuen Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) zusammenzuarbeiten. Diese kennt Schneider, Flasbarth und deren neues Haus gut; sie war dort von 2009 bis 2013 Parlamentarische Staatssekretärin.

Abstimmung könnte schwierig werden

Schwieriger könnte die Abstimmung mit den unionsgeführten Ressorts für Verkehr, Agrar und Außenpolitik werden, etwa mit Blick auf die Klimapolitik der Vereinigten Staaten und Chinas. Konflikte drohen im Kabinett mit Blick auf die Erdgasnutzung. Aus klimapolitischer Sicht gelten die von CDU und CSU durchgesetzten neuen Prioritäten zur nationalen und internationalen Beschaffung sowie zur fortgesetzten Verstromung mittels CCS-Abscheidetechnik als fragwürdig. Viel werde davon abhängen, ob es ein schlagkräftiges ressortübergreifendes Staatssekretärsgremium zur Klimapolitik geben und wer dieses leiten werde, heißt es.

Umweltpolitisch ist Schneider ein unbeschriebenes Blatt. Aber dass Umweltminister entsprechende Fachkompetenz mitbringen – wie Schneiders Vorgängerin Steffi Lemke (Grüne) –, ist die Ausnahme. Kontinuität besteht insoweit, als auch Lemke aus dem Osten kommt, aus Sachsen-Anhalt. Eine Großbaustelle ihres Nachfolgers wird die Übertragung von EU-Rechtsakten in deutsches Recht sein, etwa der Industrieemissionsrichtlinie, der wichtigsten EU-Rechtsvorschrift zur Verringerung der Umweltverschmutzung durch große Industrieanlagen, einschließlich Tierhaltungsbetrieben. In Deutschland geht es um etwa 13.000 Betriebe. Ziel der Richtlinie ist es, Luft-, Wasser- und Bodenemissionen aus den größten Industrieanlagen Europas zu vermeiden und zu vermindern, den Verbrauch von Ressourcen zu minimieren und die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Ein erstes Paket an entsprechenden Regulierungen hatte Lemke auf den Weg gebracht. Der Referentenentwurf stieß aber auf deutliche Kritik, unter anderem in der Chemiebranche wegen des bürokratischen Aufwandes. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD angekündigt, die Richtlinie „eins zu eins und so schlank wie möglich“ in nationales Recht zu übertragen.

Der neue Umweltminister muss außerdem sicherstellen, dass die strengeren EU-Vorgaben für Verpackungen in deutsches Recht finden. Die neue Verpackungsverordnung betrifft den ganzen Lebenszy­klus. Verpackungen sollen reduziert, Hersteller stärker in die Verantwortung genommen werden. Union und SPD setzen nach dem Koalitionsvertrag auch auf das umstrittene chemische Recycling, um Material wieder nutzbar zu machen. Schneider dürfte den Widerstand von Umweltschützern zu spüren bekommen, die Bedenken wegen des hohen Energiebedarfs des chemischen Recyclings haben und auf Risiken für die Gesundheit verweisen.

„Umgsetzungslücke zwischen Anspruch und Realität“

Der designierte Umweltminister bekommt von den schwarz-roten Koalitionären insgesamt die Vorlage für eine Umweltpolitik, die Belastungen für Wirtschaft und Landwirtschaft gering halten und deren Belange stärker berücksichtigen soll. Ginge es nach dem Wirtschaftsflügel der Union, würde die Kreislaufwirtschaft künftig ohnehin im unionsgeführten Wirtschaftsministerium von Reiche gesteuert. Weil dort bereits die Zuständigkeit für Rohstoffhandel, -abbau und -verarbeitung liege, sei es ratsam, dort auch die Kreislaufwirtschaft zu verankern, wirbt der CDU-Wirtschaftsrat. Doppelstrukturen, behördliche Hürden und unklare Zuständigkeiten bremsten Innovation und Tempo, auf die es für Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit derzeit besonders ankomme.

Im Umweltministerium sieht der Wirtschaftsverband der Union eine „Umsetzungslücke zwischen Anspruch und Realität“, jedenfalls solange Lemke an der Spitze stand. Von den ambitionierten Zielen der Ampelkoalition für die Kreislaufwirtschaft sei nur wenig verwirklicht worden. Lemke hatte immerhin trotz des Zerwürfnisses der Ampel noch die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie durchs Kabinett gebracht. Schneiders Aufgabe wird es sein, alsbald ein Eckpunktepapier mit kurzfristigen Maßnahmen zu erarbeiten.

Für Umwelt- und Naturschützer ist die Berufung Schneiders eine Personalie mit vielen Unbekannten. Bekannt ist, dass er gerne angelt und eine Methode bevorzugt, bei welcher der Angler ständig in Bewegung bleibt. Expertise im Bereich Umwelt- und Naturschutz bringt der neue Parlamentarische Staatssekretär Carsten Träger mit. Er war zuvor umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Während der Koalitionsverhandlungen habe Träger sich „grüner als die Grünen“ verhalten, heißt es aus Unionskreisen.

Mit Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) steht dem Minister-Neuling außerdem eine Kennerin des Hauses zur Seite. Schwarzelühr-Sutter war bereits in der großen Koalition Parlamentarische Staatssekretärin, zunächst bei Umweltministerin Barbara Hendricks und dann bei deren Nachfolgerin Schulze (beide SPD).