Die Bürgerliche aus der SPD

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Der erste Coup gelang Verena Hubertz im Februar 2017. Damals war sie noch keine SPD-Politikerin, sondern Gründerin und Geschäftsführerin des Start-ups Kitchen Stories in Berlin. Hubertz und ihrer Mitgründerin war es gelungen, Apple-Chef Tim Cook zu einem Besuch der Testküche des Start-ups zu bewegen. Cook wendete vor Fotografen unfallfrei Pancakes und bedankte sich bei den „coolen“ App-Entwicklern für die Kochstunde. Der prominente Besuch erhöhte die Bekanntheit der Kochplattform schlagartig. Wenig später übernahm der Haushaltsgerätehersteller Bosch die Mehrheit an dem Unternehmen.

Nun ist Verena Hubertz ihr zweiter Coup gelungen. Vier Jahre nachdem sie sich ganz aus Kitchen Stories zurückzog, um sich für die SPD um ein Bundestagsmandat zu bewerben, steigt die erst 37 Jahre alte Hubertz schon ins Kabinett auf. SPD-Chef Lars Klingbeil macht sie zur Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen. Es ist nicht das wichtigste Ministerium am Kabinettstisch, aber wichtig genug, dass sich die bislang außerhalb Berlins weitgehend unbekannte Hubertz darin für höhere Aufgaben empfehlen kann – wenn sie es denn gut macht.

Job bei Burger King finanzierte Studium

Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie sehr Verena Hubertz die Werte der SPD verkörpert. Sie selbst findet: sehr. Hubertz wuchs als Tochter eines Schlossers und einer Gemeindereferentin der Kirche in einer Kleinstadt nahe der Mosel auf. Sie hat sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet, bei Burger King am Trierer Hauptbahnhof für 6,13 Euro die Stunde Fast Food verkauft, um sich das Studium der Betriebswirtschaftslehre zu erarbeiten.

Diese Löhne und Arbeitsbedingungen waren es auch, die sie zum Eintritt in die SPD bewogen. Nach dem Grundstudium in Trier nahm Hubertz einen Kredit auf, um an der privaten Wirtschaftshochschule WHU in Vallendar weiter zu studieren. Sie war immer jemand, der sich reinhängte, mehr im Leben erreichen wollte. Hubertz ist die Verkörperung des Versprechens „Aufstieg durch Arbeit“.

Hubertz kämpft für Arbeiter – und auch für Unternehmen

Ihr schneller Aufstieg in der SPD, erst zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden mit Schwerpunkt Wirtschaft und nun zur Ministerin, behagt in der Partei aber nicht jedem. Hubertz kann keine Juso-Geschichte vorweisen. Klassenkämpferische Parolen hört man von ihr selten, Verständnis für die Nöte von Unternehmen schon eher. Sie kämpft zwar für höhere Löhne und bezahlbare Mieten. Wenn es aber um Themen wie die Vermögensteuer oder flexiblere Arbeitszeitregeln geht, steht sie den Positionen der Union mitunter näher als denen ihrer eigenen Partei. Im Jahr 2022 trieb Hubertz gemeinsam mit ihren Kollegen von Grünen und FDP die Verabschiedung des Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA) im Bundestag voran. Ein Liberaler kommentierte das damals mit den Worten, der SPD täten mehr Leute wie Hubertz gut. Intern hat ihr das weniger Sympathien eingebracht.

Hubertz ist gewissermaßen die Bürgerliche in der SPD. Strategisch denkend, wie sie ist, hat sie aber auch zu den Schlüsselvertretern des linken Flügels ein gutes Verhältnis aufgebaut, allen voran zum neuen Fraktionschef Matthias Miersch. Gemeinsam verhandelten sie 2023 auf SPD-Seite über die Entschärfung des „Heizungsgesetzes“. Das war auch deshalb heikel, weil für das Gebäudeenergiegesetz formal das Wirtschafts- und das Bauministerium gemeinsam zuständig waren, Hubertz’ Vorgängerin Klara Geywitz dem Habeck’schen Regulierungseifer aber wenig entgegensetzen konnte.

Erster Erfolg: Deutschlandfonds schafft es in den Koalitionsvertrag

Dass Hubertz in der neuen Regierung Karriere machen würde, zeichnete sich spätestens in dem Moment ab, als die Arbeitsgruppen für die Koalitionsverhandlungen feststanden. Gemeinsam mit dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer leitete sie für die SPD die Verhandlungen zum Wirtschaftskapitel. Das maßgeblich von Hubertz vorangetriebene Konzept eines „Deutschlandsfonds“ hat es bis in die Endfassung des Vertrags geschafft. Dieser Fonds soll wachstumswillige Unternehmen mit staatlichen Kapitalspritzen unterstützen. Die industriepolitischen Anregungen dafür hat sich Hubertz unter anderem bei britischen Labour-Politikern wie Keir Starmer geholt.

Auch wenn ihr Fokus in den vergangenen Jahren auf der klassischen Wirtschaftspolitik lag – ein Neuling in der Wohnungspolitik ist Hubertz keineswegs. Neben dem Gebäudeenergiegesetz hat sie sich in den vergangenen Jahren in der Fraktion auch mit der Mietpreisbremse beschäftigt. Mit dem entsprechenden Bundesgesetz können Länder in angespannten Wohnungsmärkten regeln, dass in neuen Verträgen die Miete maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Viele Mieter unterschreiben zwar notgedrungen auch Verträge mit höheren Mieten, für die SPD war die Verlängerung der Mietpreisbremse um vier Jahre aber ein zentrales Wahlversprechen. Gemeinsam mit dem ebenfalls von der SPD besetzten Justizministerium wird Hubertz nun darauf hinwirken.

Zuständig für den „Wohnungsbau-Turbo“

Ihre Hauptaufgabe wird gleichwohl sein, den in den Ballungszentren nach wie vor großen Wohnungsmangel zu beheben. Neben mehr Fördermitteln für den sozialen Wohnungsbau soll dies nach dem Willen von Union und SPD vor allem über den Abbau von Bürokratie erreicht werden. Für die ersten 100 Tage hat die schwarz-rote Koalition einen „Wohnungsbau-Turbo“ angekündigt. Weniger teure Normen durch die Einführung des Gebäudetyps E, weniger Lärmschutz: Das regulatorische Dickicht, das die Herstellungskosten auf zuletzt im Durchschnitt rund 4500 Euro je Quadratmeter getrieben hat, soll so weit gelichtet werden, dass Bauen auch wieder für 3000 bis 3500 Euro je Quadratmeter möglich ist. Statt Kaltmieten von aktuell 18 bis 20 Euro je Quadratmeter für Neubauwohnungen sollen wieder 12 bis 14 Euro erreicht werden.

Die Verbände der Wohnungswirtschaft haben Hubertz am Montag mit freundlichen Worten begrüßt. Sie bringe „mit ihrer Erfahrung und ihrem Gestaltungswillen die nötigen Voraussetzungen mit“, hieß es vom Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA). Der Deutsche Mieterbund mahnte, „den Blick zuerst auf den sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau zu richten und die richtige Balance zwischen wohnungspolitischen Anforderungen und mietrechtlichem Schutzbedarf zu finden“.

In den vergangenen Tagen war Hubertz auch als mögliche Umwelt- und Klimaschutzministerin im Gespräch. Mit dem Bauministerium übernimmt sie nun ein Haus, das in Berlin als ein eher undankbares Ressort gilt. Zwischen den ersten Plänen und der Fertigstellung eines Neubauprojekts vergehen meist viele Jahre, zum Teil Jahrzehnte. Gut möglich, dass erst Hubertz’ Nachfolger oder Nachfolgerin von den Erfolgen der nun geplanten Änderungen zehren kann. Aber die SPD-Politikerin ist keine, die das abschreckt. Sie wird alles daransetzen, aus dem Ministerium etwas zu machen – auch wenn es diesmal vermutlich ohne die Hilfe des Apple-Chefs gelingen muss.