Hansi Flick ist einmal mehr auf dem Weg, der Mann der Stunde im europäischen Fußball zu werden. Als Klubtrainer scheint ihm alles zu gelingen.
Wir sollten nicht wieder von Graugänsen und all den anderen skurrilen Momenten aus der viel zitierten und rezipierten Amazon-Prime-Doku “All or Nothing” anfangen. Aber dieser Film war leider die traurigste Episode der Amtszeit von Hansi Flick als deutscher Bundestrainer. Einer Amtszeit, die lediglich 25 Monate andauerte und in welcher die deutsche Mannschaft die Gruppenphase der WM in Katar nicht überstand. So richtig vergessen kann man diese zwei Jahre nicht, aber wer es gut mit Flick meint, der wird darauf hinweisen, dass der Badener als Klubtrainer eine absolute Bank ist.
Bislang konnte er jedes Endspiel für sich entscheiden und innerhalb weniger Jahre mit zwei Klubs bereits neun Titel gewinnen. Der nächste, nämlich die spanische Meisterschaft, wird demnächst folgen, die Champions-League-Trophäe ist auch in Reichweite, wenngleich das Auswärtsspiel in Mailand am Dienstagabend eine große Prüfung für Flick und sein ultraoffensives Team wird. Was sich in dieser Saison, seiner ersten in Barcelona, wieder zeigt, ist, dass Flick ein sehr methodischer Trainer ist. Er stellt kriselnde Teams mit guten Spielern nicht komplett auf den Kopf, sondern arbeitet besonders im Training graduell an Verbesserungen. Sein Ziel: Die Spieler innerhalb eines klaren taktischen Systems zu 100 Prozent zu pushen beziehungsweise die letzten Prozentpunkte bei Einzelnen herauskitzeln.
Sicherlich wird gerne über die hohe Abwehrlinie von Barcelona und das aggressive Aufrücken im Ballbesitz in diesen Tagen gesprochen. Aber es ist nicht so, als hätte Barça unter Flicks Vorgänger Xavi nicht auch schon sehr offensiv gespielt. Flick hat kleinere Dinge angepasst und zugleich dem Team ein neues Selbstverständnis eingehaucht. Das ist für einen Trainingsspezialisten wie den 60-Jährigen natürlich viel einfacher, wenn er nahezu tagtäglich mit seiner Mannschaft arbeiten kann und den immergleichen Kern an Spielern um sich herum hat.
Nationalmannschaften funktionieren bekanntlich anders. Und Flick wirkte während seiner Zeit als Bundestrainer um einiges erratischer. Er nominierte ständig neue Spieler und wechselte teilweise von Spiel zu Spiel die taktischen Formationen. Mal versuchte er es mit einer Dreierkette und drei offensiven Mittelfeldspielern und wenige Tage später mit einem recht klassischen 4-2-3-1. So etwa sahen die beiden finalen Freundschaftsspiele gegen Kolumbien und Japan aus, bevor Flick von seinen Aufgaben entbunden wurde.
Er schien sich seiner Sache nicht wirklich sicher. Hinzu kam, dass Deutschland während Flicks Amtszeit bereits die hochtalentierten Jamal Musiala und Florian Wirtz in den eigenen Reihen hatte, aber diese natürlich noch nicht auf dem heutigen Niveau gespielt haben. Wirtz fiel zudem die meiste Zeit mit einem Kreuzbandriss aus und bestritt unter Flick nur neun Länderspiele. Zugleich genügte die Qualität in der Defensive nicht, um den aggressiven Fußball von Flick durchziehen zu können. Wenn İlkay Gündoğan und Joshua Kimmich bei 100 Prozent waren, konnten sie als Duo im Mittelfeld vieles per Gegenpressing wegverteidigen. Die Gegner kamen gegen das drückende deutsche Team zu wenigen Kontern.
Griff jenes Gegenpressing – übrigens ähnlich wie bei Barcelonas Heimspiel gegen Inter vergangene Woche – einmal nicht, wurde die Verteidigung meist ausgehebelt. Zumal Deutschlands letzte Linie während der Amtszeit von Hansi Flick noch nicht auf dem Niveau von heute war. Gegen Kolumbien etwa bestand die zentrale Verteidigung aus Antonio Rüdiger, Malick Thiaw und Emre Can, auf den Außen waren Robin Gosens und Marius Wolf. Bei allem Respekt, aber aktuell mit einem immer stärkeren Nico Schlotterbeck sowie Kimmich als Rechtsverteidiger sieht das Ganze schon ein bisschen anders aus.