Söder und Merz streiten über Zusammenarbeit mit den Grünen

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Der wirkliche Wahlkampf beginnt erst im Januar, heißt es in Berlin. Aber das Vorgeplänkel dieser Wochen zeigt der Union, dass der Weg ins Kanzleramt nicht so sicher ist, wie er schien. CSU-Chef Markus Söder sorgte dafür, dass die Union sich verheddert, aber auch Friedrich Merz fehlt es an Trittsicherheit. Noch gilt die Union als Favorit, aber die Nerven sind angespannter als vor einigen Wochen. Vor allem die Debatte über eine Koalition mit den Grünen hat der CDU „geschadet“, wie es im Führungszirkel der Partei heißt. Droht der Wahlkampf unerwartet dramatisch zu werden?

Anders als die Ampelparteien, die als Vertreter eines gescheiterten Regierungsexperiments starten, genießt die Union den Oppositionsvorteil. Aber auch sie hat Hypotheken. Eine schien schon fast abgetragen: dass die Union als langjährige Kanzlerinnenpartei einen Großteil der wirtschaftlichen und politischen Misere mitzuverantworten hat. Merz war es gelungen, sich programmatisch und auch rhetorisch so sehr von der Merkel-Zeit abzugrenzen, dass der Partei wieder Kredit eingeräumt wurde. Die andere Hypothek wird immer größer: Wie kann sie glaubhaft eine „Politikwende“ versprechen, wenn eine unionsgeführte Bundesregierung aller Voraussicht nach Kompromisse mit Vertretern der Ampelkoalition finden müsste?

Strategisches Paradox

Es ist dieses strategische Paradoxon, das für die Union, um Horst Seehofer zu zitieren, zur „Mutter aller Probleme“ geworden ist. Schon im Sommer 2023, als Merz die Grünen zum „Hauptgegner“ erklärte, sah er sich in Erklärungsnot, weil die einen fanden, der Titel gebühre allein der AfD, und die anderen fragten, wie er denn Kanzler werden wolle, wenn er es sich schon frühzeitig mit denkbaren Partnern verscherze. Merz distanzierte sich vorsichtig von sich selbst, aber das Thema blieb an ihm kleben.

Zwischenzeitlich schien die Lösung in der „Rhein-Doktrin“ gefunden zu sein. Dem hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein war es vor der Landtagswahl gelungen, Koalitionsdebatten zu unterdrücken, ein starkes Ergebnis zu erreichen und danach aus einer Position der Stärke zwischen den gefügigsten Juniorpartnern auswählen zu können. Merz kündigte an, das Modell des CDU-Freundes auf der Bundesebene zu wiederholen.

Doch für einen deutschen Kanzlerkandidaten ist es nicht so einfach, Fragen nach möglichen Koalitionspartnern unbeantwortet zu lassen. Die Bürger fordern aus nachvollziehbaren Gründen, die strategischen Pläne der Parteien in ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen zu wollen. Ein Politiker, der dazu schweigen will, braucht Geschick, auf jeden Fall eine Portion Chuzpe. Merz entschied sich für Redlichkeit und ließ sich Stück für Stück auf die riskante Debatte ein, getreu der Devise: Von mir wird nichts versprochen, was sich nachher nicht einlösen lässt.

Nicht mit diesen Grünen. Oder doch? CDU-Chef Friedrich Merz und Wirtschaftsminister Robert Habeck gehen auf einer Konferenz aneinander vorbei.
Nicht mit diesen Grünen. Oder doch? CDU-Chef Friedrich Merz und Wirtschaftsminister Robert Habeck gehen auf einer Konferenz aneinander vorbei.dpa

Im September sagte er, dass er „nicht mit diesen Grünen“ regieren werde. Das hieß wohl: mit anderen Grünen schon. Aber welchen? Sprach er von programmatisch erneuerten Grünen? Oder von alten Grünen mit neuen Gesichtern? Dass seither umso hartnäckiger bei Merz nachgehakt wird, liegt auch am bayrischen Ministerpräsidenten, der kein Interview verstreichen lässt, ohne eine Kooperation mit den Grünen pauschal auszuschließen.

Noch wird das bei der CDU nicht mehrheitlich als Wiederauflage des Schauspiels von 2021 gesehen, als Söder den damaligen Kanzlerkandidaten Laschet vor aller Augen demontierte, auch wenn der Kieler Ministerpräsident gerade daran erinnerte und von „Störfeuern“ aus Bayern sprach. Allgemein wird Söders Auftreten eher als Ausdruck von Egoismus betrachtet. Dem CSU-Chef wird konzediert, dass er mit seinem Anti-Grünen-Wahlkampf die Freien Wähler kleinzuhalten versucht. Aber für den Bundeswahlkampf empfindet man Söders Beharren, das sich erkennbar gegen die Linie von Merz richtet, als Belastung.

Plötzlich wird wieder ein Dissens zwischen den beiden wichtigsten Figuren der Union sichtbar. Genährt wird er allerdings auch von Merz. Als der in einer Talkshow nach der schwarz-grünen Option gefragt wurde, antwortete er: „Wir brauchen einen Politikwechsel – ob mit Habeck oder ohne Habeck.“ Bedeutete das also, dass die Union sogar mit „diesen Grünen“ zusammenarbeiten würde, sofern deren Frontmann nur einen Politikwechsel verspricht?

Söder reagierte darauf mit Eskalation und äußerte sich in einer Weise, die nur noch als Drohung verstanden werden kann. Er würzte seine abermalige Absage an eine schwarz-grüne Zusammenarbeit mit den Sätzen: „Am Ende entscheiden die Parteien, ob es eine Koalition gibt. Die CSU ist eine Partei.“ Damit kündigte er durch die Blume ein Veto an – eine Ansage, von der selbst Söder nicht mehr ohne Weiteres wird Abstand nehmen können, sollte die Union in gut zwei Monaten vor Sondierungsgesprächen stehen.

„Brückenbau zur Restampel“

Handelt es sich bei Söder überhaupt noch um taktisches Beharren, oder glaubt der CSU-Vorsitzende mittlerweile, sich einem strategischen Kurswechsel bei der Schwesterpartei entgegenstemmen zu müssen? Von manchen wird Merz’ Annäherung an Habeck in größerem Zusammenhang gesehen. Schon in den Wochen zuvor hatte Merz seine Haltung zur Schuldenbremse abgeschwächt, und auch in der Ukrainepolitik äußerte er sich nicht mehr so entschieden, dass seine Position einer großen Koalition im Wege stehen würde. Zumindest in der FDP beobachtet man einen „Brückenbau zur Restampel“.

Das wird in der CDU empört bestritten. „In Wahlkämpfen ist es einfach schwierig, differenziert zu argumentieren, weil dies rasch als Relativierung wahrgenommen wird“, sagt ein einflussreicher Christdemokrat. Was nach einer Verteidigung des Spitzenkandidaten klingen soll, ist auch ein Vorwurf: Warum kann Merz nicht das Differenzieren lassen?

Dabei sind es nicht nur Differenzierungen, die Merz in die Bredouille bringen. Manchmal ist es sogar deren Gegenteil. Als er, in derselben Talkshow, auf die Bemerkung des FDP-Chefs angesprochen wurde, dass Deutschland „eine Prise Musk oder Milei“ guttun würde, reagierte Merz mit dem Holzhammer: „Ich bin völlig entsetzt gewesen.“

Während Wirtschaftsliberale in der CDU ihren Ohren misstrauten, konnten die Wahlkämpfer von der liberalen Konkurrenz ihr Glück kaum fassen. Sofort setzten sie nach. Der argentinische Präsident Javier Milei und der amerikanische Starunternehmer Elon Musk mögen ja teilweise extreme Ansichten vertreten, erläuterte FDP-Chef Lindner, aber hinter ihren Provokationen stecke eine „disruptive Energie“, die Deutschland gerade fehle. Die Reformideen dieser beiden Persönlichkeiten noch nicht einmal analysieren zu wollen sei eine „Arroganz, die wir uns in Deutschland nicht leisten können“.

Das traf einen Ton, den vorher Merz für sich reklamiert hatte, und das fällt auch in seinen eigenen Reihen auf. Der CDU-Chef habe eine Lücke entstehen lassen, die es jetzt wieder zu schließen gelte, heißt es in Teilen der Fraktion. Aber will Merz das überhaupt? Nicht allen scheint klar, ob der Vorsitzende die CDU gerade bewusst in die Mitte steuert oder ob der Eindruck durch eine Abfolge unglücklicher Äußerung entstanden ist.

Auf Ausscheren folgt Einscheren

Hier und da werden schon Erinnerungen an Merz’ Anfangszeit wach, als links von ihm stehende Gegner frohlockten, dass er zu impulsiv sei und früher oder später über das stolpern werde, was Olaf Scholz als mangelnde Coolness bezeichnen würde. Der Vorwurf war natürlich überwiegend politisch motiviert, und die vergangenen drei Jahre brachten nicht viel Anschauungsmaterial. Begleitet wurde Merz aber auch vom Verdacht radikalerer Konservativer, dass er den Konflikt mit den medialen Tonangebern der politischen Mitte scheue. Auch das schien übertrieben.

Zumindest seine Unterstützer bescheinigen ihm ein kalibriertes Vorgehen: Auf jedes provokative Ausscheren folgt ein versöhnliches Einscheren, und danach waren die Spielräume für die Partei erweitert, ohne dass sie in der Ecke stand. Zumindest in der Migrationspolitik ging das Konzept auf.

Wie man es dreht und wendet, es hat sich die Ahnung eingeschlichen, dass Merz mitten im Wahlkampf die Fortune verlassen und das Momentum wegrutschen könnte. Den im Land verbreiteten Zorn auf die Ampel schreiben sich gerade andere auf die Fahne, vor allem die AfD, aber auch die FDP. Gleichzeitig scheint dem Kanzler sein unverfrorener „Friedenswahlkampf“, der Merz als Russisch-Roulette-Spieler hinstellt, nicht zu schaden. Während die Union in den Umfragen nur noch knapp über der 30-Prozent-Marke liegt, geht es für die SPD langsam bergauf.

Sollte Donald Trump kurz vor der Bundestagswahl einen Waffenstillstand in der Ukraine erreichen, könnte das zusätzlich auf Scholz’ Friedenskonto einzahlen. Nach einer verbreiteten Annahme im Regierungsviertel wird er versuchen, eine solche Entwicklung – in Abgrenzung zu Merz’ Ukraine-Kurs – als Verlängerung seiner „Besonnenheitspolitik“ darzustellen. Bei der CDU glaubt man, ein Kanzler, der sich derart klar zu Joe Biden und Kamala Harris bekannt habe, könne nicht von einem Trump-Erfolg profitieren. Aber schon auf solche Widersprüche aufmerksam machen zu müssen hieße für die Union, weiterhin aus der Defensive zu kämpfen.