Es ist ein Versuch gewesen, die Mercedes-Aktionäre ein wenig gnädiger zu stimmen. Zum Auftakt seiner Rede bei der virtuellen Hauptversammlung präsentierte sich Ola Källenius so, wie ein „Mercedes mich sieht“: in einem Schattenriss aus bunten, horizontalen Linien vor dunklem Hintergrund. Die Vorführung, wie die Sensoren ein Auto des baden-württembergischen Herstellers künftig leiten werden, sollte zeigen, dass das Unternehmen für die Zukunft gerüstet ist – trotz der aktuell schwierigen Situation. Die Investoren beeindruckte die technische Spielerei indes wenig – angesichts des stark zurückgegangenen Gewinns im ersten Quartal und vor allem der unsicheren Aussichten kritisierten die Vertreter institutioneller Anleger den Vorstand des Herstellers scharf.
„An der Börse präsentiert sich Mercedes eher schlicht als luxuriös. Wunsch und Wirklichkeit liegen immer weiter auseinander“, erklärte Ingo Speich von Deka Invest. Nun reagiere das Unternehmen mit einem Sparprogramm auf die aktuellen Nachfrageprobleme und Überkapazitäten. „Aber letztlich müssen Sie attraktive Autos auf die Straße bekommen, Sie können die Absatzschwäche nicht permanent mit Sparprogrammen kompensieren“, sagte Speich in seiner Rede. „Ein junges Vorstandsteam und eine angepasste Strategie sollen es nun richten. Sie setzen nun alles auf eine Karte, es ist Ihre finale Chance.“
„Ein Absturz mit Ansage“
Noch verheerender analysierte Moritz Kronenberger von Union Investment die Situation von Mercedes . Absatz, Umsatz, Marge, Free Cash Flow und Gewinn seien „im Sinkflug“ und folglich auch der Aktienkurs und die Dividende. „Und es ist kein rein zyklischer Rückgang der Geschäfte. Es ist ein Absturz mit Ansage“, wetterte Kronenberger. „China läuft nicht, ,Electric only‘ läuft nicht, USA läuft nicht.“ Zudem werde die Hoffnung, sinkende Absätze in China durch steigende Umsätze in den USA kompensieren zu können, durch Trumps Zölle zunichtegemacht.
Neben den Problemen von Mercedes in China und der Kritik an der Luxusstrategie, die der Hersteller im Mai 2022 vorgestellt hat, ging es in den Fragen der Aktionäre immer wieder um die Auswirkungen der neuen Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump auf das Geschäft von Mercedes. Roland Klose von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fragte, was Mercedes-Chef Källenius bei seinem Besuch am 18. April bei Trump im Weißen Haus erreicht habe. „Wie flexibel ist Mercedes in der Lage, auf diese kurzfristige Verhängung der Zölle zu reagieren? Ist die Bereitschaft, von 2027 an ein weiteres Modell in den USA zu fertigen, eine Anzahlung auf einen Deal?“, fragte Klose.
Der Hersteller hatte vor wenigen Tagen bestätigt, in Tuscaloosa im US-Bundesstaat Alabama ein neues auf US-Kunden angepasstes Auto des Mittelklasse-Segments zu produzieren, bei dem es sich um den GLC handeln soll. Klose zeigte sich vor allem besorgt „wegen der Angst des Vorstandes vor einer Prognose“ für die Geschäftsentwicklung in diesem Jahr. Wegen der unsicheren Aussichten hatte Mercedes bei der Verkündung der Zahlen für das erste Quartal 2025 seine Jahresprognose in der vergangenen Woche ganz zurückgezogen.
Hendrik Schmidt von DWS Investment ging in seinen Anmerkungen unter anderem auf die Lage von Mercedes in China ein. „Die Zeiten, in denen deutsche Premium- und Luxushersteller in China tonangebend waren, sind offenkundig endgültig vorbei“, sagte Schmidt. Auch wenn sich Mercedes nicht in einen Preiswettkampf begeben dürfe, stelle sich die Frage nach der Perspektive. „Wie attraktiv wird der chinesische Markt mittelfristig eingeschätzt? Wie bewertet der Vorstand insbesondere die zunehmende lokale Konkurrenz, die regulatorischen Unsicherheiten vor Ort und das dortige Konsumverhalten?“, fragte Schmidt.
Mehr Fingerspitzengefühl
Der DWS-Vertreter kritisierte in seiner Rede zudem die aktuelle Vorstandsvergütung. In einem Jahr, „das für unsere Aktionäre mit einem immerhin um 15 Prozent niedrigeren Aktienkurs und einem deutlichen Ergebnisrückgang verbunden ist“, bleibe die Vergütung von Vorstandschef Källenius nur unwesentlich unter der Maximalvergütung. „Hier erwarten wir künftig ein höheres Maß an Fingerspitzengefühl, damit die Vergütung nicht von der Leistung im Sinne eines echten Pay-for-Performance-Prinzips entkoppelt wird“, sagte Schmidt. „In dem aktuell angespannten Umfeld kann eine solche Vergütungsregel zunehmend sozial unausgewogen wahrgenommen werden.“
Aufsichtsratsvorsitzender Martin Brudermüller und Vorstandschef Ola Källenius verwiesen in ihren Antworten auf die kritischen Fragen immer wieder auf die Produktoffensive, die in diesem Jahr mit dem CLA ins Laufen kommen müsse. „Mit dem Modell haben wir der Weltöffentlichkeit im März das Ein-Liter-Auto der Elektromobilität vorgestellt“, erklärte Brudermüller. „Dieses Auto wird eine neue Ära prägen.“ Källenius nannte das Auto ein „Puzzlestück einer umfassenden Erneuerung – bis 2027 präsentieren wir Dutzende neue Fahrzeuge“.
Aber trotz der Hoffnung auf die neuen Autos, die Aussicht ist düster. „Falls die aktuelle Handelspolitik so bleiben wird, erwarten wir, dass Gewinn und Free Cash Flow negativ beeinflusst werden“, sagte Källenius zu den US-Zöllen. „Und die derzeitige Volatilität ist zu hoch, um die Geschäftsentwicklung für den Rest des Jahres verlässlich zu beurteilen.“ Zu der Frage, ob er etwas bei seinem Gespräch mit Trump erreicht habe, äußerte sich der Mercedes-Chef gar nicht. Und auch auf die Sensoren seiner Anfangsrede kam er nicht noch einmal zurück.