Wie steht es um die deutsche Wirtschaft wirklich?

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Die Kanzlerschaft von Friedrich Merz (CDU) beginnt mit überraschend guten Nachrichten von der Konjunktur. Die Produktion zieht an, ebenso wie die Neubestellungen im verarbeitenden Gewerbe. Das Geschäftsklima unter den Unternehmen hat sich in den Ifo-Umfragen vier Mal nacheinander verbessert und zeigt – zumindest bislang – nur begrenzte Schäden nach den Zollankündigungen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Der Export, der im vergangenen Jahr geschrumpft war, erholt sich. All das sind die üblichen Zutaten für eine konjunkturelle Wende zum Besseren. Doch Ökonomen sind sehr zurückhaltend, in den Daten mehr als eine Stabilisierung der deutschen Industrie nach jahrelangem Minus zu erkennen.

„Wenn es die Risiken der amerikanischen Zollpolitik und die Unsicherheiten um die wirtschaftspolitischen Reformen der schwarz-roten Koalition nicht gäbe, dann würde ich sagen, dass Deutschland vor einer spürbaren konjunkturellen Erholung steht“, sagt der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Hauptgrund seien die global sinkenden Zinsen. Doch weil die außen- und binnenwirtschaftlichen Risiken schwer wiegen, sieht Krämer trotz der zuletzt ermutigenden Daten für dieses Jahr nur eine Stagnation des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

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Auf Stagnation oder Mini-Wachstum laufen derzeit die meisten Konjunkturprognosen für Deutschland in diesem Jahr heraus. Erst für das kommende Jahr erwarten Ökonomen mehr Schwung mit einer Wachstumsrate von vielleicht eins bis 1,4 Prozent. Davon werden 0,3 Prozentpunkte allein auf eine größere Zahl an Arbeitstagen zurückgehen.

Nach Angaben des statistischen Bundesamts war die Produktion im produzierenden Gewerbe im März um drei Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen und damit unerwartet stark. Für die Industrie – ohne Energie und Baugewerbe – ergab sich ein Plus von 3,6 Prozent. Im weniger schwankungsanfälligen Dreimonatsvergleich war die Produktion im ersten Quartal 1,4 Prozent höher als im Vorquartal. So ein starkes Plus hat es seit Jahresanfang 2022 nicht mehr gegeben. Auch der Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe war im März überraschend stark um 3,6 Prozent gestiegen. Beide Indikatoren zeigten Verbesserungen in vielen Branchen, was auf eine recht breite Basis hindeutet.

Mit diesen ersten harten Wirtschaftsdaten zeigt sich am Ende des ersten Quartals eine Härtung in der Industrie, die im Winterhalbjahr konjunkturell wohl den Boden gefunden hat. Nach einer vorläufigen Berechnung des statistischen Bundesamt wuchs das reale BIP im ersten Quartal um 0,2 Prozent gegenüber Vorquartal, nach einer Schrumpfung um 0,2 Prozent am Jahresende 2024. Das Plus im ersten Quartal entspricht dem seit 2022 andauernden Muster der Wellblechkonjunktur, in dem sich in einer Art Dauerstagnation Quartale mit Wachstum und Schrumpfung abwechseln.

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„Die Industrieproduktion war vielleicht einen Ticken besser als erwartet“, sagt der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Stefan Kooths. Er weist aber darauf hin, dass die Industrieproduktion so niedrig liege wie zuletzt im Jahr 2006. Das mahnt zur Vorsicht vor zu großen Hoffnungen auf eine wirtschaftliche Besserung. Kooths führt die gesamtwirtschaftlichen Verluste der Industrieproduktion überwiegend auf Verluste an Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zurück.

Die sehr schwierige wirtschaftliche Lage zeigt sich daran, dass die Kapazitätsauslastung in der Wirtschaft viel niedriger liegt als in normalen Rezensionen. Aus den Ifo-Umfragen geht hervor, dass die Unternehmen quer durch die Wirtschaft ihre Kapazität derzeit so wenig nutzen wie in den vergangenen Jahrzehnten nur während der Weltfinanzkrise und der Coronakrise.

Nahezu einhellig warnten Ökonomen am Donnerstag, dass die gute Entwicklung der Industrieproduktion im März durch einen Trumpschen Sondereffekt verzerrt sei. Vermutet wird, dass im Vorgriff auf die im April angekündigten amerikanischen Zölle viele in Amerika ansässige Kunden noch schnell ihre Lager aufgefüllt hätten. Darauf deutet unter anderem hin, dass die Produktion von Pharmazeutika im März um 19,6 gegenüber dem Vormonat stieg. Auch die amerikanischen Statistiker hatten schon darauf hingewiesen, dass im ersten Quartal die Lager unter anderem mit medizinischer Produkte deutlich aufgestockt wurden. Mit einem Zuwachs von 8,1 Prozent und 4,4 Prozent entwickelten sich auch die deutsche Automobilproduktion und der Maschinenbau im März überdurchschnittlich positiv. Die Ausfuhr in die Vereinigten Staaten stieg im März um 1,1 Prozent, nach einem Plus um 1,9 Prozent im Februar.

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Solche Vorzieheffekte könnten sich im zweiten Quartal fortsetzen, kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium. Im weiteren Jahresverlauf könne es wieder zu einer Abschwächung der Industriekonjunktur kommen, hieß es, denn die Geschäfts- und Exporterwartungen seien deutlich gedämpft. Ein erster Rückschlag schon im April kündigte sich am Donnerstag an. Die Fahrleistung von Lkw auf deutschen Autobahnen ging nach Angaben der Statistiker um 0,2 Prozent gegenüber März zurück. Das gilt als Frühindikator für die weitere Entwicklung der Industrieproduktion. Die Zahlen von März und April werden möglicherweise auch verzerrt durch die in diesem Jahr späte Lage von Ostern.

Neben den wirtschaftlichen Risiken als Folge der Zollpolitik von Trump sorgen Volkswirte sich mehr noch darum, dass die Wachstumskräfte der deutschen Volkswirtschaft für einen stabilen Aufschwung nicht reichen. Bundeskanzler Merz hatte in dieser Woche bekräftigt, dass er für Deutschland ein Wachstum des Produktionspotenzial von zwei Prozent anstrebe und für erreichbar halte. Das steht in einem deutlichen Gegensatz zu den Berechnungen von Ökonomen, die wie das Kieler IfW für die kommenden Jahre ein weiteres Abrutschen der Potenzialwachstumsrate von zuletzt 0,4 auf 0,2 Prozent bis 2029 prognostizieren.

Der erwartete Zuwachs des BIP um 1,3 Prozent im kommenden Jahr gründe allein auf einer konjunkturellen Beschleunigung als Folge höherer Staatsausgaben, erklärt Kooths vom IfW. Er hält die von der Union und der SPD im Koalitionsvertrag vereinbarten Reformen aber nicht für hinreichend, um die Wachstumskraft grundlegend zu verbessern. „Falls die Regierung alle Fesseln löse, werde das Wachstum dauerhaft stärker”, sagt Kooths. Die von Merz angestrebten zwei Prozent hält er indes für nahezu ausgeschlossen.

Ein wichtiger Grund dafür ist, dass das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland zurückgeht und die Unternehmen nach Facharbeitern suchen. Die Ifo-Umfragen zeigen, dass dieses Problem für die Unternehmen so schwerwiegend ist wie zuletzt in den 1970-er Jahren. Krämer von der Commerzbank sagt: „Auf zwei Prozent zu kommen wird selbst mit größten Reformen sehr schwierig, allein schon wegen der demographischen Schrumpfung der Zahl der Arbeitskräfte.“