Vor einem Vierteljahrhundert wurde die PISA-Studie ins Leben gerufen. Schon im ersten Jahr sorgte sie für Aufregung, denn Deutschlands Schulkinder waren im Ranking nicht besonders gut. Ein Rückblick.
“Sind deutsche Schüler doof?” – diese Frage stellte das Nachrichtenmagazin Spiegel nach der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der PISA-Bildungsstudie. Der “PISA-Schock” hatte Deutschland erreicht, die Nation der Dichter und Denker habe ein Nachwuchsproblem, analysierte der Rundfunk, und der damalige Bundespräsident Johannes Rau rechnete vor: Andere Staaten würden bis zu 90 Prozent mehr Geld pro Grundschüler ausgeben als Deutschland.
Damit begann das große Vergleichen: Wer ist besser als wir? Steigt Deutschland im Ranking auf oder ab? Und ist das so, weil andere besser werden oder weil unser Bildungssystem immer schlechter wird?
Als “Pferderennen” bezeichnet die Bildungswissenschaftlerin Cordula Artelt vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe diesen Vergleich. Artelt hat selbst in den frühen PISA-Jahren an der nationalen Umsetzung der PISA-Studie Deutschland mitgearbeitet. Sie findet es schade, dass die Ergebnisse in der Öffentlichkeit auf dieses Wettrennen, auf einen Konkurrenzkampf der Staaten reduziert werden: “Die Studien enthalten sehr viel mehr”, sagt sie heute, es gehe um ein “voneinander Lernen im besten Sinne”.
Die PISA-Studie – wie alles anfing
Voneinander lernen, das war auch die Idee von Andreas Schleicher. Der heute 60-Jährige war in den 1990er-Jahren als junger Mitarbeiter bei der OECD beschäftigt, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Bei einem Treffen der Minister der Mitgliedsstaaten, erinnert er sich, sei ihm die Idee zur PISA-Studie gekommen: “Da haben 25 Minister um einen Tisch gesessen und jeder hat gesagt: Wir haben das beste Bildungssystem in unserem Land.” Kein Diskurs, kein gegenseitiger Austausch, kein “voneinander Lernen”.
Etwa 80 Länder beteiligen sich an der Studie
Schleicher entwickelte ein Konzept für eine Vergleichsstudie – und fiel bei den Ministern damit durch. Nur ein paar wenige Staaten erklärten sich bereit, weiter an der Idee zu arbeiten. Als das Konzept fertig war, waren auch die anderen Regierungen überzeugt. Die erste PISA-Studie untersuchte die Leistungen von etwa 180.000 15-jährigen Schülerinnen und Schülern aus 32 Staaten. In Deutschland machten rund 5.000 Schulkinder mit. Heute beteiligen sich etwa 80 Länder an der Studie, die alle drei Jahre jeweils mit einem etwas anderen Schwerpunkt durchgeführt wird, mal ist es Mathematik, mal Naturwissenschaften, mal die Lesekompetenz.
Dass PISA jenseits des “Pferderennens” wirklich etwas verändern kann, davon ist Andreas Schleicher überzeugt. Heute leitet er den Bildungsbereich der OECD, die PISA-Studie hat er über all die Jahre begleitet. Er nennt als Beispiel Portugal: Das Land schnitt beim ersten PISA-Test deutlich schlechter ab als Deutschland, heute liegen beide Länder etwa gleichauf. “Die haben sehr viel auch aus dem Internationalen mitgenommen”, ist Schleicher überzeugt. Vor 25 Jahren sei das Schulsystem sehr “vertikal strukturiert” gewesen, mit wenig Gestaltungsspielraum – ähnlich wie in Deutschland, kann sich der OECD-Manager den Vergleich nicht verkneifen. Dann habe man angefangen, den Schulen mehr Freiheit und den Schulkindern mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten zu geben. Heute sei das portugiesische Schulsystem ein völlig anderes.
Schwierige Strukturen im deutschen Bildungssystem
Deutschland tut sich mit so einer Transformation offenbar schwerer. Ein Grund dafür könnte im Föderalismus liegen. Bildung ist Bundesländersache, große Veränderungen werden dadurch erschwert, dass sich 16 Landesregierungen auf konkrete Reformen einigen müssten. Es fehle an der Gesamtstrategie, sagt Bildungsforscherin Artelt. Sie verweist darauf, dass sich Deutschland sogar zeitweise in der Rangfolge verbessert habe, aber dann sei die Kurve wieder abgeflacht. Artelt attestiert den guten Ansätzen, die es in Deutschland gibt, einen Mangel an Nachhaltigkeit: “Das bedeutet nicht unbedingt mehr Geld, sondern Strukturen überdenken. Und da, glaube ich, kann man sehr wohl von anderen Ländern lernen.”
PISA ist gekommen, um zu bleiben. Aber das Studiendesign muss ständig weiterentwickelt werden, denn heute sind ganz andere Fähigkeiten wichtig: Allein die Frage, was Lesekompetenz ist, habe sich stark verändert, meint PISA-Erfinder Schleicher. Heute geht es nicht mehr nur darum, Wissen aus einem Buch zu extrahieren, es geht vielmehr um den Umgang mit Internetrecherche, mit Künstlicher Intelligenz. Da muss PISA mit der Zeit gehen. Und trotzdem wollen sie bei der OECD die Studie nicht völlig neu erfinden. Denn die Ergebnisse sollen vergleichbar bleiben – auch über die nächsten 25 Jahre.