Kommunalpolitiker im Osten fordern Ende der Brandmauer zur AfD

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Den Wahlkreis Vorpommern-Rügen hatte Angela Merkel jahrzehntelang gewonnen. Bei der Bundestagswahl im September aber holte ihn ein AfD-Mann mit 37,3 Prozent. Früher habe es geheißen, in der Gegend könne man einen schwarzen Besenstiel aufstellen, sprich: wer von der CDU sei, werde ohnehin gewählt, erzählt Stefan Kerth. Jetzt spreche man vom blauen Besenstiel. Blau ist die Farbe der AfD. Kerth ist Landrat im Landkreis Vorpommern-Rügen. Er war lange SPD-Mitglied, 2023 trat er aus, vor allem wegen der Migrationspolitik, jetzt steht er der CDU nahe, ist aber parteilos.

Kerth tourt derzeit durch seinen Landkreis, es ist Wahlkampf, schon wieder, am Sonntag wird in vier Landkreisen Mecklenburg-Vorpommerns gewählt. Eine „Brandmauer“ zur AfD gibt es hier auf kommunaler Ebene so wie vielerorts in Ostdeutschland schon lange nicht mehr.

Die Partei wurde gerade vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft; am Donnerstag gab das Amt jedoch bekannt, die AfD künftig nicht mehr öffentlich so zu bezeichnen, bis ein Gericht über das Eilverfahren der Partei entschieden hat, die gegen diese Einstufung klagt. Offiziell ist sie damit wieder ein Verdachtsfall. Doch auch wenn die Hochstufung durch ein Gericht bestätigt wird: In Mecklenburg-Vorpommern sind sich viele sicher, dass das den Zuspruch kaum stoppen wird.

„Das geht genau in die falsche Richtung“

Im Osten Deutschlands werde eine solche Einstufung kaum zu einer Abschwächung führen, sagt Landrat Kerth. „Ich rechne fest damit, dass das genau in die falsche Richtung geht.“ Solange es den anderen Parteien nicht gelinge, der Bevölkerung zu zeigen, dass sie bei den Themen, die zum Aufstieg der AfD geführt hätten, wirkliche Änderungen bewirkten, erhalte die AfD Zulauf. Wichtigstes „Triggerthema“ sei die Migration, dann folge der Krieg in der Ukraine. Hier stelle sich die AfD als „Friedenspartei“ dar. Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz werde in Ostdeutschland als Gesicht einer fehlgeleiteten Russlandpolitik gesehen, sagt Kerth.

Stefan Kerth, Landrat des Landkreis Vorpommern-Rügen
Stefan Kerth, Landrat des Landkreis Vorpommern-RügenPicture Alliance

Jens Spahn, der neue CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, hatte kürzlich gefordert, mit der Partei umzugehen, „wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“. Später schwächte er das ab, teilte mit, eine Empfehlung, AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, werde es von der CDU nicht geben. Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Chef Daniel Peters sagt dazu, er unterstütze Spahns For­derung. „Die Dämonisierung der AfD hat nicht zum Erfolg geführt.“ Eine „Brandmauer“ sei für die AfD sehr hilfreich. „Wenn alle gegen die Partei sind, schweißt das die zusammen“.

Notwendig sei eine harte inhaltliche Auseinandersetzung, so Peters. Die Einstufung als rechtsextremistisch aber könne zu „Solidarisierungseffekten“ führen. Ein mögliches Verbotsverfahren lehnt Peters ab. Auch wenn unter AfD Funktionären rechtsextremes Gedankengut verbreitet sei, die Wählerschaft insgesamt sei nicht gefährlich, sondern enttäuscht von der Politik. Ohnehin werde auf kommunaler Ebene ganz anders agiert als in Land­tagen und Bundestag, so Peters.

Im Kreistag des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte habe es in den vergangenen Jahren immer wieder Beschlüsse gegeben, die ohne die Zustimmung der AfD nicht zustande gekommen wären, sagt der CDU-Kreisvorsitzende Marc Reinhardt. Da gehe es nicht um Parteipolitik, sondern um die Sache, um den Standort von Spielplätzen oder um Krankenhäuser etwa. Die AfD stelle in den meisten Kreistagen einen stellvertretenden Kreistagspräsidenten.

„Sonst erscheinen alle wie die SED-Einheitspartei“

„Auf kommunaler Ebene findet bereits punktuell eine Zusammenarbeit mit der AfD statt, bei sinnvollen Dingen stimmen wir auch AfD-Anträgen zu“, sagt auch Georg-Christian Riedel, der seit 36 Jahren für die CDU in der Schweriner Stadtvertretung ist. „Wir müssen uns gegen die AfD abgrenzen, aber sie nicht ausgrenzen. Sonst erscheinen alle anderen Parteien wie die SED-Einheitspartei.“

Die Entscheidung des Verfassungsschutz zur AfD enthalte nur Behauptungen, keine Beweise, so Riedel. „Es ist undemokratisch, den Verfassungsschutz gegen Parteien einzusetzen.“ Er warnt ebenfalls, dass die Entscheidung den Zuspruch für die AfD nur noch größer machen könnte. „Erst durch das Ausgrenzen macht man die Partei interessant“, sagt Riedel. „Es geht darum, sachbezogen zu arbeiten und die AfD einfach machen zu lassen. Die Realität wird sie dann schon einholen“, so Riedel. An Orten wie dem thüringischen Landkreis Sonneberg, wo die AfD seit rund zwei Jahren den Landrat stellt, sei auch nicht die Welt untergegangen.

Der parteilose Landrat Kerth sagt, der einzige Weg sei ein „Strategiewechsel“: „Wir brauchen den Mut zum sehr wachsamen Einbinden der AfD in die demokratischen Prozesse“. Das werde bisher gar nicht diskutiert. Dabei gebe es in anderen europäischen Ländern wie Finnland Rechtspopulisten in der Regierung.

„Ich kann uns nur allen zu wach­samer demokratischer Gelassenheit raten“, sagt Kerth. „In anderen Ländern halten sie auch ein breites demokratisches Spektrum aus, dass sich auch wieder zurückpendelt.“ Dann werde eine Entzauberung der AfD stattfinden. „Wenn man in Ver­antwortung ist, ist es komplizierter, als immer nur dagegen zu sein.“ Kerth ist sehr skeptisch, dass es gelingt, etwa mit einer veränderten Migrationspolitik die AfD wieder kleinzubekommen. „Es ist ganz viel Vertrauen unwiederbringlich zerstört, viele Menschen sind nicht mehr zurückholbar“, sagt er.