In der vergangenen Woche war Armin Papperger mit dem NATO-Generalsekretär Mark Rutte essen. Dort hat der frühere niederländische Ministerpräsident dem deutschen Dax-Vorstandsvorsitzenden erzählt, dass es im Grunde Klarheit unter den Bündnispartnern gebe, dass jedes Land mindestens 3,5 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben müsste. So hat es der Rheinmetall -Chef Papperger gerade im Gespräch mit Analysten erzählt. Für Deutschland wären das knapp 150 Milliarden Euro im Jahr.
Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr lag der Etat bei 52 Milliarden Euro, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will ihn zunächst um zehn Milliarden Euro erhöhen. Irgendwo muss mehr Geld herkommen, denn das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen wird bald aufgebraucht sein. Für die schuldenfinanzierte Aufrüstung hat noch der alte Bundestag den Weg freigemacht. Papperger sagt, dass er in jeder Diskussion, egal mit welchem Verteidigungsminister oder Militärs auch immer, nur einen Satz hört: „Beeilt euch, macht es möglich“. Die Bestellungen, sie dürften stärker steigen.
Auftragsbestand erreicht Rekordwerte
Dabei eilt die Rüstungsindustrie ohnehin schon von Rekord zu Rekord. Der aus dem deutschen Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann und dem französischen Waffenhersteller Nexter hervorgegangene Rüstungskonzern KNDS kam zuletzt auf einen Rekordwert in seinem Auftragsbestand von 23,5 Milliarden Euro. Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), die bald wohl selbständige Marinesparte des Industriekonzerns aus Essen, hat mit mehr als 16 Milliarden Euro einen ebenfalls so hohen Auftragsbestand für ihre U-Boote wie nie zuvor. Europas größter Rüstungskonzern BAE Systems aus Großbritannien wuchs zuletzt auf umgerechnet knapp 92 Milliarden Euro. Und Rheinmetall, der größte deutsche Waffenhersteller, hat seinen Auftragsbestand, den sogenannten Backlog, innerhalb eines Jahres um 58 Prozent steigern können.
Stark getrieben ist das vor allem von Rahmenverträgen. Das sind dann noch nicht fest gebuchte Aufträge, aber Vereinbarungen, die meist in Abrufe münden. Dies eingeschlossen hat Rheinmetall im ersten Quartal 2025 seinen Auftragseingang um 181 Prozent auf elf Milliarden Euro gesteigert. Das Backlog, in dem alles verbucht wird, vom realen Auftragsbestand bis hin zu Rahmenverträgen, erreichte ein Allzeithoch von 62,6 Milliarden Euro. Nicht nur die Zahl der Aufträge hat eine neue Qualität, auch die Planungssicherheit für den Konzern.
Denn mehr als 90 Prozent der Rahmenverträge, also der noch nicht fix vereinbarten Bestellungen, kommt aus Deutschland. Hier war das Geld lange knapp kalkuliert, jetzt ist es wahrscheinlicher, dass aus den geplanten Abrufen auch tatsächliche werden. Da stehen einige Großaufträge an: 8,5 Milliarden Euro für Munition, 4 Milliarden Euro für Panzermunition. Für die Digitalisierung der Truppe sind insgesamt 12 Milliarden Euro vorgesehen. Natürlich immer über lange Zeiträume – aber für Rheinmetall steigen auch die Vorauszahlungen bei laufenden Projekten.
Deutlich mehr als 80 Milliarden Euro?
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der angestrebte Auftragsbestand zum Jahresende von „mehr als 80 Milliarden Euro“ auch in Richtung 100 Milliarden wachsen könnte. Rheinmetall zeichnet ein Potential von Auftragseingängen in Höhe von 55 Milliarden Euro für dieses Jahr: In der kommenden Woche könnte eine Vereinbarung in Rumänien für Munitionsproduktion unterzeichnet werden, in Lettland soll eine neue Fabrik entstehen. Mit Dänemark wiederum verhandelt Papperger über Pulverproduktion.
Der Vorstandsvorsitzende des Rüstungskonzerns ist nicht bange, unter der Last der Aufträge nicht liefern zu können. „Wir bauen zehn Fabriken, aber ich sage, warum nicht auch 15 neue bauen, die Nachfrage ist da“, sagt Papperger. Neu aufgebaute Produktionslinien werden direkt für höhere Nachfrage konzipiert. So hat Rheinmetall in Niedersachsen eine neue Munitionsproduktion aufgebaut, die eigentlich auf 200.000 Schuss im Jahr ausgerichtet ist. „Aber wenn die deutsche Regierung jetzt 300.000 statt 200.000 Schuss haben will, dann können wir das schicken“, sagte Papperger.
Neue Partnerschaften mit Milliarden-Potential
Die Wachstumsstrategie hat mehrere Pfeiler. Zum einen kann der Konzern bestehende Schichten besser auslasten, zum anderen widmet er zivile Fabriken in Rüstungsproduktion um. Rheinmetall verhandelt wie andere Rüstungskonzerne auch mit Zulieferern etwa aus der Autoindustrie darüber, Werke zu übernehmen. Und dann steigt die Zahl der Partnerschaften mit anderen Unternehmen stark an. So will Rheinmetall mit dem Unternehmen ICYEY Satelliten bauen, langfristig könnte das Gemeinschaftsunternehmen eine Milliarde Euro im Jahr umsetzen.
Mit dem größten Rüstungskonzern der Welt, Lockheed Martin , will sich Rheinmetall in Deutschland zusammentun, um Raketen zu bauen. Für eine Fabrik für Raketenmotoren soll, wenn die Behörden zustimmen, im Juni der Grundstein gelegt werden. Bis zu fünf Milliarden Euro Umsatz im Jahr erwartet Papperger davon, etwa von 2028 an. Weiteres Wachstum kommt aus Zukäufen. Mit der Übernahme von Loc Performance in Amerika etwa hat das Unternehmen seine Verbindung zum dortigen Militär nochmals verbessert. „Wir schauen uns weitere Möglichkeiten an“, sagte Papperger, Geld genug dafür sei vorhanden.
Für den Bereich Munition geht der Rheinmetall-Chef davon aus, in Europa schon einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent zu haben. Durch das Wachstum auch vieler anderer Rüstungskonzerne sinke zwar der generelle Marktanteil Rheinmetalls, doch gibt er sich optimistisch. „Ich glaube, wir können mehr als 30 Prozent Marktanteil im gesamten europäischen Rüstungsmarkt erreichen“, sagte Papperger vor Analysten. Was die Umsatzmarken angeht, bleibt er aber zurückhaltend, Rheinmetall rechnet weiter mit 30 Milliarden Euro im Jahr 2030. Analysten erwarten längst mehr.
Die Pipeline der Aufträge wandelt sich natürlich nur nach und nach in Umsätze, durch Vorauszahlungen, erste Abrufe von Produktionschargen und lange geplante Auslieferungen. Doch wächst Rheinmetall auch da enorm. Gleichwohl stehen selbst die steilen Wachstumskurven nur unter Vorbehalt, sie könnten schnell in den Schatten gestellt werden. Die Ukraine könnte möglicherweise 1,5 Millionen Schuss Artilleriemunition bestellen. Das wäre eine Verdopplung der aktuellen Gesamtkapazität. „Es ist noch nichts offiziell. Aber das wäre ein totaler Gamechanger“, sagte Papperger.