Der lange Weg zum Kernfusionsreaktor in Deutschland

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Stand: 12.05.2025 07:38 Uhr

Die neue Bundesregierung will die Fusionsforschung in Deutschland stärken. Ziel sei es, hierzulande den weltweit ersten Reaktor zu errichten. Doch Fachleute warnen vor übertriebenen Erwartungen.

Von Frank Grotelüschen, WDR

Die Kernfusion – die kontrollierte Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium – gilt als potenziell unerschöpfliche und klimafreundliche Energiequelle. Anders als bei der Kernspaltung sollen dabei keine langlebigen radioaktiven Abfälle entstehen. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, ein Kraftwerk zu bauen, das mehr Energie erzeugt als es verbraucht.

Immerhin gab es in den vergangenen Jahren Fortschritte. Im Dezember 2022 gelang es der US-amerikanischen National Ignition Facility (NIF) erstmals, per Laser eine Verschmelzung zu zünden. Auch in Europa gab es Erfolge: Der Joint European Torus (JET) in Großbritannien stellte 2023 einen Rekord auf und erzeugte in einem fünf Sekunden währenden Fusionsfeuer so viel Energie wie beim Verbrennen von zwei Kilogramm Braunkohle.

In Deutschland forscht das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik mit dem Stellarator Wendelstein 7-X in Greifswald an der Magnetfusion. “Wendelstein 7-X ist kein Kraftwerk, sondern noch ein Experiment”, betont Projektleiter Thomas Klinger. Dennoch seien die Ergebnisse vielversprechend. “Die Anlage ist enorm gutmütig, sehr einfach zu betreiben. Und sie hat gute Daten geliefert.”

Start-ups drängen auf Kommerzialisierung

Deshalb wollen junge Firmen die Entwicklung nun vorantreiben und tüfteln an Konzepten für kommerzielle Stellaratoren. Das Prinzip: Wasserstoffgas wird in einem Magnetkäfig eingeschlossen und mit Mikrowellen auf über 100 Millionen Grad erhitzt. Das Münchner Start-up Proxima Fusion plant, bis 2031 einen Prototyp zu bauen. “Unsere Roadmap sieht bis Ende der 2030er-Jahre ein erstes Fusionskraftwerk vor”, sagt Mitgründer Jorrit Lion. Auch die Firma Gauss Fusion versucht sich mit Unterstützung größerer Industrieunternehmen an der Sache.

Um ein Kraftwerk zu bauen, setzen die Firmen auf neue Technik, etwa auf Magnete aus speziellen Materialien, sogenannten Hochtemperatur-Supraleitern, die viel stärker sind als die jetzigen Modelle. Zudem arbeiten sie an einem System zur Erzeugung von Tritium. So heißt eine der beiden Wasserstoff-Sorten, die als Brennstoff dienen.

Wasserstoff unter Laserbeschuss

Doch es gibt eine Alternative zur Magnetfusion – die Laserfusion. Dabei feuern Laser starke Lichtblitze auf ein Kügelchen aus gefrorenem Wasserstoff. Dadurch pressen sie es so stark zusammen, dass die Kerne verschmelzen können und Energie freisetzen. In Deutschland verfolgen zwei Start-ups dieses Prinzip: Focused Energy in Darmstadt will bis Anfang der 2030er-Jahre eine Testanlage mit 40 bis 50 Lasern bauen. Ein Kraftwerk allerdings müsste Hunderte von Lasern haben, ein erster Prototyp soll bis Ende des nächsten Jahrzehnts stehen.

“Dann soll zehn Mal pro Sekunde ein Wasserstoff-Kügelchen von zwei bis drei Millimeter Durchmesser in die Reaktorkammer fallen”, erklärt Chefwissenschaftler Markus Roth. “Jedes Mal feuern unsere Laser auf die Kügelchen und zünden eine Fusionsreaktion, bei der das 100fache der hineingesteckten Energie herauskommt.” Aber Laser, die ultrastarke Lichtblitze effizient erzeugen können, gibt es noch nicht. Doch die Branche zeigt sich optimistisch. “Um solche Laser zu entwickeln, haben wir vor einiger Zeit eine Förderung von 45 Millionen Euro erhalten”, sagt Heike Freund, Geschäftsführerin des Münchener Start-ups Marvel Fusion.

Enorme Herausforderungen

Doch nicht alle teilen den Optimismus. “Das ist überhaupt kein Selbstläufer”, meint Reinhard Grünwald vom Büro für Technikfolgenabschätzung. “Schon die Wahl geeigneter Materialien ist ein ziemliches Brett.” Denn die Herausforderungen an die Reaktorkomponenten sind enorm – sie müssen große Hitze und einiges an Radioaktivität aushalten. Offen auch die Frage nach dem Tritium, einem der Brennstoffe. Der Plan ist, dass sich die Reaktoren das Tritium während des Betriebs selbst herstellen – eine Technik, die kaum erprobt ist.

Angesichts dieser Hürden meinen manche, dass die Fusion nicht in 15 Jahren einsatzreif ist, sondern deutlich später. “Das geht nicht von heute auf morgen”, meint Grünwald. “Meines Erachtens wird nicht genug über die Probleme gesprochen, bei denen im Moment noch nicht klar ist, wie man sie eigentlich lösen will.”

Verlässlicher Stromlieferant

Doch selbst wenn es die Branche schafft, brauchbare Reaktoren auf die Beine zu stellen – werden sie überhaupt wirtschaftlich sein? “Wir gehen nicht davon aus, dass die Fusion so günstig sein wird wie die Windenergie”, sagt Milena Roveda von Gauss Fusion. “Aber wir sehen sie als ergänzende und Quelle für eine zuverlässige Grundlastversorgung.”

Kernfusion bleibt ein technisches Megaprojekt mit ungewissem Ausgang. Bis Reaktoren Strom liefern, muss noch manche Herausforderung gemeistert werden. Ob am Ende die Laserfusion das Rennen macht oder die Magnetfusion, ist noch offen. Doch der politische Rückenwind ist da, Investoren schießen Millionen in die Technik. Der Traum lebt weiter.