Enges Rennen in der Präsidentschaftswahl erwartet

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Ginge es nur nach der Anzahl der Flaggen, wäre der Sieger kaum auszumachen. Wo immer in Polen in diesen Tagen Kandidaten für das höchste Amt der Republik um Stimmen werben, schwenken ihre Anhänger die weiß-roten Nationalfarben.

Sie sind Ausdruck der Freude und des Stolzes der Polen über die Unabhängigkeit ihres Landes, die sie 1989 errungen haben und auf die sie bis dahin rund 200 Jahre lang verzichten mussten, weil ihr Land zwischen Russland, Preußen und Österreich-Ungarn aufgeteilt und später von Deutschland und der Sowjetunion besetzt war.

Dass es so weit nie wieder kommen darf, dafür steht die Flagge, aber auch das Amt des Präsidenten. Zu dessen Aufgaben gehört es, die Unabhängigkeit und Sicherheit des Staates sowie die Unantastbarkeit und Unteilbarkeit seines Territoriums zu sichern.

Duda nutzt seine Macht

Doch über dieses Fundament hinaus ist es nicht weit her mit der Einigkeit der Polen. Politisch zieht sich seit zwei Jahrzehnten ein tiefer Graben durch unser Nachbarland, den in diesem Wahlkampf fast alle Beteiligten noch tiefer ausheben. Er verläuft zwischen der nationalistisch-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit der Parlamentswahl 2023 in der Opposition ist, und der liberal-konservativen Bürgerkoalition (KO) von Ministerpräsident Donald Tusk.

Der PiS fällt der Machtverlust schwer, doch mit Andrzej Duda stellt sie nach wie vor das Staatsoberhaupt. Der Präsident wird im Zentralstaat Polen, anders als im föderativen Deutschland, nicht nur direkt vom Volk gewählt, sondern ist auch mit deutlich mehr Macht ausgestattet: Er ist Oberbefehlshaber des Militärs, bestimmt die Außenpolitik mit und unterzeichnet sämtliche Gesetze.

Duda nutzt diese Macht, um es Tusks Regierung so schwer wie möglich zu machen. Gesetze, welche die Regierungskoalition im Sejm, dem polnischen Parlament, beschlossen hat, unterschreibt er in der Regel nicht oder leitet sie „zur Prüfung“ an das Verfassungsgericht weiter, das nach wie vor mit PiS-Gewährsleuten besetzt und somit nicht unabhängig ist.

So herrscht ein weitgehender legislatorischer Stillstand, und Tusk kann seine Wahlversprechen nicht einlösen – insbesondere die Rückabwicklung des unter der PiS begonnenen Umbaus der Justiz zu einem Anhängsel der Exekutive. Das Ansehen der Regierung Tusk, die mit dem Versprechen angetreten war, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung in Polen wiederherzustellen, hat deshalb schon erheblich gelitten.

Dudas zweite Amtszeit endet jedoch in diesem Jahr, noch einmal darf er laut Verfassung nicht antreten. Für Tusk ist die Wahl am 18. Mai deshalb die Chance, einen Kandidaten in den Präsidentenpalast zu schicken, der seine Reformagenda nicht länger blockiert.

Trzaskowski vs. Nawrocki

In einer parteiinternen Vorwahl setzte sich der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski durch, der vor fünf Jahren nur knapp gegen Duda verloren hatte. Der 53 Jahre alte gebürtige Warschauer und verheiratete Familienvater verfügt über viel politische Erfahrung. Er war schon Minister in Warschau sowie Abgeordneter im Europaparlament und spricht fünf Sprachen fließend – aber er ist auch ein Kind des großstädtischen Establishments.

Der liberal-konservative Rafał Trzaskowski
Der liberal-konservative Rafał TrzaskowskiEPA

Das Misstrauen zwischen Stadt und Land ist auch in Polen stark ausgeprägt. Mehr als die Hälfte der 30 Millionen Wahlberechtigten lebt in ländlichen Regionen, wo die PiS in der Regel gute Ergebnisse erzielt. Sie will das Präsidentenamt unbedingt verteidigen, und sie schickt dafür den bis zu seiner Nominierung einer größeren Öffentlichkeit unbekannten Historiker Karol Nawrocki ins Rennen.

Er stammt aus Danzig, ist 42 Jahre alt, Familienvater, Leiter des Instituts für Nationales Gedenken, einer Art polnischer Gauck-Behörde. Politisch ist Nawrocki völlig unerfahren, dafür hat er eine – gelinde gesagt – schwierige Vergangenheit im Hooligan- und Türstehermilieu. Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński präsentiert den Parteilosen dennoch als „unabhängigen Bürgerkandidaten“, um in anderen Lagern Stimmen zu holen.

Der nationalistisch-konservative Karol Nawrocki
Der nationalistisch-konservative Karol NawrockiEPA

Gut ein Dutzend Kandidaten tritt bei der Wahl an, darunter linke, liberale und unabhängige, aber auch moskautreue, rechtsextreme und antisemitische wie der Europaabgeordnete Grzegorz Braun, der zweifelhafte Berühmtheit erlangte, als er im Sejm mit einem Feuerlöscher die Kerzen eines Chanukkaleuchters ausblies.

Den Feuerlöscher machte er kurzerhand zu seinem Logo, im Wahlkampf zündet er Europaflaggen an. Umfragen sehen ihn bei rund einem Prozent der Stimmen, und auch viele andere Kandidaten liegen im einstelligen Bereich. In Erhebungen führt zurzeit Trzaskowski mit rund 35 Prozent, gefolgt von Nawrocki, der auf 25 Prozent kommt.

Ein erbitterter Wahlkampf

Ziemlich sicher gibt es deshalb eine Stichwahl am 1. Juni, sehr wahrscheinlich zwischen diesen beiden. Und alles deutet auf ein enges Rennen hin. Sollte Nawrocki gewinnen, droht ein politisch gelähmtes Polen, denn Tusk könnte mit seiner Regierung weiter kaum etwas umsetzen. Entsprechend erbittert wird der Wahlkampf geführt, der auch eine persönliche Fehde zwischen Tusk und Kaczyński ist.

Vor 20 Jahren noch hätten beide, die aus der Solidarność-Bewegung stammen, um ein Haar miteinander koaliert, doch dann entzweiten sie sich, wozu der Umgang mit der Flugzeugkatastrophe von Smolensk beitrug. Bei der kamen 2010 fast hundert Vertreter der polnischen Regierungs-, Verwaltungs- und Militärelite ums Leben, darunter der damalige Präsident Lech Kaczyński und seine Frau, die sein Zwillingsbruder Jarosław seitdem politisch rächen will. Es ist ein Dauerkonflikt, der viele Polen nervt, aber aus dem es bislang keinen Ausweg gibt.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Das ist umso erstaunlicher, als Polen wirtschaftlich gut dasteht. Als einziges der Länder des früheren Ostblocks erzielt es Jahr für Jahr hohe Wachstumsraten, es ist der viertgrößte Handelspartner Deutschlands noch vor Italien und Großbritannien und obendrein zu einer bedeutenden politischen Kraft in Europa gewachsen.

„Das Land ist längst keine verlängerte Werkbank mehr, sondern ein wichtiger Innovationspartner, von dem wir in Deutschland vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit viel lernen können“, sagte Philipp Haußmann, Vizechef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, diese Woche anlässlich des Antrittsbesuchs von Friedrich Merz in Warschau. Polen ist entschlossen, gemeinsam mit Deutschland und Frankreich eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen.

PiS warnt vor zu enger Kooperation mit Deutschland

Die PiS warnt jedoch vor einer zu engen Kooperation mit Deutschland. Ihre Vertreter werfen Berlin nicht nur im Wahlkampf belegfrei vor, Polen mithilfe der EU abermals unterjochen zu wollen. Kaczyński plädiert stattdessen weiter für eine enge Anbindung an die USA, die in Polen selbst zur Zeit des Kommunismus nie abgerissen ist. Auch wenn Donald Trump das Land eben erst mit 20 Prozent Zoll belegt und obendrein darüber im Unklaren gelassen hat, ob die 10.000 in Polen stationierten US-Soldaten im Land bleiben werden.

Trumps politische Agenda aber – das eigene Land und die Stärkeren zuerst, gegen unabhängige Medien und Wokeness – trifft sich mit jener der PiS. Sie versucht sogar, den amerikanischen Vize-Präsidenten J. D. Vance für einen Auftritt zur Unterstützung Karol Nawrockis zu gewinnen. Denn bisher konnte der „Bürgerkandidat“ nicht einmal die PiS-Stammwählerschaft hinter sich vereinen, weil er vor allem mit der Abwehr von Affären und Peinlichkeiten beschäftigt ist.

So hatte er unter Pseudonym ein Buch über eine Danziger Unterweltgröße verfasst und war unter dem Alias verkleidet und mit verstellter Stimme in einer TV-Show aufgetreten. Dort lobte er den Historiker Karol Nawrocki – also sich selbst – dafür, das Thema entdeckt zu haben. Umgekehrt machte er als Karol Nawrocki Werbung für das Buch, dessen Autor er gut kenne. Jüngst tauchten auch noch Immobiliendeals auf, bei deren Erklärung sich der Kandidat nur noch mehr in Schwierigkeiten brachte.

Tusk wiederum ist die Europhobie der PiS fremd; er plädiert angesichts von Trumps Ausfällen jetzt erst recht für eine engere Kooperation und mehr Selbstbewusstsein in Europa. Es sei doch paradox, dass 500 Millionen Europäer 350 Millionen Amerikaner bäten, sie vor 140 Millionen Russen zu beschützen, sagte er im März. „Wir müssen uns auf uns selbst verlassen, uns unseres Potentials voll bewusst sein und darauf vertrauen, dass wir eine Weltmacht sind.“

Rafał Trzaskowski greift das im Wahlkampf auf. Es gelte, Polens Position in der EU zu stärken, sagt er. „Wenn die Amerikaner uns den Handelskrieg erklären, gibt es darauf nur eine Antwort: Wir müssen in unsere Industrie investieren, vor allem in die Rüstungsindustrie.“ Trzaskowski zeichnet als einer der wenigen Kandidaten kein angstvolles, sondern ein zuversichtliches Bild von Polens Zukunft. Allerdings ist ihm die Bürde der Aufgabe anzumerken: Statt frisch voranzugehen, versucht er vor allem, Fehler zu vermeiden.

Zweifel an Unabhängigkeit des Gerichts

Angesichts der Bedeutung dieser Präsidentschaftswahl wachsen jedoch auch Sorgen über juristische Winkelzüge. Denn Polens Oberstes Gericht muss über die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses entscheiden. Die dafür zuständige Kammer wurde in der PiS-Regierungszeit geschaffen, und es gibt Stimmen, die deshalb bezweifeln, dass sie rechtmäßig zusammengesetzt ist. Ein Verfahren dazu ist vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig.

Das Oberste Gericht habe seit 2017 sieben Wahlen in Polen überwacht, darunter die Parlamentswahlen 2023, und nie seien Einwände erhoben worden, sagt Tomasz Pietryga, Rechtsexperte und Vizechefredakteur der Zeitung „Rzecz­pospolita“. Diesmal sei die Lage jedoch aufgrund der heftigen politischen Auseinandersetzungen anders. Es bestehe die Gefahr, dass der Wahlverlierer die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts anzweifele.

Das sei vor allem möglich, wenn der Ausgang knapp sei und Einsprüche das Ergebnis beeinflussen könnten. „Das ist eine sehr gefährliche Situation, da sie im Extremfall die Ernennung eines neuen Präsidenten blockieren und zu sozialen Unruhen und Streit über die Legitimität des Gewinners führen könnten“, sagt Pietryga. „Ich hoffe jedoch, dass die Politik angesichts der geopolitischen Lage und des anhaltenden Krieges in der Ukraine ihre Emotionen zügeln wird.“

Paweł Kuglarz, Direktor der Deutschen Rechtsschule an der Universität Krakau, sieht ein Risiko vielmehr dann, wenn die Kammer das Wahlergebnis für ungültig erklären sollte. „Dann hätten wir ein großes Problem, denn in diesem Fall könnte kein Präsident vereidigt werden.“ Allerdings müssten dafür grobe Unregelmäßigkeiten festgestellt werden. Die von einigen Bewerbern schon jetzt ins Spiel gebrachten – vermeintlichen – Nachteile bei der Teilnahme an Fernsehdebatten dürften dafür nicht ausreichen, sagt er. Angesichts der Bedeutung der Wahl könnte die Kammer vielmehr das Verfahren aussetzen und keinen Beschluss fassen, bis der EuGH in ihrem Fall entschieden hat.