Airbnb-Chef Brian Chesky im Gespräch über Übertourismus und Airbnbs Zukunft

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Herr Chesky, bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen haben Sie gesagt, nach Ihrer Beobachtung hätten die USA als Reiseziel für Ausländer an Popularität verloren, und gerade Kanadier blieben dem Land fern. Würden Sie das einen Boykott nennen?

So dramatisch würde ich es nicht beschreiben. Wir sehen eine leichte Veränderung im Reiseverhalten, und ja, manche Kanadier entscheiden sich im Moment, innerhalb ihres eigenen Landes zu verreisen. Wenn sie ein Airbnb in Kanada buchen, wissen sie, dass ihr Geld abzüglich der Provision von 15 Prozent, die wir bekommen, an Kanadier fließt. Das ist Teil eines breiteren Trends, viele Menschen unterstützen gerne einheimische Betriebe.

Aber im Moment kommen vermutlich politische Gründe hinzu.

Es gibt politische Gründe dafür, und es gibt auch finanzielle Gründe. Aber die weit überwiegende Mehrheit der Menschen will noch immer verreisen, und unsere beliebtesten Reiseziele auf Airbnb sind noch immer beliebt. Das gilt für Paris und London, aber auch für Los Angeles.

Inwiefern trifft es Sie als Unternehmen, wenn Menschen ein bestimmtes Reiseziel meiden?

Wir sind wahrscheinlich anpassungs- und widerstandsfähiger als jedes andere Reiseunternehmen der Welt. Wir sind in fast jedem Land vertreten und bieten alle möglichen Unterkünfte, ob in Städten oder auf dem Land, ob für ein kleines oder ein großes Budget. Wenn Menschen ein bestimmtes Land meiden, reisen sie halt in ein anderes Land oder innerhalb ihres eigenen Landes. Wir konnten uns auch während der Corona-Pandemie anpassen. Viele Menschen wollten nicht fliegen, sind aber trotzdem verreist, aber eben in näher gelegene Orte, die sie mit dem Auto erreichen konnten.

Können Sie sich vorstellen, dass die USA einen dauerhaften Schaden als Reiseziel erleiden – und das zum Beispiel bei der Fußballweltmeisterschaft in Nordamerika im nächsten Jahr zu spüren ist?

Das würde ich nicht erwarten. Viele Menschen werden noch immer in die USA reisen, und die WM ist die größte Veranstaltung der Welt. Ich denke, die Leute werden ihrer Leidenschaft für den Fußball folgen, und das wird für sie entscheidender sein als etwaige andere Meinungen, die sie haben.

Airbnb

Airbnb ist vor allem für Unterkünfte bekannt, jetzt planen Sie eine Neuausrichtung und wollen Ihren Nutzern diverse Dienste vermitteln, von Fitnesstraining bis zu Maniküren. Machen Sie das auch deshalb, weil Ihr Stammgeschäft viele Kritiker hat?

Unser Kerngeschäft ist komplex, das war mir selbst nicht ganz klar, als wir Airbnb gegründet haben. Unser neues Dienstleistungsgeschäft ist auf andere Weise kompliziert, allerdings wird hier wohl unser Verhältnis zu Städten einfacher sein. Aber vor allem machen wir das, weil wir denken, dass die Leute es wollen und es bisher keine gute Plattform dafür gibt. Wir haben mit Airbnb die Art und Weise verändert, wie die Menschen reisen, aber wir haben uns gefragt, ob wir für mehr stehen könnten als für einen Platz zum Übernachten. Ich denke, das wird das nächste große Kapitel für unser Unternehmen.

Meinen Sie, das kann eines Tages ein größeres Geschäft werden als das Vermitteln von Unterkünften?

Ja, auch wenn ich das weder versprechen noch vorhersagen will. Der Gesamtmarkt für Entdeckungen und Services könnte dann größer sein als unser Kerngeschäft, wenn die Leute das auch an ihrem Heimatort nutzen.

Also nicht mehr nur, wenn sie verreisen.

Ja. Und das ist die große Frage: Werden die Leute auch an Airbnb denken, wenn sie zu Hause sind? Ich wüsste nicht, warum sie das nicht tun sollten, aber das wird bestimmt eine Zeit dauern und nicht sofort passieren. Unsere Marke ist sehr stark, aber sie ist eben auch sehr mit Reisen verbunden. Wir werden die Dienstleistungen erst einmal vor allem im Zusammenhang mit Reisen vermarkten und das dann in den nächsten Jahren allmählich auf Einheimische ausweiten. Der Markt ist jedenfalls riesig. Wir starten mit zehn Services, aber wir könnten das einmal auf mehrere Hundert ausweiten. Und es gibt bisher kein Amazon für Dienstleistungen.

Das wären Sie also gerne?

Ich fände das toll. Aber mit einigen Unterschieden zu Amazon. Bei uns geht es nicht um Massenware, sondern um Angebote mit höheren Gewinnmargen. Und wir bringen eine andere Designphilosophie mit.

Sie haben vor geraumer Zeit das Ziel ausgegeben, künftig jedes Jahr zwei bis drei neue Geschäfte zu starten, die irgendwann einen Jahresumsatz von mindestens einer Milliarde Dollar erreichen. Steht das noch?

Ja, und ich sehe Entdeckungen und Services als zwei von diesen Geschäften. Ich kann mir auch vorstellen, Hotelübernachtungen über Airbnb anzubieten.

Obwohl Sie zu Hotelbetreibern ein oft feindseliges Verhältnis haben? Warum würden die auf Airbnb sein wollen?

Die wollen zu 100 Prozent auf Airbnb sein. Das weiß ich, weil wir mit vielen von ihnen gesprochen haben. Für Hotels geht es nur um die Frage, ob wir ihnen nutzen können. Wir bieten eine der größten Reiseplattformen der Welt. Außerdem ist die Provision, die wir verlangen, oft niedriger als auf anderen Reiseportalen, das gilt vor allem für unabhängige Hotelbetreiber, von denen es gerade in Europa viele gibt. Wir bieten einen alternativen Vermarktungskanal, der Hotels helfen kann, ihre Zimmer zu füllen. Wir werden in den nächsten Jahren einige coole Sachen mit Hotels machen.

Sie haben auch einmal gesagt, Airbnb könnte eines Tages langfristig Wohnungen und Häuser anbieten, also gewissermaßen in den gewöhnlichen Mietmarkt einsteigen.

Das halte ich noch immer für eine massive Chance, und ich denke, das ist definitiv eines der Geschäfte mit einem Umsatz von mehreren Milliarden Dollar, die ich in unserer Zukunft sehe. Wir bewegen uns ohnehin schon in diese Richtung, 18 Prozent der bei uns gebuchten Nächte entfallen auf Aufenthalte, die länger als 30 Tage sind. Ich sehe hier auch Synergien zu dem Geschäft mit anderen Dienstleistungen. Diese Angebote können zum Beispiel helfen, Leute kennenzulernen und sich zurechtzufinden, wenn man in eine neue Stadt zieht.

Ihr Verhältnis zu Regulierern scheint nicht gerade leichter zu werden. Es gibt neue Restriktionen wie in Montreal, wo Kurzzeitvermietungen wie auf Airbnb nur noch in den Sommermonaten erlaubt sein sollen. Das spanische Verfassungsgericht hat unlängst entschieden, dass ein für 2028 geplantes Komplettverbot in Barcelona in Kraft treten darf.

Es wird auf jeden Fall nicht leichter. Aber ich denke, insgesamt wird unser Verhältnis zu Regulierern besser. Man darf nicht vergessen, dass wir in mehr als 100.000 Städten auf der Welt sind, und mehr Städte bedeuten auch mehr Regulierung. Aber meiner Meinung nach führen wir heute keine existenziellen Diskussionen mehr. Anders als vor einigen Jahren geht es heute nicht mehr darum, ob, sondern wie wir existieren. Ich denke, das Blatt wendet sich gerade. Es wird uns auch helfen, wenn wir jetzt unser Geschäft auf eine breitere Basis stellen. Ich sehe das als Gelegenheit für einen Neustart in vielen Märkten.

Die anderen Dienstleistungen sollten auf erheblich weniger regulatorischen Widerstand stoßen. Und wenn wir mit Hotels zusammenarbeiten, dann bringen wir eine Gruppe auf unsere Seite, die uns traditionell ziemlich feindselig gesinnt war. All diese Sachen können dazu beitragen, dass man Airbnb etwas weniger mit einem Geschäft in Verbindung bringt, das für manche Leute emotional aufgeladen ist. Man nimmt uns dann als ein viel breiter aufgestelltes Unternehmen wahr, und ich denke, das ist hilfreich, wenn man sich mit Regulierern trifft. Im Moment steht Airbnb hauptsächlich für die Vermittlung von Wohnraum, in einem Jahr für viel mehr.

In manchen Märkten geht es für Sie freilich noch immer um die Existenz. Barcelona ist ein Beispiel, oder auch New York, wo ein seit 2023 geltendes Gesetz das Vermieten auf Airbnb erheblich erschwert hat. Airbnb sagt selbst, die Zahl der angebotenen Unterkünfte sei hier seither um mehr als 90 Prozent gefallen. Sehen Sie denn in solchen Städten noch Chancen auf ein Comeback?

Ich glaube, es gibt einen Weg zurück für Airbnb in New York, auch wenn ich nicht sagen kann, wann. Wir versuchen, mit dem Stadtrat daran zu arbeiten, und ich bin da recht zuversichtlich. Hinter den strengeren Vorschriften steckte ja die Annahme, dass Airbnb die Mieten in die Höhe treibt. Wir haben aber gesehen, dass die Mieten seither sogar noch schneller gestiegen sind als vor dem Verbot, und auch die Hotelpreise sind viel höher. Ich bin optimistisch, dass es in den kommenden Jahren eine Welle besserer Regulierung geben wird.

Auch in europäischen Märkten wie Barcelona?

Finden Sie es unfair, wenn Politiker Airbnb eine Schurkenrolle zuschreiben?

Ja. Je größer man wird, umso kritischer wird man beobachtet, und das ist auch in Ordnung so. Aber es sollte fair und verhältnismäßig sein. Viele Städte kämpfen mit Übertourismus und haben nicht genug Wohnraum, aber ich denke nicht, dass wir am meisten zu solchen Problemen beitragen. Und wir sind gerne bereit, mit Regulierern zusammenzuarbeiten, zum Beispiel, indem wir Leute ermutigen, außerhalb von Innenstädten zu übernachten. Wir haben auch vielen Regulierungen zugestimmt, etwa Obergrenzen für die Zahl der Tage im Jahr, an denen man Wohnraum auf Airbnb vermieten darf. Tatsache ist, in den meisten Fällen arbeiten wir partnerschaftlich mit Städten, und ich sehe uns als Teil der Lösung, nicht als Teil des Problems. Übrigens erst recht im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz.

Ich meine das mit Blick auf die Sorgen, welche Jobs es in der Zukunft nicht mehr geben wird. Mit unseren neuen Dienstleistungen versetzen wir Millionen von Menschen auf der ganzen Welt in die Lage, Geld zu verdienen, und ich denke, diese Dinge werden lange Zeit ziemlich sicher vor KI sein. Ich denke nicht, dass man in absehbarer Zeit eine Massage von einem humanoiden Roboter bekommen wird.

Also eine Arbeit auf Airbnb als Antwort auf die Bedrohung von Arbeitsplätzen durch KI?

Im KI-Zeitalter stellt sich die Frage, was Menschen künftig tun werden. Ich kann das nicht vollständig beantworten, niemand kann das. Aber ich bin ziemlich sicher, dass wir nicht nur in der digitalen, sondern auch in der realen Welt leben wollen. Ich verstehe Airbnb als ein zutiefst humanistisches Technologieunternehmen, wir stehen für die reale Welt. Unser Ziel ist es, Technologie zu benutzen, damit die Menschen sich von ihren Geräten loslösen und in die reale Welt hinaus gehen. Und was unsere neuen Dienstleistungen betrifft: Ich denke, um sie herum wird ein ganzes wirtschaftliches Ökosystem entstehen. Dienstleistungen sind schon heute ein großer Teil der globalen Wirtschaft, aber sie sind bisher noch nicht auf eine Art und Weise aggregiert worden, wie wir das tun.

Als Ihre „Kernmärkte“ beschreiben sie bisher die USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Frankreich. Deutschland ist noch nicht darunter.

Deutschland ist einer unserer Expansionsmärkte. Es ist die größte Volkswirtschaft in Europa, und die Deutschen geben auch mehr für Reisen aus als alle anderen Europäer, insofern ist es ein großer Schwerpunkt für uns. Ich denke, unsere neuen Dienstleistungen könnten helfen, mehr Deutsche mit Airbnb bekannt zu machen, und ich werde selbst in ein paar Wochen nach Berlin kommen.

Umstrittener Vermieter

Die Geschäftsidee für Airbnb entstand 2007, als Brian Chesky mit einem Freund aus Studientagen beschloss, während einer Konferenz in San Francisco etwas Platz in der gemeinsamen Wohnung zu vermieten. Seither wurden mehr als zwei Milliarden Mal Unterkünfte auf Airbnb gebucht. Das Konzept ist freilich seit jeher umstritten, Airbnb wird oft vorgeworfen, dem regulären Mietmarkt Wohnungen zu entziehen. Jetzt will das Unternehmen sein Geschäft auf eine breitere Basis stellen. Es hat eine Kategorie „Services“ angekündigt, unter der es auch Dienstleister wie Friseure, Fotografen und Fitnesstrainer vermitteln will. Außerdem plant das Unternehmen, das Angebot an „Entdeckungen“ erheblich auszuweiten: Darunter fallen Stadttouren und Kochkurse.