Emmanuel Macron offen für Ausweitung des Atomschirms

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Frankreich will seine Atomwaffen, „ähnlich wie es die Amerikaner tun“, anderen europäischen Ländern zu Abschreckungszwecken anbieten. Das kündigte Präsident Emmanuel Macron in einem mehr als dreistündigen Fernsehinterview am Dienstagabend an. „Ich werde den Rahmen dafür in den kommenden Wochen und Monaten ganz offiziell festlegen“, sagte Macron im Privatsender TF1. Es war das erste Mal, dass er eine breite Öffentlichkeit mit der Frage vertraut machte. Das Angebot richtet sich insbesondere an Deutschland und Polen. Mit Warschau hatte Paris vergangene Woche einen umfassenden Freundschaftsvertrag vereinbart.

Bislang hatten es französische Präsidenten stets vermieden, das Thema nukleare Abschreckung in abendlichen Politsendungen zu erläutern. Macron aber verwies darauf, dass sich die Bedrohungslage für Europa dramatisch verändert habe. Er nannte drei Bedingungen für die Ausweitung des atomaren Schutzschirms auf EU-Partner.

„Frankreich wird nicht für die Sicherheit anderer bezahlen“, sagte er. Zweitens werde die nukleare Abschreckung für interessierte Verbündete „nicht zu Lasten dessen gehen, was wir für uns selbst brauchen“. Die dritte Bedingung betrifft die Entscheidungsverfahren. „Die endgültige Entscheidung liegt immer beim Präsidenten der Republik, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte“, sagte er.

Das ist trotz der Wortschöpfung der „nuklearen Teilhabe“ auch beim jetzigen Verfahren mit Amerika der Fall. Allein der amerikanische Präsident kann über einen Einsatz von Atombomben entscheiden. Deutschlands Entscheidungsbefugnis ist darauf begrenzt, den eigenen Piloten zu verbieten, sich an einem amerikanischen Bombeneinsatz zu beteiligen.

Macron erneuert Beistandsversprechen

Macrons Vorstoß galt auch der innenpolitischen Kritik. Marine Le Pen hatte wiederholt scharf kritisiert, dass Frankreich die nukleare Abschreckung teilen könnte. Unter den Rechtspopulisten überwiegt der Wunsch, sich aus den Bündnissen weitgehend zurückzuziehen und auf keinen Fall weitere Verpflichtungen gegenüber europäischen Partnern einzugehen. 

Im Präsidentschaftsprogramm für 2022 warb Le Pen noch für einen Austritt aus den integrierten Strukturen der NATO. Macron wiederum hat in einer Serie von Freundschaftsverträgen mit Deutschland, Spanien, Italien und Polen die Beistandsversprechen erneuert. Ein weiteres Abkommen mit Großbritannien ist bei Macrons Staatsbesuch vom 8. bis 10. Juli in London in Planung.

Den Friedenswillen des russischen Präsidenten Wladimir Putin schätzte der Franzose als gering ein. Frankreich sei bereit, tiefgreifendere Sanktionen gegen Russland zu verhängen, sollte Moskau weiter nicht verhandlungsbereit sein. Diese sollten auch Wiederverkäufer von Finanzdienstleistungen und Treibstoffen treffen. Macron sprach sich gegen die Beschlagnahmung eingefrorener russischer Vermögenswerte aus, da es dafür keinen rechtlichen Rahmen gebe. 

Am Vorgehen der israelischen Regierung im Gazastreifen übte der französische Präsident heftige Kritik. „Was die Regierung von Benjamin Netanjahu macht, ist inakzeptabel“, sagte er. Es sei „eine Schande“, dass Hilfslieferungen blockiert würden. Es sei aber nicht seine Aufgabe, das Vorgehen als Völkermord zu qualifizieren.

Mit Blick auf die Ukraine sagte Macron, Frankreich wolle dem von Russland angegriffenen Land weiterhin helfen, „sich zu verteidigen, aber wir wollen keinen dritten Weltkrieg auslösen“. Der Krieg enden und die Ukraine müsse „in der bestmöglichen Situation sein, um in Verhandlungen zu treten“.

Das Interview war Macrons erstes langes Fernsehgespräch seit der missglückten Parlamentsauflösung im vergangenen Juli. Die Präsidentenberater hatten zuvor Erwartungen an konkrete Ankündigungen geweckt, die aber ausblieben. Stattdessen verteidigte Macron die Bilanz seiner acht Amtsjahre und äußerte sich nur vage zu möglichen Referenden. Eine Volksbefragung zur Sterbehilfe könne notwendig werden, sollte es im Parlament nicht zu einer Einigung kommen. Außerdem schweben ihm Referenden zu anderen Themen vor, ohne dass er diese näher erläuterte.

Den Vorstoß seines Premierministers François Bayrou, die Franzosen über Maßnahmen gegen die Überschuldung des Landes abstimmen zu lassen, wimmelte er höflich ab. Es sei das Vorrecht des Parlaments, den Haushalt zu beschließen. Er schloss auch aus, ein Referendum über die Rentenreform anzusetzen, wie es die Gewerkschaften fordern. Eine Volksbefragung zur Immigration, wie Le Pen sie sich wünscht, soll es mit ihm ebenfalls nicht geben.