Die Plattform will künftig mehr bieten als Übernachtungen: Ab sofort kann man auf Airbnb die unterschiedlichsten Dienstleistungen buchen. Mit einem neuen Kurs will der CEO Brian Chesky die Firma in den Olymp der rentabelsten Big-Tech-Firmen führen.

Airbnb wird heute von 200 Millionen Gästen weltweit genutzt.
Vor 18 Jahren hatten ein paar arbeitslose Freunde in San Francisco eine verrückte Idee: Um sich Geld dazuzuverdienen, boten sie Touristen an, statt in einem Hotel in ihrer Wohnung auf einer Luftmatratze zu übernachten. «Airbed and Breakfast» war geboren, und nach etwas Anlaufschwierigkeiten entpuppte sich die Idee als enorm disruptiv: Innerhalb weniger Jahre revolutionierte Airbnb das Reisegeschäft weltweit. Heute bieten mehr als 5 Millionen Gastgeber weltweit ihre Unterkünfte auf der Website an, 200 Millionen Gäste haben 2 Milliarden Übernachtungen dort gebucht. An den Börsen ist Airbnb inzwischen mehr wert als die Hotelgruppen Hilton und Hyatt zusammen.
Doch die Plattform steht auch unter Druck: Immer strengere Regulierungen in Städten wie Montreal, New York und Barcelona bedrohen das Geschäft.
Seit Jahren brütete Brian Chesky – Mitgründer, CEO und das Gesicht der Plattform – darüber, wie sich die Plattform neu erfinden könnte. Am Dienstag präsentierte er das Ergebnis dieser Überlegungen in Los Angeles.
«Hotels haben bis anhin einen Vorteil gegenüber Airbnb», sagte Chesky, als er im schwarzen Muskelshirt – sein Markenzeichen – auf die Bühne trat, vor ihm mehrere hundert geladene Gäste, unter ihnen Hollywoodstars, Influencer und Musiker. «Sie können den Gästen Services bieten. Was aber, wenn wir Massage und Köche künftig auch in ein Airbnb bringen?»
Genau das plant Chesky nun. Ab sofort können die Kunden von Airbnb neben Übernachtungen auch Dienstleister – also Fitnesstrainer, Fotografen und Köche – über die Plattform buchen, ebenso touristische Aktivitäten wie Stadtführungen mit der Renovateurin der Notre-Dame oder Matcha-Kurse in Tokyo. Eine Armee von Rechercheuren habe in den vergangenen Monaten die Leistungsausweise und Qualifikationen der neuen Anbieter überprüft, heisst es.
Ähnlich wie bei den Übernachtungen verdient Airbnb an deren Vermittlung: 20 Prozent bei den Erlebnissen, 15 Prozent bei den Dienstleistungen. Im Gegenzug bietet die Plattform einen Versicherungsschutz. 200 bis 250 Millionen Dollar will Airbnb im Laufe des Jahres in die neuen Angebote und Partnerschaften investieren.
Auch Nichtreisende will man als Kunden gewinnen
Airbnb habe bisher viel Geld auf dem Tisch liegen lassen, erklärt Nathan Blecharczyk, Mitgründer und Strategiechef, im Gespräch mit der NZZ. Studien zeigten, dass Touristen in den Ferien drei Mal so viel Geld für Essen und Aktivitäten ausgäben wie für die Unterkunft. Von diesem Budget versuchte Airbnb bereits 2016 ein Stück abzubekommen: Damals lancierte man erstmals die sogenannten Erlebnisse.
Doch man habe dies zu halbherzig getan, gibt Blecharczyk zu – es habe kaum Qualitätskontrollen bei den Anbietern gegeben, und das Buchen sei kompliziert gewesen. Mit einer kompletten Überarbeitung der App will man das nun ändern: Dienstleistungen und Aktivitäten werden künftig genauso prominent angepriesen wie die Übernachtungen. Für die Überholung der App arbeitete Chesky mit der Designfirma des Apple-Designers Jony Ive zusammen; Chesky ist seit langem ein grosser Fan des Apple-Konzerns.
Um dem neuen Angebot Aufmerksamkeit zu verschaffen, hat Airbnb auch Stars und Sternchen als Partner für das Angebot «Airbnb Originals» gewonnen: Der bekannte Quarterback Patrick Mahomes etwa zeigt in seiner Heimatstadt Kansas City den Nutzern Tricks im American Football, in Rio de Janeiro kann man eine Volleyball-Stunde mit einer brasilianischen Olympionikin buchen.
Damit dürfte die Plattform vor allem versuchen, sich von der Konkurrenz abzuheben. Anbieter wie Viator oder Get Your Guide bieten vergleichbare Erlebnisse schliesslich schon seit Jahren an.
Künftig will sich Airbnb auch ein ganz neues Kundensegment erschliessen: Leute, die gar nicht verreisen. All die Dienstleistungen und Erlebnisse kann man auch in seiner Heimatstadt buchen, in diesem Fall kommen die Anbieter zu einem nach Hause.
Langfristig wolle man zur «Plattform für Verbindungen» werden, sagt Blecharczyk. Das bedeutet auch die Schaffung eines eigenen sozialen Netzwerks: Künftig kann man auf Airbnb mit jedem, den man auf Reisen oder bei Aktivitäten getroffen hat, in Kontakt bleiben und Fotos austauschen. Damit man Stalking vermeiden kann, sagt Blecharczyk, soll man das eigene Profil aber auch auf «privat» schalten können.
Zudem erwägt Airbnb offenbar, langfristig ein Angebot für Verifizierungsdienste im Internet zu bauen: Schliesslich verfüge Airbnb über einen Datenschatz von 200 Millionen Nutzern, die erwiesenermassen real seien, sagte Chesky auf der Bühne. Er zeigte eine erste Version eines virtuellen Ausweises, mit dem sich die Nutzer von Airbnb künftig identifizieren sollen. Die Hoffnung sei, so Chesky, dass dieser Ausweis einmal «fast wie ein Reisepass» angesehen werde. Das dürfte jedoch schwer umzusetzen sein.
Künstliche Intelligenz soll im Kundendienst helfen
In einem weiteren Schritt soll künstlicher Intelligenz eine Schlüsselrolle auf der Plattform zukommen: zunächst im Kundendienst, später in der Reiseplanung. Chesky dürfte dabei von Sam Altman beraten werden, der nicht nur einer der führenden Köpfe bei künstlicher Intelligenz ist, sondern auch ein enger Freund von Chesky. Als Altman 2023 überraschend seine Stelle als CEO von Open AI verlor, sorgte auch Chesky mit seinen guten Verbindungen dafür, dass Altman den Job schnell wiederbekam.
KI sei enorm gut geeignet für den Kundendienst, heisst es bei Airbnb: schliesslich beherrsche die KI jede Sprache, sei rund um die Uhr erreichbar und könne in Sekunden die Unterlagen eines jeden Wohnobjektes durchsuchen. Langfristig will Chesky KI aber auch in die Suchfunktion der Airbnb-App integrieren. Seine Vorstellung ist ein künstlich intelligenter Super-Concierge, der die Nutzer so gut kennt, dass er für sie die kompletten Ferien planen kann. «Langfristig wird sich das Reisen enorm verändern.»
Die Grundüberholung von Airbnb ist die Idee von Chesky. Der 43-Jährige ist seit langem das Gesicht der Firma – und derjenige, der die Richtung vorgibt. Blecharczyk als Strategiechef tritt in der Aussenerscheinung selten auf. Der Dritte im Bunde, Joe Gebbia, hat Airbnb bereits vor Jahren verlassen und ist umstritten, weil er Elon Musks Effizienzbehörde Doge unterstützt.
«Ich habe mich an einer Weggabelung befunden», sagte Chesky jüngst in einem Interview: Ruhestand oder noch einmal richtig loslegen. Mit einem Privatvermögen von 9 Milliarden Dollar hätte Chesky Ersteres bequem machen können. Er entschied sich für Letzteres. «Wir können noch mehr erreichen.»
Vorbild bei all dem ist Amazon: Der Konzern hatte vor knapp dreissig Jahren als Online-Buchhandel begonnen und ist heute als «everything store» der weltgrösste Online-Versandhandel (zudem der weltgrösste Anbieter für Cloud-Computing). Chesky hat schon lange davon geträumt, dass sich Airbnb in eine ähnliche Richtung weiterentwickelt.
Gegenüber «Wired» erzählte er, sein langfristiger Plan sei es, aus der Firma die Plattform für Hunderte von Dienstleistungen zu machen, womöglich bis hin zu Klempnerarbeiten, Gitarrenstunden und Nachhilfeunterricht. Angeblich hegt Airbnb auch Pläne für einen Mietwagenservice. Darauf angesprochen, sagt Blecharczyk im Gespräch, man könne sich Partnerschaften mit vielen Firmen vorstellen, «ausser Flüge, damit wollen wir nichts zu tun haben».
An all diesen Angeboten will sich Airbnb seine übliche Scheibe von 15 bis 20 Prozent Provision abschneiden. So hofft Chesky die Firma in den Olymp der Tech-Konzerne mit Billionen Dollar schwerer Bewertung zu hieven. Bis dahin ist es allerdings noch eine weite Reise: Derzeit ist Airbnb an den Börsen 85 Milliarden Dollar wert. Doch die Firma hat bewiesen, dass sie mit verrückten Ideen die Wirtschaft umkrempeln kann.