Frankreichs Minister Éric Lombard im F.A.Z.-Interview

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Herr Minister, die ersten Treffen mit Ihrem neuen deutschen Amtskollegen Lars Klingbeil wirkten sehr harmonisch. Täuscht der Eindruck?

Nein, wir haben in der Tat ein gutes persönliches Verhältnis aufgebaut. Unser sozialdemokratisches Erbe verbindet uns. Wir haben sehr unterschiedliche Werdegänge, die sich jedoch sehr gut ergänzen. Das ist hilfreich, denn wir beide glauben, dass sich die Europäische Union in einer entscheidenden Phase befindet. Wir sind uns einig, dass die deutsch-französische Partnerschaft neue Impulse erhalten muss. Sie ist der Motor für Europa. Das haben mir auch unsere europäischen Kollegen gesagt.

Welche konkreten Projekte erwachsen aus dieser neuen Harmonie?

Ich begrüße, dass die Bundesregierung die Schuldenbremse reformieren will, eine dynamischere Investitionspolitik und einen stärkeren Beitrag Deutschlands zu den europäischen Verteidigungsanstrengungen plant. Umgekehrt habe ich Lars bestätigt, dass Frankreich seinen Haushalt in Ordnung bringen muss und wird. Auch das sind Formen der Annäherung. Wir sind uns einig, dass Europa wettbewerbsfähiger und souveräner werden muss. Wir werden Europa jetzt voranbringen. Wir haben begonnen, an konkreten Maßnahmen zu arbeiten. Beim Finanzministertreffen in Brüssel am Dienstag gab es eine neue Energie. Ich denke dabei insbesondere an das Thema Verbriefungen als Teil der geplanten Spar- und Investitionsunion.

Wird die schon ewig geforderte Vertiefung der europäischen Kapitalmärkte nun Realität?

Die EU-Kommissarin Maria Luís Albuquerque hat am Dienstag eine sehr umfassende und ehrgeizige Präsentation gehalten, die bei allen 27 Ministern auf breite Zustimmung stieß. Es wird immer eine Börse in Frankfurt, Paris und Amsterdam geben, es braucht aber auch gemeinsame Regeln in Europa und weniger Fragmentierung. Die Aufsichtsbehörde ESMA hat begonnen, die Regulierung stärker zu vereinheitlichen. Das wäre gut für Investitionen in Europa. Auch grenzüberschreitende Banktransaktionen müssen erleichtert werden.

Frankreichs Superminister: Éric Lombard (67) ist seit Dezember im Kabinett von Premier Bayrou zuständig für Finanzen, Wirtschaft sowie „industrielle und digitale Souveränität“. Er verbrachte den Großteil seiner Karriere im privaten Bank- und Versicherungswesen und steht politisch in der Tradition des ehemaligen sozialistischen Premiers Michel Rocard.
Frankreichs Superminister: Éric Lombard (67) ist seit Dezember im Kabinett von Premier Bayrou zuständig für Finanzen, Wirtschaft sowie „industrielle und digitale Souveränität“. Er verbrachte den Großteil seiner Karriere im privaten Bank- und Versicherungswesen und steht politisch in der Tradition des ehemaligen sozialistischen Premiers Michel Rocard.Reuters

Gilt das auch für grenzüberschreitende Bankenfusionen?

Ja. Europa muss in allen Bereichen seine Wettbewerbspolitik ändern, um die Entstehung großer Akteure zu ermöglichen. Im Bankensektor und in der Industrie muss sie offener werden. Aktuell haben wir in Europa eine Wettbewerbspolitik, die nationale Zwerge hervorbringt, nur im Versicherungswesen sind wir schon weiter. Es gibt natürlich einige Giganten wie Siemens oder die Deutsche Bank. Aber wir fördern ihre Entstehung nicht ausreichend. Die USA tun dies. Deshalb gibt es dort mehr Giganten, die sich dann bei uns niederlassen. Dabei wäre es doch gut, wenn sich europäische Giganten in China und Amerika niederließen.

Erwarten Sie jetzt auch eine Annäherung in der Energiepolitik, nachdem sich Paris in den vergangenen Jahren wiederholt mit den Grünen über die Kernenergie gestritten hat?

Präsident Macron und Bundeskanzler Merz haben gemeinsam daran erinnert, dass Frankreich und Deutschland eine Neuausrichtung ihrer Energiepolitik vornehmen werden und dass dies die Anwendung des Grundsatzes der Technologieneutralität beinhaltet, indem eine diskriminierungsfreie Behandlung aller kohlenstoffarmen Energiequellen innerhalb der EU gewährleistet wird. Wir befinden uns gegenüber den USA in einer wettbewerbsnachteiligen Lage, was die Energiepreise angeht. Um dies auszugleichen, investieren wir in Frankreich in Kernenergie.

Mit welchen weiteren Maßnahmen wollen Sie Europa wettbewerbsfähiger machen?

In Frankreich setzen wir an zwei Stellen an. Zum einen beim Arbeitsvolumen: Wir haben zu viele junge Menschen, die nur langsam in den Arbeitsmarkt eintreten. Wir haben zu viele ältere Menschen, die zu früh ausscheiden. Und wir haben etwas mehr Urlaub und Fehlzeiten als Deutschland. Zum anderen ist der Industrieanteil an unserer Wirtschaftsleistung unzureichend. Seit dem Amtsantritt von Emmanuel Macron im Jahr 2017 verfolgen wir eine sehr aktive Politik der Reindustrialisierung. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz haben wir einen kleinen Vorsprung, dort sind bedeutende Investitionen in Rechenzentren geplant. Die Unternehmen hat beruhigt, dass wir einen Haushalt verabschiedet haben, und die Attraktivität Frankreichs ist seit sechs Jahren die höchste Europas in Bezug auf neue Investitionsprojekte.

Gerade die französische Haushaltsdebatte war aber doch zuletzt kompliziert und verspricht auch in den kommenden Monaten wieder explosiv zu werden.

Nach dem Sturz der Vorgängerregierung haben wir einen sehr breiten Dialog geführt und ziemlich schnell einen Kompromiss mit der Sozialistischen Partei gefunden, insbesondere bei der Rentenreform. Wir werden mit derselben Methode weiterarbeiten. Wir sind vom Geist der Kompromissbereitschaft beseelt. Die Diskussion über die Rentenreform wurde an die Sozialpartner übertragen. Diese Verpflichtung zeigt Wirkung. Die Schwere der Lage wurde auch schon von einer Reihe von Oppositionspolitikern zum Ausdruck gebracht, die öffentlich ihren Wunsch nach einem Kompromiss bekundet haben.

Frankreichs ächzt bei schwachem Wirtschaftswachstum unter Europas höchstem Schuldenberg, und das Haushaltsdefizit betrug zuletzt 5,8 Prozent. Wie wollen Sie in dieser Lage höhere Verteidigungsausgaben finanzieren?

Auf Initiative des Präsidenten erhöhen wir schon seit sieben Jahren unsere Verteidigungsbemühungen. Der Anteil unserer Verteidigungsausgaben liegt schon heute bei etwas mehr als zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung, und das langfristige Militärprogrammgesetz sieht eine kontinuierliche Erhöhung vor. In unserem Plan zum Defizitabbau auf weniger als drei Prozent im Jahr 2029 ist das längst berücksichtigt. Zudem sind unsere Streitkräfte unabhängig und müssen wir ihre bestehende Ausrüstung nicht durch eine europäische Ausrüstung ersetzen. Die Amerikaner können nicht vorschreiben, wann unsere Flugzeuge fliegen dürfen und wann nicht, und sie können auch nicht entscheiden, wann unsere Verteidigungsmittel eingesetzt werden dürfen. Ich bin übrigens überzeugt, dass eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den europäischen Ländern und Unternehmen wie KNDS auch zu Einsparungen bei der Beschaffung führen und zugleich unser Industriepotential stärken wird.

Haben Sie mit Lars Klingbeil auch über neue gemeinsame Schulden für die Verteidigung gesprochen?

Wir haben während der Corona-Krise schon gemeinsam Schulden gemacht, die zurückgezahlt werden müssen, und dafür werden wir gemeinsam über neue Eigenmittel für den EU-Haushalt diskutieren. Im Bereich der Verteidigung ist das Rearm-Paket der Kommission schon eine starke, schnelle und ehrgeizige Antwort. Müssen wir mehr tun oder diese Schulden verlängern? Diese Frage verdient eine strategische Betrachtung.

Seit April verändert sich die Rolle des Dollars. Es ist eindeutig eine Suche nach sicheren Werten zu beobachten. Die europäische Wirtschaft profitierte davon, wenn der Euro eine noch wichtigere Reservewährung wäre, was sichere Vermögenswerte wie auf nationaler und europäischer Ebene emittierte Schuldtitel voraussetzt.

Zunächst müssen wir uns auf das Rearm-Paket einigen. Die Verhandlungen sind auf einem guten Weg, müssen aber zu Ende geführt werden. Das mit 150 Milliarden Euro ausgestattete SAFE-Programm wiederum ermöglicht es der Europäischen Kommission, Schulden aufzunehmen, um den Mitgliedstaaten Kredite zu gewähren, damit sie gemeinsam in die Stärkung unserer Verteidigung investieren können. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Darüber hinaus müssen wir wirklich ehrgeizige Ziele verfolgen, um die Voraussetzungen für unsere strategische Autonomie zu schaffen. In diesem Zusammenhang müssen wir alle relevanten Finanzierungsinstrumente prüfen. Die Idee einer europäischen Verschuldung zur Finanzierung von Rüstungsgütern sollte nicht aus Prinzip abgelehnt werden.

Auch über die Handelspolitik haben Sie mit Klingbeil gesprochen. Wie kann und sollte Europa auf Amerikas Eskalationskurs reagieren?

Wir verteidigen den Multilateralismus nachdrücklich. Wir legen Wert auf internationale Zusammenarbeit, aber ohne Naivität. Die Amerikaner sind schon seit vielen Jahren verstärkt mit sich selbst beschäftigt und haben sich dem Pazifik zugewandt. Die EU muss also autonomer werden. Das erfordert eine strategische Neuausrichtung zwischen Frankreich und Deutschland gerade im Verteidigungsbereich. Wir sind weiterhin auf der Suche nach einem Kompromiss mit den Amerikanern. Ich bin davon überzeugt, dass sich die USA durch die Erhöhung der Zölle in erster Linie selbst schwächen. Wenn wir aber zeigen wollen, dass wir auf Augenhöhe sind, müssen wir vielleicht selbst Maßnahmen ergreifen, die uns schwächen könnten.

Ist ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA mittelfristig erstrebenswert und auch realistisch?

Unser Ziel ist es, im Rahmen der laufenden Verhandlungen zumindest zu den alten Zöllen für Waren zurückzukehren. Wenn wir sogar einen Zollsatz von null erreichen könnten, wäre das sehr gut. Im Agrarsektor wäre dies aufgrund der unterschiedlichen Standards auf beiden Märkten jedoch sehr schwierig.

Die Besonderheiten des Agrarsektors erklären auch Frankreichs anhaltenden Widerstand gegen das Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Halten Sie ihn aufrecht?

Ja, denn wir halten den Entwurf des Abkommens mit dem Mercosur in Bezug auf die Landwirtschaft für nicht zufriedenstellend. Wir sind aber überzeugt, dass ein Abkommen möglich ist, wenn die klar identifizierten Probleme gelöst werden.

Die Landwirte tragen in Frankreich nicht mal mehr zwei Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Wie kann es sein, dass in der aktuellen geopolitischen Gemengelage eine winzige Minderheit ein solch wichtiges Abkommen blockieren kann?

Es sind nicht die Landwirte, die blockieren, sondern es ist die französische Regierung, die großen Wert auf einen ausgeglichenen Agrarhandel legt, der die Verbraucher schützt. Die Landwirtschaft ist in Frankreich ein sehr sensibles Thema, da sie einen wesentlichen Teil unserer Unabhängigkeit und Identität ausmacht. Wir alle haben Verwandte, die Landwirte sind, daher haben wir eine ganz besondere Verbindung zu diesem Thema, und die Franzosen legen großen Wert auf den Schutz der Landwirtschaft und die Qualität ihrer Lebensmittel. Auch im Bereich der digitalen Dienstleistungen haben wir in Europa zum Schutz der Verbraucher und ihrer Daten eigene Regeln. Ich bin dafür, das europäische Modell zu erhalten. Im Dialog mit unseren deutschen Freunden bin ich sicher, dass wir in all diesen Fragen zu Kompromissen kommen werden.