Thüringens Innenminister Maier für AfD-Verbotsverfahren

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Herr Minister, Sie sind für ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Warum?

Die Grundlage dafür steht im Grundgesetz in Artikel 21. „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ Es gibt Voraussetzungen, damit der Artikel angewandt wird. Wenn sie erfüllt sind, muss man das Verfahren anstrengen. Das ist Teil unserer wehrhaften Demokratie.

Wegen dieser Voraussetzungen sind die meisten anderen Innenminister der Länder gegen ein solches Verfahren. Eine extremistische Partei muss nämlich nicht nur verfassungsfeindlich sein und das Potential haben, ihre Pläne zu verwirklichen, sondern auch aggressiv-kämpferisch vorgehen, notfalls mit Gewalt einen Umsturz planen. Will das die AfD?

Ich sehe klar ein aggressiv-kämpferisches Vorgehen der AfD. Dazu muss nicht unmittelbare Gewalt im Spiel sein. Nehmen Sie die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtages im September 2024. Die AfD hat versucht, parlamentarische Rechte zu beschneiden, wollte verhindern, dass die Abgeordneten die Geschäftsordnung ändern, weil sie einen AfD-Landtagspräsidenten erzwingen wollte. Dann gibt es die Verwicklung der AfD in Strukturen, die gewaltsam vorgehen wollen. Etwa die Gruppe Reuß, die einen Umsturz geplant hat, da waren AfD-Mitglieder dabei. Und dass die AfD Menschen, die sie nicht zum deutschen Volk zählt, faktisch deportieren will, ist ebenfalls als eine Androhung von Gewalt zu werten. Ich sehe also reichlich aggressives Bestreben in dieser Partei.

Ein Verbotsverfahren kann scheitern. Wie bewerten Sie dieses Risiko?

Ein risikofreies Verfahren gibt es nicht. Ich bin der Meinung, nichts zu machen, ist das größere Risiko. Warum gibt es das Parteiverbot in unserer Verfassung? Wegen der Erfahrung des Nationalsozialismus. Damit eine solche Katastrophe nicht noch einmal passiert. Ich beobachte, wie sich diese Partei seit Jahren radikalisiert. Aus meiner Sicht ist jetzt die Schwelle erreicht, dass wir dem entgegentreten müssen. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass der Rechtsstaat Härte zeigen muss gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen.

Viele Politiker sind gegen ein Verbotsverfahren, weil sie fürchten, es würde der AfD noch mehr Auftrieb geben.

Ich sehe diese Gefahr. Und ich verstehe, dass Kollegen das abwägen. Die Einstellung der meisten Wählerinnen und Wähler der AfD wird sich durch ein Verbotsverfahren wahrscheinlich nicht ändern. Es wäre dennoch ein Anlass, den Menschen noch einmal vor Augen zu führen, wie gefährlich diese Partei ist.

Sie sind Landesvorsitzender der Thüringer SPD. Reden Sie mit der SPD-Spitze darüber, etwa mit Lars Klingbeil?

Wir haben im Parteivorstand sehr intensiv darüber diskutiert. Da gab es gewichtige Stimmen, die ein solches Verfahren skeptisch bewerten. Eine Mehrheit dafür gibt es wohl auch heute noch nicht. Aber ich merke, dass in meiner Partei ein Umdenken stattfindet in Richtung eines Verbotsverfahrens.

Bei der Bundestagswahl haben 20 Prozent die AfD gewählt. In Thüringen waren es bei der Landtagswahl rund 33 Prozent. Bei einem Verbot der AfD würden diese Wähler ihre Vertretung in den Parlamenten beraubt.

Das ist ein Problem, das ich ernst nehme. Aber eine Partei wird nicht deshalb demokratisch, weil sie demokratisch gewählt ist und in Parlamenten sitzt. Und viele Wählerstimmen bedeuten genauso wenig, dass eine Partei demokratisch ist. Viele Menschen wählen die AfD aus Überzeugung, weil sie radikal und fremdenfeindlich ist. Und viele Menschen wählen sie aus anderen Gründen, weil sie unzufrieden sind, Abstiegsängste und Zukunftssorgen haben und sie damit Wirkmächtigkeit zum Ausdruck bringen wollen. Das ist übrigens kein Ost-Problem. Ich merke auch im Westen, dass in jeder Wahl vermutete Höchstgrenzen der AfD überschritten werden.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat jetzt die gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Diese Einstufung bleibt ja bestehen, auch wenn das Bundesamt sie einstweilen wegen eines Eilantrags der AfD ausgesetzt hat. Hat diese Einstufung Sie in Ihrer Haltung bestätigt?

In Thüringen ist die AfD seit vier Jahren so eingestuft. Es hätte mich gewundert, wenn das Bundesamt nicht auch zu diesem Ergebnis gekommen wäre. Die Thüringer AfD und ihr Chef Björn Höcke haben enormen Einfluss auf die Partei.

Im Gutachten steht, dass Höckes Aussagen der Gesamtpartei zuzurechnen sind.

Höcke ist der Spiritus Rector für den extremen Weg der AfD. Die Partei hätte einen anderen Weg einschlagen können hin zur demokratischen Mitte. Doch sie hat entschieden, dass der Weg, sich weiter zu radikalisieren, der erfolgreichere ist. Mittlerweile ist nach meiner Auffassung die gesamte AfD eine völkische Bestrebung, die Menschen in Wertigkeiten unterteilt. Und da geht es um die Menschenwürde, deren Missachtung eine zentrale Voraussetzung für ein Parteiverbot ist. Die Unterscheidung deutscher Staatsbürger in solche erster und zweiter Klasse, in Passdeutsche mit Migrationshintergrund und Biodeutsche zeugt von völkischem Gedankengut.