Die schwersten Tage seit Monaten

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Vor zwei Monaten nahm Israel den Krieg im Gazastreifen wieder auf. Anstelle von Verhandlungen müsse es mehr militärischen Druck geben, um die Hamas in die Knie zu zwingen, bekundete die Regierung. Die Wochen seither gehören für die Menschen im Gazastreifen zu den gefährlichsten seit Kriegsbeginn im Oktober 2023 – und die vergangenen Tage zu denen mit den meisten Todesopfern der vergangenen neun Wochen. Seit dem Beginn einer massiven Bombardierungswelle am Donnerstag wurden laut Angaben der Gesundheitsbehörden in Gaza, die teils der Hamas unterstehen, Hunderte Menschen getötet.

Im gesamten Gazastreifen gab es immer wieder schwere Luftangriffe, zudem neue Vertreibungsanordnungen. Palästinenser im Norden des Gazastreifens wurden dazu aufgefordert, sich nach Süden zu begeben. All das könnte der Vorbereitung einer neuen Bodenoffensive dienen. Am Freitag verkündete die Armee, sie habe „umfangreiche Angriffe gestartet und Truppen mobilisiert, um strategische Gebiete im Gazastreifen zu erobern“. Dies sei „Teil der ersten Schritte“ einer neuen Militäraktion.

Die Bevölkerung des Gazastreifens leidet unter den Angriffen und der Versorgungsblockade seit Anfang März massiv. Auch das Gesundheitssystem gerät wieder unter starken Druck. Am Sonntag stellte ein weiteres Krankenhaus laut Angaben aus Gaza die Arbeit ein. Die Gegend rund um das Indonesische Krankenhaus nordöstlich von Gaza-Stadt werde belagert, teilte das Gesundheitsministerium mit. Es gebe „schweren Beschuss“ und keinen Zugang für Patienten, ärztliche Teams und Hilfsgüter. Das Krankenhaus sei daher außer Betrieb. Auf Videos, die im Internet verbreitet wurden, war zu sehen, wie Patienten in Krankenhausbetten durch zerstörtes Gelände geschoben wurden.

Terrorinfrastruktur – oder Entwässerungsgräben?

Im Süden des Gazastreifens hatte das Europäische Krankenhaus in Khan Yunis Ende der vergangenen Woche die Arbeit eingestellt. Es war das letzte funktionierende Krankenhaus im Gazastreifen mit Krebsbehandlung. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) teilte mit, die wenigen verbliebenen Krankenhäuser seien überwiegend nur teilweise funktionsfähig und ständig überlastet. „Wiederholte Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen sind weitere Beispiele dafür, dass die israelischen Behörden den Gazastreifen unbewohnbar machen.“

F.A.Z.

Das Europäische Krankenhaus war am Dienstag bombardiert worden, ebenso wie das Nasser-Krankenhaus in Khan Yunis. Mindestens 30 Menschen wurden getötet. Die Armee gab jeweils an, sie habe Hamas-Ziele angegriffen und zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um das Risiko für Zivilisten zu mindern. Im Fall des Europäischen Krankenhauses hieß es, darunter habe sich „Terrorinfrastruktur“ befunden.

Von der Armee veröffentlichte Luftaufnahmen zeigten indessen laut Recherchen mehrerer Medien nicht das Krankenhaus, sondern ein benachbartes Gymnasium. Ein Armeesprecher sagte daraufhin, das Tunnelsystem habe sich bis zur Schule erstreckt. Bei der auf den Bildern markierten „unterirdischen Terrorinfrastruktur“ handelte es sich möglicherweise aber nur um Entwässerungsgräben auf dem Schulhof.

Aufnahmen von Einschlagsorten auf der anderen Seite des Krankenhausgeländes legen indessen nahe, dass sich dort Tunnel befunden haben. Das Ziel des Angriffs vom Dienstag war laut israelischen Angaben Muhammad Sinwar. Der jüngere Bruder des Hamas-Chefs Yahya Sinwar war nach dessen Tötung im Oktober zum Anführer der islamistischen Organisation im Gazastreifen aufgestiegen. Muhammad Sinwar soll als eine von wenigen Personen in die Pläne für den Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 eingeweiht gewesen sein. Er wird als noch radikaler als sein Bruder beschrieben.

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Nach dem Luftangriff herrschte zunächst Unklarheit über sein Schicksal. Am Sonntag berichtete der saudische Sender „Al-Hadath“, Sinwars Leichnam sei in einem Tunnel in Khan Yunis gefunden worden, zusammen mit den Leichen zehn weiterer Hamas-Mitglieder.

Gespräche über ein neues Abkommen

Offen ist, wie der Tod Muhammad Sinwars sich auf die Gespräche über ein neues Abkommen auswirkt. Die israelische Regierung ließ am Wochenende verlauten, der verstärkte militärische Druck mache die Hamas kompromissbereiter. Gleich nach dem Beginn der Militäraktion habe die Hamas „im Gegensatz zu ihrer bis dahin widerspenstigen Haltung“ die Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen Geiseldeal angekündigt, äußerte Verteidigungsminister Israel Katz am Samstag – und fügte hinzu: „ohne eine unnötige humanitäre Öffnung (der Grenzübergänge, d. Red.) und ohne einen Waffenstillstand“.

Schon in der vergangenen Woche hatten die Vermittler in Qatar Gespräche über ein neues Gazaabkommen geführt – ohne dass es jedoch zu einem Durchbruch gekommen wäre. Am Samstag bestätigte ein Hamas-Vertreter, dass es einen neuen Versuch gebe. Man spreche „ohne Vorbedingungen“ über alle Themen. Bislang waren die indirekt geführten Gespräche daran gescheitert, dass auf der einen Seite die Hamas ein garantiertes Ende des Krieges verlangte und auf der anderen Seite Israel den vollständigen Sieg über die Hamas anstrebte.

Nun wird Medienberichten zufolge wieder über ein Interimsabkommen gesprochen, das zur Freilassung weiterer Geiseln und einer weiteren temporären Waffenruhe führen würde – die Hamas hatte das bislang abgelehnt. Auf der anderen Seite teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag mit, man versuche, „alle Möglichkeiten für eine Einigung auszuschöpfen“ – und nannte dafür zwei Möglichkeiten: gemäß dem sogenannten Witkoff-Vorschlag für ein weiteres temporäres Abkommen „oder im Rahmen einer Beendigung des Krieges“. Letztere Option müsse die Freilassung aller Geiseln, ein Exil für Hamas-Kämpfer und die Entwaffnung des Gazastreifens beinhalten, hieß es in der Mitteilung weiter.