Entschädigung erst nach 5 Stunden Flugverspätung?

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Flugreisende müssen bei Verspätungen künftig wohl länger warten, bevor sie einen Anspruch auf Entschädigung haben. Statt nach drei Stunden auf Kurzstreckenflügen müsste die Verspätung mindestens fünf Stunden betragen, auf Langstreckenflügen gar zwölf Stunden.

Diese Änderung der bestehenden Fluggastregeln hat die Europäische Kommission vor mehr als zehn Jahren vorgeschlagen. Nun könnte es der Ministerrat so oder so ähnlich beschließen. Die polnische EU-Ratspräsidentschaft will das Dossier noch in ihrer sechsmonatigen Amtszeit abschließen, beim nächsten Verkehrsministertreffen am 5. Juni.

Die Folgen wären drastisch. Nach Angaben von Verbraucherschützern würde eine Anhebung der Schwelle für Entschädigungen auf fünf Stunden für Kurz- und neun Stunden für Mittelstreckenflüge die Mehrheit der bisher anspruchsberechtigten Passagiere treffen. Auch Onlinedienstleister, die Entschädigungen gegen Provision einzutreiben versuchen, laufen Sturm.

„Massiver Rückschritt für den Verbraucherschutz“

Was in Brüssel vorbereitet werde, sei ein „Kniefall vor der Luftfahrtlobby“, sagt Jan-Frederik Arnold, Chef des Portals Flightright. „Wenn 85 Prozent der Passagiere künftig keinen Anspruch mehr auf Entschädigung haben, ist das ein massiver Rückschritt für den Verbraucherschutz in Europa.“

Auch um die Höhe der Entschädigungen geht es, die momentan zwischen 250 Euro und 600 Euro liegen. Kolportiert wird, künftig könnten es 300 Euro für Kurz- und Mittelstrecken sowie 500 Euro für Fernflüge sein – teils weniger als bislang. Der Chef des Rechtsdienstleisters Airhelp, Tomasz Pawliszyn, hatte vor Monaten in der F.A.Z. eine Erhöhung der seit zwei Jahrzehnten unveränderten Sätze gefordert.

„Allein um auf die Preisentwicklung zu reagieren, wäre nun ein Aufschlag von 57 Prozent nötig“, sagte er. Nach dem EU-Plan könnten für Fluggesellschaften künftig auch technische Probleme, Krankheiten der Besatzung oder Streiks als Grund gelten, um keine Entschädigung zahlen zu müssen.

Entschieden ist all das noch nicht. Bei einer Aussprache von Vertretern der EU-Staaten stellten sich Österreich, Schweden, die Slowakei und die Niederlande klar gegen die Anhebung der Mindestschwelle von drei auf fünf Stunden. Andere wie Italien waren ausdrücklich dafür. Insgesamt sei das Stimmungsbild noch unklar, sagen Diplomaten. Die neue Bundesregierung hat sich noch nicht festgelegt. Das gilt auch für die anderen offenen Punkte. Die Niederlande betonten, dass eine Anhebung der Schwelle mit höheren Ausgleichszahlungen für Passagiere einhergehen müsse.

Luftfahrt lobt geplante “realistische“ Vorgaben

Der deutsche Luftfahrtverband BDL spricht sich erwartungsgemäß für die Korrektur aus. „Das aktuelle Revisionsvorhaben der polnischen EU-Ratspräsidentschaft stellt einen faireren Ausgleich zwischen den Interessen von Passagieren und Fluggesellschaften her als die geltende Verordnung“, sagte BDL-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.

Die EU-Kommission argumentiert, die Anhebung der Mindestschwelle auf fünf Stunden sei nötig, weil es sich für Airlines ansonsten nicht lohne, einen Ersatzflieger zu schicken. Fünf Stunden seien eine Win-win-Situation. Fluggäste könnten weiterreisen und kämen am Reiseziel an, was das Hauptziel der bestehenden Regeln sei. Identisch argumentiert Lang. Die angepassten Entschädigungsschwellen seien „realistische Zeitmarken, zum Beispiel, um ein Ersatzflugzeug zu beschaffen, Umbuchungen vorzunehmen oder das betroffene Flugzeug zu reparieren“.

Manche Airline dürfte in der Vergangenheit keinen Ersatzflieger geschickt haben. Hätte der vier Stunden verspätet das Ziel erreicht, wären für die Gesellschaft Entschädigungen und Kosten für den Ersatzflug angefallen. Stattdessen wurden Passagiere umgebucht, mitunter auf den nächsten Tag.

Während die Luftfahrt die Idee einer verbindlichen Liste für außergewöhnliche Umstände, unter denen keine Entschädigung fällig wird, lobt, sind Verbraucherschutzverbände ganz anderer Meinung. Sie haben die Mitgliedstaaten gerade in einem gemeinsamen Brief aufgerufen, Passagierrechte nicht zu schwächen. Wenn die EU etwa Streiks als außerordentliche Umstände definiere, lasse das Tausende von Reisenden ungeschützt.

An den alten Zeitschwellen für Entschädigungen festhalten will das Europäische Parlament, das seine Position schon 2014 festgelegt hat. Es ist in der Gesetzgebung gleichberechtigt mit dem Ministerrat. Die Polen erwägen aber, anders als üblich, die Verhandlungsposition des Parlaments gezielt zu schwächen, indem sie die erste Lesung des Gesetzes komplett abschließen. Das EU-Parlament hätte weniger Zeit zum Reagieren und müsste Änderungen des Ratstextes mit absoluter Mehrheit beschließen. Ob es dazu kommt, ist unklar. Eine Reihe von Staaten hat Bedenken angemeldet. Im Parlament gibt es heftige Kritik daran.