Deutschlands ehemalige Innenministerin Nancy Faeser betitelte Deutschland während ihrer Amtszeit als “großartige Sportnation”. Aber stimmt das noch?
Wenn die Olympischen Spiele laufen, gibt es hierzulande bei Google Hunderttausende Suchanfragen für den “Medaillenspiegel”. Eine Art Tabelle, in der die Nationen nach ihren Gold-, Silber- und Bronzemedaillen sortiert werden. Die Position im Medaillenspiegel entscheidet heutzutage darüber, wie gut Olympia für Deutschland lief. In Paris wurde Deutschland im vergangenen Jahr Zehnter, angesichts des zweiten Platzes in der ewigen Tabelle ein eher enttäuschendes Resultat.
Es passte hinein in eine ohnehin angespannte Stimmung rund um die deutschen Leistungen bei internationalen Sportturnieren. Allen voran die Fußball-Herren, die bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 in der Vorrunde ausschieden. Aber auch die Frauen, denen 2023 das Gleiche gelang. Positiver Ausreißer war die Basketball-Nationalmannschaft der Männer, die 2023 Weltmeister wurde. Doch der Grundtenor blieb kritisch, auch bei emotional geführten Debatten rund um Reformen bei Bundesjugendspielen oder im Kinderfußball.
Die Frage, ob Deutschland noch eine große Sportnation ist, polarisierte zunehmend. Denn zur Antwort gehören nicht nur die Ergebnisse von Einzelsportlerinnen und Nationalmannschaften, dazu gehört mehr. Je nachdem, welchen Protagonisten man fragt, fallen Begriffe wie Förderung von Sportprogramm und Sportstätten, Stellenwert des Sports im Land und Zuschauerzahlen in den Stadien, Hallen und vor den Fernsehern.
Nancy Faeser, Innenministerin der damaligen Ampelregierung, legte sich im Mai 2023 auf der Sportministerkonferenz fest: “Wir werden mit den Special Olympics World Games in diesem Sommer und der Fußball-Europameisterschaft 2024 zeigen, dass Deutschland als großartige Sportnation und guter Gastgeber auch wieder reif ist für olympische und paralympische Spiele.”
Aber hat sie damit recht – ist Deutschland eine “großartige Sportnation”? t-online hat vier Expertinnen und Experten gefragt.
“Wir wollen, dass Deutschland eine großartige Sportnation wird – sowohl in der Breite als auch in der Spitze. Und mit der vergangenen Bundesregierung gab es auch die Hoffnung, dass richtige Dinge dafür getan werden. Zum Beispiel mit dem ersten Bewegungsgipfel, der ins Leben gerufen wurde. Dort wurde sichtbar, dass Sport nicht nur im Innenministerium angesiedelt ist, sondern mehrere Ressorts betrifft. Sport und Bewegung sind ein Querschnittsthema für alle. Wir haben eine einzigartige Sportvereinslandschaft und tolle Athletinnen und Athleten, auf die wir wahrlich stolz sein können, aber wir haben bisher nicht die besten Rahmenbedingungen und Voraussetzungen einer großartigen Sportnation. Von daher würde ich der These von Frau Faeser leider widersprechen müssen. Das Potenzial ist da und es ist riesig, aber wir nutzen es nicht richtig.”
“Wenn damit die Begeisterung für Sport im Sinne von Einschaltquoten gemeint ist, dann hat sie recht. Deutschland ist eine großartige konsumierende Sportnation. Aber wenn es um das aktive Sporttreiben geht, um körperliche Ertüchtigung und Gesundheit, dann wird dafür aus meiner Sicht in unserer Gesellschaft und Politik zu wenig getan. Das beginnt schon beim Schulsport.”
“Das muss man differenziert betrachten. Wir sind definitiv eine Fußballnation, aber beim Begriff ‘Sportnation’ wäre ich vorsichtiger. Das sehen auch Expertinnen und Experten aus dem Sport so, die wir aktuell im Rahmen einer Studie befragen. Wir haben schon eine gewisse Sportmonokultur und feiern dort auch entsprechende Erfolge im Fußball. In den anderen Sportarten beklagen teilweise Olympioniken fehlende Fördermittel oder unzureichende Rahmenbedingungen. Wir bringen eine Begeisterung für Mediensport mit, haben hohe Einschaltquoten bei Olympia oder einer Fußball-EM, auch die Stadien der Fußball-Bundesliga sind voll. Aber wenn es um den Breitensport geht und den Stellenwert des Sports in unserem Land, dann sehe ich große Defizite.”