Die Nachbarn ärgern sich über Dobrindts Stau

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Am vergangenen Samstag wurde es eng auf der Stadtbrücke zwischen Görlitz und Zgorzelec, dem östlich der Neiße gelegenen polnischen Stadtteil. Am Tag vor der ersten Runde der Präsidentenwahl in Polen hatte der nationalistische Aktivist Robert Bąkiewicz zu einer Demonstration auf der Brücke als „Widerstand gegen die feindselige Politik Deutschlands“ aufgerufen. Gemeint war die von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) am 7. Mai angeordnete Zurückweisung von Asylbewerbern, aber auch die schon im Herbst 2023 eingeführten deutschen Grenzkontrollen. „Zeigen wir den Deutschen, dass wir uns von ihnen nicht auf der Nase herumtanzen lassen“, rief Bąkiewicz.

Die Zurückweisung von Migranten ist für das nationalistische Lager eine Steilvorlage, um gegen Polens Ministerpräsidenten Donald Tusk und dessen Kandidaten für das Präsidentenamt, Rafał Trzaskowski, zu agitieren. Polen, so lauten die Vorwürfe, werde mit Zigtausenden Migranten geflutet, und die Regierung in Warschau tue dagegen nichts.

Dabei hat sich die Zahl der über Polen nach Deutschland kommenden Asylbewerber drastisch verringert, auch weil Polen die Grenze nach Belarus, über die viele Migranten aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten eingereist waren, inzwischen hermetisch abgeriegelt und das Asylrecht ausgesetzt hat. Letzteres hat das polnische Parlament erst am Mittwoch um weitere 60 Tage verlängert. Dass es an der Grenze zu Deutschland deutlich weniger illegale Einreiseversuche gibt, bestätigt unter anderen die Bundespolizei in Sachsen.

Hart reagiert Polen auch auf die ersten deutschen Zurückweisungen von Asylbewerbern. So wurde bekannt, dass der polnische Grenzschutz Anfang vergangener Woche zwei Afghanen, die im brandenburgischen Guben von der Bundespolizei aufgegriffen wurden, nicht wieder ins Land gelassen hatte. Diese Woche verschärfte Regierungschef Tusk in einem Fernsehinterview den Ton. „Ich bin im äußersten Ernstfall bereit, die Grenze zu schließen“, wenn die Bundespolizei versuchen sollte, aus Polen nach Deutschland gelangte Migranten zurückzuschicken, sagte er. Er verwies auf Artikel 72 des EU-Vertrages, wonach Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von EU-Regeln abweichen könnten. Er habe das Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mitgeteilt, und „die Deutschen haben das verstanden“, sagte Tusk.

Luxemburg stellt die Rechtmäßigkeit der Kontrollen infrage

Verärgert zeigt sich auch die Regierung in Luxemburg. Dem kleinsten deutschen Nachbarland geht es dabei weniger um die vereinzelten Zurückweisungen von Migranten, sondern um die Grenzkontrollen an sich. Rund 50.000 Menschen pendeln jeden Tag zur Arbeit nach Luxemburg, die meisten über die Autobahnen 8 und 64, wo stationäre Grenzkontrollen eingerichtet wurden. Dort dürfen die Autos in einem Abschnitt nur noch Tempo 40 fahren. Nach der jüngsten Verschärfung durch das Bundesinnenministerium hat die luxemburgische Regierung eine E-Mail-Adresse eingerichtet, über die Bürger Beschwerden äußern können. Es gingen laufend Nachrichten ein, sagte der Sprecher des Innenministeriums der F.A.Z., „über eine Zunahme des Verkehrs und lange Staus zu den Stoßzeiten“, was zu einem „erheblichen Zeitverlust“ führe. Einwohner wie Pendler „stellen die Sinnhaftigkeit der Grenzkontrollen durch die Bundespolizei – fast ausnahmslos – infrage“, so der Sprecher.

Zwei Bayern an der Grenze: Alexander Dobrindt und Markus Söder im Mai am Grenzübergang in Kiefersfelden
Zwei Bayern an der Grenze: Alexander Dobrindt und Markus Söder im Mai am Grenzübergang in KiefersfeldenAFP
Luxemburg stellt die Rechtmäßigkeit der Grenzkontrollen infrage und hat dagegen Einspruch bei der EU-Kommission erhoben. Innenminister Léon Gloden hat in dieser Sache schon mit Dobrindt telefoniert und auf ein bilaterales Abkommen über die Zusammenarbeit der Polizei gedrungen. „Unnötige Störungen des grenzüberschreitenden Verkehrs müssen unterbunden werden, im Interesse des täglichen Lebens der Menschen in der Großregion“, sagte der Politiker der Christlich Sozialen Volkspartei.

Auch im deutsch-französischen Grenzgebiet drücken die Bürgermeister ihren Unmut über die Art aus, wie die Grenzkontrollen ausgeführt werden. Das Versprechen, das tägliche Leben im Rheinraum nicht zu beeinträchtigen, sei nicht erfüllt worden, heißt es in einem Brandbrief, den die Straßburger Bürgermeisterin Jeanne Barseghian (Grüne) und der Oberbürgermeister von Kehl, Wolfram Britz (parteilos), am Mittwoch an Bundeskanzler Merz geschickt haben. An der Europabrücke, in der Straßenbahn und in der Ortenau-S-Bahn komme es zu Verspätungen und langen Wartezeiten. Dass die Kontrollen ausgerechnet am Weltkriegsgedenktag am 8. Mai verstärkt wurden, zeige einen Mangel an Takt- und historischem Bewusstsein, monieren die beiden Bürgermeister. Beschwerden kommen auch aus Metz und Forbach. Das Leben der Pendler werde unnötig erschwert, während der Mangel an Drohnen und Personal dazu führe, dass abseits der ausgewiesenen Grenzübergänge Schlepperbanden weiter ihr Unwesen treiben könnten, heißt es.

Österreich blickt gelassen auf die neuen Regelungen

Beklagt werden ebenso Verspätungen der Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Paris und Frankfurt, Stuttgart und Saarbrücken. Die Bundespolizei führt nämlich keine mobilen Kontrollen während der Fahrt durch, sondern zwingt die Züge an Grenzbahnhöfen zum Halt, wo wenige Beamte alle Abteile kontrollieren. Der französische Innenminister Bruno Retailleau hat deshalb gemeinsame Kontrollen angeregt. Auf der Bahnverbindung zwischen Paris und London etwa gibt es seit langer Zeit binationale Polizisteneinsätze. „Wir haben beschlossen, unsere Zusammenarbeit auf allen Ebenen zu verstärken und uns gemeinsam in Europa für mehr innere Sicherheit und eine koordinierte Wiedererlangung der Kontrolle über die Migration einzusetzen“, sagte Retailleau nach dem Besuch von Dobrindt in Paris am 12. Mai.

Rechtliche Bedenken über die Zurückweisung von Asylsuchenden hegt die französische Regierung aber nicht. Retailleau wirbt wie Dobrindt für eine weitere Verschärfung des europäischen Asylrechts.

Der Bundespolizei zufolge wurden in der ersten Woche nach Dobrindts Anordnung 739 Menschen an der Grenze zurückgewiesen, davon 32 Asylsuchende. In der Vorwoche waren es 511 Zurückweisungen, und wer um Asyl ersucht hatte, durfte zunächst einreisen.

Österreich blickt angesichts vergleichsweise geringer Auswirkungen mit Gelassenheit auf das von Dobrindt ausgerufene neue Grenzregime. Nach Auskunft des Innenministeriums in Wien hat es bisher weder zusätzliche Asylanträge auf österreichischer Seite infolge der deutschen Kon­trollmaßnahmen gegeben noch hätten Rückübernahmen stattgefunden.

Aus Wiener Sicht holt Deutschland nach, was man selbst seit Jahren praktiziere. Österreich habe in den letzten Jahren massive Maßnahmen gegen die Schleppermafia und illegale Migration ergriffen, heißt es aus dem Ressort von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Daher sei die Zahl illegaler Migranten bereits massiv zurückgegangen. Im Burgenland, das im Osten Österreichs an Ungarn grenzt, seien 2022 in einer Woche noch 3600 illegal eingereiste Personen aufgegriffen worden. Ende April seien es nur mehr 19 gewesen. Zurückgeführt wird das unter anderem auf die Zusammenarbeit mit Ländern auf internationalen „Schlepperrouten“ wie Serbien und Ungarn.

In der Schweiz hat das Thema Sprengkraft

In der Schweiz habe es bisher keine Rücküberstellungen von Personen gegeben, die in Deutschland erfolglos Asyl beantragt hätten, teilte eine Sprecherin des dortigen Staatssekretariats für Migration der F.A.Z mit. Verärgert ist der Schweizer Justizminister Beat Jans trotzdem. Ihm würden die Ankündigungen aus Deutschland „überhaupt nicht gefallen“, zumal man darüber zuvor nicht mit der Schweiz geredet habe, sagte der Sozialdemokrat im öffentlich-rechtlichen Radio SRF. Er kündigte an, nächste Woche nach Berlin zu reisen, um mit Dobrindt zu sprechen. In Berlin will er auch „mögliche Maßnahmen“ präsentieren, welche die Schweiz ergreifen könnte, falls Deutschland aus Sicht Berns gegen internationale Verträge und gegen das bilaterale Rückübernahmeabkommen verstößt. Welche Maßnahmen das sein könnten, wollte Jans nicht verraten.

Ähnlich wie in Polen vor der Stichwahl um das Präsidentenamt hat das Thema auch in der Schweiz eine enorme Sprengkraft. Die Regierung in Bern muss ein neues Vertragspaket mit der EU durch Volksabstimmungen bringen. Die nationalkonservative SVP hatte gleich nach Dobrindts Ankündigung einen „sofortigen Asyl-Stopp“ gefordert. Statt der deutschen Regierung „für den wegweisenden Schritt zu danken und es ihr gleichzutun“, kritisiere Jans sie mit Belehrungen.

„Die Niederlande müssen das auch tun!“, kommentierte ebenso der an der Regierung beteiligte niederländische Rechtspopulist Geert Wilders auf der Plattform X einen Artikel zur Anordnung Dobrindts. Ansonsten sehen auch die Niederlande die Folgen des neuen deutschen Grenzregimes gelassen. Der Zeitraum seit dem 7. Mai sei noch zu kurz, um Auswirkungen auf die Verkehrslage zu interpretieren, teilte ein Sprecher des niederländischen Ministeriums für Asyl und Migration der F.A.Z. mit.