Die Brigade Litauen ist eine Neuerfindung der Bundeswehr

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Die Bundeswehr soll zur konventionell stärksten Armee in Europa werden. So hat es Bundeskanzler Friedrich Merz im Bundestag angekündigt und nun in Litauen bekräftigt. Das klingt ambitionierter, als es ist. Denn bereits heute ist das deutsche Heer im europäischen Vergleich führend. Andere große Staaten haben nämlich über die Jahre noch weniger in Verteidigung investiert als das wohlhabende Deutschland. Das Ziel muss also nicht sein, größte unter Zwerg-Armeen in NATO-Europa zu sein, sondern stark. Stark genug, um gemeinsam mit den Verbündeten einen Angriff Russlands abzuschrecken oder abzuwehren. Schlimmstenfalls ohne Amerika. Davon ist die Bundeswehr insgesamt weit entfernt. Das soll sich ändern.

Dieses Bemühen zeigt sich unter anderem bei der Litauen-Brigade, die auf Initiative von Verteidigungsminister Boris Pistorius entsteht. Die Brigade wächst aus einer multinationalen NATO-Kampfgruppe von etwa 1700 Soldaten, die seit Jahren ins Baltikum rotiert. Großbritannien führt in Estland, Kanada in Lettland ebensolche Battlegroups. Frankreich hilft in Estland den Briten aus, deren Landstreitkräfte unter starker Auszehrung leiden. Paris zeigt darüber hinaus wenig Absichten, seine Armee auf einen intensiven Landkrieg im Osten auszurichten. Es stützt seine Sicherheit vor allem auf Atomwaffen. Letztlich soll gelten: Wer östlich von Tallinn eine französische Kompanie angreift, fordert die Atommacht heraus.

Erst in zwei Jahren voll einsatzbereit

Diese Option hat Deutschland heute nicht. Seine Abschreckung beruht auf überlebens- und durchsetzungsfähigen konventionellen Streitkräften – Heer, Marine, Luftwaffe, Cyberkommando. Und weiterhin auf dem amerikanischen Atomschirm. Wer in diesen Tagen und Wochen bei NATO-Übungen im Baltikum und Polen dabei ist, trifft auf bestens gerüstete baltische Brigaden und eine nach wie vor große US-Beteiligung. Rund die Hälfte der eingesetzten Verbände beim NATO-Manöver „Griffin Lightning“ kommt aus Amerika, Tausende Soldaten wurden dazu aus Alabama oder Virginia eingeflogen oder eingeschifft, große US-Konvois bewegten sich aus Deutschland nach Polen und ins Baltikum. Doch man erlebt dort auch eine Bundeswehr, die allmählich erstarkt.

Das gilt insbesondere für Litauen, wo Bundeskanzler Merz in dieser Woche die Soldaten der neuen Panzerbrigade 45 offiziell besucht hat. Etwa 400 sind dort derzeit stationiert, darunter viele Planer und Techniker, die in einem verglasten Bürohaus in der Mitte der Hauptstadt das Werden des Verbandes organisieren. Es sind Männer und Frauen, die mit Innovationsfreude und Engagement eine neue Bundeswehr verkörpern. Doch die alte, träge Truppe ist damit nicht verschwunden. Um sich davon zu überzeugen, reicht eigentlich schon eine Besichtigung des Alltags in deutschen Kasernen, wo die Bundeswehr es nicht schafft, ihre Re­kruten so zu motivieren, dass nicht jeder Dritte von ihnen nach kurzer Zeit wieder kündigt.

Noch ist auch der Großverband des Heeres in Litauen nicht viel mehr als ein politisches Versprechen. Zwei weitere Jahre soll es dauern, ehe die Brigade mit 5000 Soldaten, darunter auch Niederländer und Norweger, einsatzbereit ist. Ein Teil der Ausrüstung für die Speerspitze des Heeres muss Bataillonen in Deutschland weggenommen werden, weil die Rüstungsindustrie die Großbestellungen an Panzern und Artillerie erst in Jahren liefern kann. Die Leopard-Panzer, die Merz auf dem Kathedralplatz der litauischen Hauptstadt vorgeführt wurden, sind Dauerleihgaben von Panzertruppen in Deutschland, denen sie bitter fehlen.

Es sind 1000 neue Panzer nötig

Wenn Merz in Litauen sagte: „Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin“, so kann das erst dann zutreffen, wenn die Bundeswehr eines Tages in der Lage ist, die weit im Osten stehende Brigade im Falle eines Falles rasch mit weiteren Truppen und den Divisionen eines NATO-Korps zu unterstützen. Sonst droht den 5000 und deren Familien der rasche Untergang. Die heutige Bundeswehr ist noch nicht auf dem Stand, um mit den NATO-Verbündeten Abschreckung auf einem Niveau zu verkörpern, das Russland beeindruckt.

Die NATO hat errechnet, was die Allianz braucht, um der rasanten russischen Hochrüstung zu begegnen. Allein für das Heer bedeutet das enormen Zuwachs. Es wird sich nahezu verdoppeln müssen, annähernd eintausend neue Panzer sind nötig, um das erwartete geforderte NATO-Niveau zu erreichen. Bestellt sind etwa 120.

Manche sprechen von einer zweiten Gründung der Bundeswehr. Das Abschreckungspotential der NATO wird sich in kampfbereiten Bataillonen, Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen zeigen, die tief im Hinterland militärische Ziele erreichen können. Deutschland muss, Deutschland wird, das hat schon Kanzler Olaf Scholz versprochen und Friedrich Merz nun in Vilnius neuerlich bekräftigt, dazu einen erheblichen Teil beitragen, damit Putins Armee gestoppt wird und der Kontinent wieder zum Frieden kommt.