Metformin
Millionen Diabetikern könnte ein Medikamenten-Aus drohen
26.05.2025 – 13:02 UhrLesedauer: 3 Min.

Ein bewährtes Mittel gegen Typ-2-Diabetes könnte bald verschwinden – ausgerechnet wegen einer neuen EU-Regel. Was das für Patienten bedeutet.
Rund 2,9 Millionen Menschen in Deutschland nehmen Metformin. Für sie ist das Medikament der Standard bei Typ-2-Diabetes – wirksam, verträglich und vor allem: bezahlbar. Doch nun steht genau dieses Medikament auf der Kippe. Grund ist eine neue EU-Richtlinie, die für Hersteller zur Kostenfalle werden könnte. Das berichtet der “Spiegel”. Für Patienten und das Gesundheitssystem könnte das drastische Folgen haben.
Metformin gilt als Mittel der ersten Wahl bei Typ-2-Diabetes. Es senkt zuverlässig den Blutzuckerspiegel, beugt Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor und kostet nur wenig. Eine Dreimonatspackung schlägt im Schnitt mit gerade einmal 5,12 Euro zu Buche. Günstiger lässt sich kaum ein chronisches Leiden behandeln.
Doch genau dieser niedrige Preis wird nun zum Problem. Die neue EU-Abwasserrichtlinie (UWWTD) verpflichtet Arzneimittelhersteller dazu, sich an den Kosten einer zusätzlichen Reinigungsstufe in Kläranlagen zu beteiligen. Damit sollen Mikroschadstoffe wie Medikamentenrückstände besser aus dem Abwasser gefiltert werden. Klingt vernünftig – hat aber massive Nebenwirkungen.
Für Metformin könnten die zusätzlichen Umweltkosten nach Berechnungen des Marktforschungsunternehmens IQVIA bis zu 445 Prozent der aktuellen Herstellungskosten betragen. Weil der Medikamentenpreis gesetzlich gedeckelt ist, dürfen Hersteller die Mehrkosten nicht an Patienten oder Krankenkassen weitergeben.
Die Konsequenz: Die Herstellerzentren von Metformin könnten bald ihre Produktion einstellen. “Kein Hersteller wird eine Vervierfachung der Kosten stemmen können, ohne sie weitergeben zu dürfen”, sagte Josip Mestrovic, Deutschlandchef des Generikaherstellers Zentiva, dem “Spiegel”. Auch der Konkurrent Sandoz erwägt offenbar den Rückzug vom Markt.
Für Millionen Diabetiker könnte sich die Behandlung ihrer Erkrankung verkomplizieren. Denn die Alternativen zu Metformin kosten nicht nur deutlich mehr, sie sind oft auch umständlicher in der Anwendung. Viele müssen gespritzt werden, was die Therapietreue senken kann. Zudem bringen sie ein anderes Nebenwirkungsprofil mit sich.
Laut “Spiegel” beziffert das Berliner IGES-Institut die jährlichen Mehrkosten für die Krankenkassen bei einem Metformin-Aus auf bis zu 1,5 Milliarden Euro – das wäre mehr als das Vierfache der bisherigen Kosten. Die Umstellung auf Medikamente wie Gliflozine, Glutide oder Insulin bedeutet nicht nur höhere Ausgaben, sondern auch Einschnitte bei Lebensqualität und Versorgungssicherheit.
Und Metformin ist kein Einzelfall. Auch andere essenzielle Medikamente könnten unter der neuen Regel leiden – etwa das Antibiotikum Amoxicillin oder das Brustkrebsmedikament Tamoxifen. Die Produktionskosten könnten sich laut ersten Analysen durch die EU-Vorgaben um bis zu 116 Prozent erhöhen. Besonders Generikahersteller, die mit engen Margen arbeiten, sehen ihre Existenz gefährdet. Branchenvertreter warnen vor einer Verlagerung der Produktion nach Asien – vor allem nach China, das bereits heute viele Wirkstoffe liefert.
Die neue Abwasserrichtlinie verfolgt ein umweltpolitisches Ziel: weniger Schadstoffe im Wasser. Doch der Streit über die richtige Finanzierung hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Während Umweltverbände auf das Verursacherprinzip pochen, fordern Pharmaunternehmen und Gesundheitsexperten pragmatische Lösungen – etwa über eine Finanzierung durch Abwassergebühren.
Auch das Umweltbundesamt geht von erheblichen Belastungen aus: Allein in Deutschland sollen die Gesamtkosten der vierten Reinigungsstufe rund eine Milliarde Euro pro Jahr betragen. Die EU-Kommission hatte ursprünglich mit deutlich geringeren Summen kalkuliert. Nun will sie die Auswirkungen auf die Branche erneut prüfen. Polen hat bereits Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht – andere Länder könnten folgen.