Tanker voller Rohöl: Schattenflotte birgt große Gefahr

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Hunderte von Tankern bilden die Schattenflotte, mit der Russland den größten Teil seines Ölexports betreibt. Rund 350 davon sind mittlerweile von der EU sanktioniert, um Putin wegen des Ukrainekriegs unter Druck zu setzen. Die zumeist alten Schiffe dürfen keine EU-Häfen mehr anfahren und werden von EU-Unternehmen nicht mehr gewartet oder versichert. Für die maritime Sicherheit und die Umwelt bedeute die Schatten­flotte ein ernstes Risiko, erklärt Justus Heinrich, der für Allianz Commercial das globale Versicherungsgeschäft mit der Schifffahrt verantwortet. Brände, Kollisionen und Ölverschmutzungen habe es dadurch schon dutzendfach gegeben.

Vielfach handele es sich um Schiffe, die von westlichen Reedern altershalber ausgemustert worden seien. „Wenn so ein zwanzig oder gar dreißig Jahre alter Großtanker dann in schweres Wetter kommt, ist die Stabilität in Gefahr, denn Stahl ermüdet mit den Jahren“, erklärt Heinrich im Gespräch mit der F.A.Z. Tendenziell seien die Schiffe auch schlecht gewartet, weil die Eigner kein langfris­tiges Interesse hätten, aber auch weil viele Häfen aufgrund der Sanktionen gar nicht zugänglich seien.

Eine Ölpest, ausgelöst durch eine Havarie oder Kollision mit einem anderen Schiff, scheint angesichts solcher Szenarien nur eine Frage der Zeit. Unmittelbar vor Rügen war dieses Risiko in diesem Jahr schon mit Händen zu greifen. In der Nacht auf den 10. Januar fiel an Bord des 274 Meter langen Tankers Eventin der Strom aus. Dadurch manövrierunfähig geworden, trieb das Schiff nördlich von Rügen in der Ostsee, rund 100.000 Tonnen Rohöl an Bord. Jetzt ankert das Schiff östlich von Rügen, weil noch unklar ist, ob der deutsche Zoll das mutmaßlich sanktionierte Rohöl beschlagnahmen darf, um damit die EU-Sanktionen durchzusetzen.

Ein Risiko für die Allgemeinheit

Sogar die Gefahr einer militärischen Eskalation besteht, wie jüngst während der NATO-Übung Siil 2025 ein Vorfall vor der estnischen Küste zeigte. Dort versuchte estnisches Militär einen Öltanker unter der Flagge Gabuns aufzuhalten. Als in der Nähe des Schiffs ein russisches Kampfflugzeug Su-35 mit ausgeschal­tetem Transponder in den estnischen Luftraum eindrang, starteten F-16-Kampfflugzeuge der NATO vom estnischen Luftwaffenstützpunkt Ämari zu einem Aufklärungsflug. „Von einer möglichen Eskalationsspirale zu sprechen, ist keine Panikmache, sondern ein realistisches Szenario“, sagte Heinrich mit Blick auf diesen Vorfall gegenüber der F.A.Z.: „In den NATO-Raum einzudringen, ist ein Statement.“

Aus dem Blickwinkel des Versicherers sind Schadensfälle zwar klar geregelt, aber nicht unbedingt befriedigend. Versicherte Schiffe bekommen Schäden durch eine Kollision mit einem Schattenschiff ersetzt – aber die Versicherung bleibt darauf sitzen, wie Justus Heinrich erläutert. Meist seien die Eigentümerstrukturen verworren und würden vielfach gewechselt. Sollte es sich um eines der mittlerweile rund 350 von der EU sanktionierten Schiffe in russischem Auftrag handeln, dürfte die Versicherung gar kein Geld annehmen. Auch jenseits der russischen Öltransporte gebe es solche Strukturen, mit Drahtziehern etwa in Venzuela oder im Iran, berichtet Heinrich. Und selbst die „grey fleet“ ist der Versicherungswirtschaft ein Dorn im Auge, weil auf den ersten Blick keine Auffälligkeiten festzustellen sind, etwa beim Flaggenstaat in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die dann aber in schnellem Takt die Eigentümer wechselten.

Allianz Commercial als Sparte des Münchener Allianz-Konzerns untersucht regelmäßig, wie sich die Risiken in der Schifffahrtsbranche entwickeln, und legt in dieser Woche die aktuelle Safety and Shipping Review vor. Die Schattenflotte, die mit dem Ukrainekrieg erheblich zugenommen hat und mittlerweile 17 Prozent aller Tanker weltweit umfasst, nimmt darin breiten Raum ein. Sie ist nicht nur aus Versicherungssicht ein großes Problem, sondern auch ein Risiko für die Allgemeinheit. Die Reinigungskosten für eine Ölpest werden mit bis zu 1,6 Milliarden Dollar beziffert, und bei Weitem nicht alle Staaten sind Mitglied im Internatio­nalen Entschädigungsfonds für Ölverschmutzung.

Sieben Totalverluste durch Brände

Ein großes Thema ist für die Schifffahrt zudem die Brandgefahr. Mit 250 Vorfällen über alle Schiffstypen hinweg sei im vorigen Jahr der höchste Stand in den letzten zehn Jahren erreicht worden, sieben Totalverluste wurden gezählt, heißt es in der Studie. Die meisten Brände ereigneten sich dort, wo Ladung falsch deklariert worden sei, berichtet Justus Heinrich – weshalb die Entdeckung solcher Ladung technisch angegangen wird. Vor allem hat man dabei die zunehmende Zahl von Lithium-Ionen-Batterien und Energiespeichern im Blick: „Ein großes Schiff voll mit Elektroautos birgt schon ein hohes Risiko, selbst wenn es eine ausgeklügelte Brandschutztechnik an Bord gäbe“, sagt Heinrich im Gespräch mit der F.A.Z. Es gelte in den oft eng beladenen Schiffen nicht nur, einen beginnenden Brand frühzeitig zu erkennen, sondern dann bestehe noch das Problem, das Auto von Deck zu bekommen.

Auch wenn die Risiken nach Einschätzung der Allianz deutlich gestiegen sind: Im Rückblick zeigt sich, dass sich die Sicherheit in der Schifffahrt grundsätzlich verbessert hat, unter anderem aufgrund des technischen Fortschritts im Bereich der Navigation. Während in den 1990er-Jahren die globale Flotte noch mehr als 200 große Schiffe verlor, waren es in den letzten zehn Jahren nur noch halb so viele, Tendenz weiter fallend: Im Jahr 2023 verbuchte die Versicherung 35 Total­­verluste, im vergangenen Jahr waren es nur noch 27 Schiffe. Die Zahlen beziehen sich auf die mehr als 100.000 großen Schiffe, die es global gibt. Als groß gelten Schiffe mit mehr als hundert GT, wobei GT für gross tonnage steht, das Raum­volumen.