Die Sozialversicherung bietet ihren Zahlern Schutz in vielen Lebenslagen. Und sie ist eine komplexe Großorganisation. Über alle Zweige hinweg gibt sie jährlich mehr als 750 Milliarden Euro aus, etwa für Arbeitslosengeld, medizinische Behandlungen, Rente und Altenpflege. Was bei den Versicherten ankommt, ist aber nicht alles. Denn auch das Verwalten der Leistungen kostet Geld – und zwar mehr als eigentlich nötig. Darauf deutet jedenfalls eine noch unveröffentlichte Aufstellung der Arbeitgeberverbände hin. Sie liegt der F.A.Z. vor.
Alle Sozialversicherungen zusammen beschäftigen nach jüngstem Stand knapp 378.000 Personen. Und sie geben jährlich knapp 25 Milliarden Euro für Verwaltungskosten aus. Dies sei „keine Kleinigkeit, sondern mehr, als wir für Elterngeld, Wohngeld und Bafög zusammen ausgeben“, erklärt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Das geht besser. Wir brauchen eine Sozialversicherung, die effizient, digital und kostenbewusst arbeitet.“ Umso mehr sei nun auch die neue Bundesregierung gefragt, in diese Richtung zu steuern. „Jeder Euro weniger für Verwaltung hilft, die Beitragsbelastung für Arbeitgeber und Versicherte zu begrenzen.“
Die Sozialbeiträge summieren sich inzwischen auf ungefähr 42 Prozent des Bruttolohns, mit steigender Tendenz. Davon würden allein 1,3 Prozentpunkte für Verwaltungskosten verbraucht, wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in ihrem dreizehnseitigen Papier vorrechnet. Und den Personalbestand von 378.000 Beschäftigten vergleicht sie so: „Damit arbeiten heute mehr Beschäftigte in den Verwaltungen der Sozialversicherung als zum Beispiel in der gesamten Landwirtschaft.“
Die Anteile der Verwaltungskosten an den Ausgaben variieren stark je nach Versicherungszweig. Die Spanne reicht von 1,2 Prozent bei der Rentenversicherung über knapp vier Prozent bei Kranken- und Pflegekassen bis hin zu 11,5 Prozent bei der gesetzlichen Unfallversicherung und 14 Prozent bei der Arbeitslosenversicherung. Dies hat auch mit unterschiedlichen Aufgaben zu tun: So muss ein Rentenantrag meist nur einmal geprüft werden, dann fließen gleichmäßige Zahlungen für lange Zeit. Demgegenüber leistet die Arbeitslosenversicherung viel individuelle und damit aufwendigere Betreuung.
Die Arbeitgeber erheben keine pauschalen Verschwendungsvorwürfe gegen die Sozialkassen. Wohl aber gebe es dort reichlich Spielraum, um Strukturen und Abläufe zu straffen. Zugleich werde ihr Verwaltungsaufwand oft auch durch gesetzliche Vorgaben unnötig erhöht – etwa durch die im Jahr 2021 eingeführte Grundrente, einen Zuschlag zur Monatsrente für bestimmte Geringverdiener, dessen Höhe kompliziert ermittelt werden muss. Nach Angaben der Rentenversicherung beträgt die Verwaltungskostenquote dieser Leistung 13 Prozent, also gut das Zehnfache ihrer Gesamtquote.
Aber wo liegen Ansätze für Straffungen im System? Zuweilen gibt es Rufe, die Renten- und vielleicht auch die Unfallversicherung radikal zu zentralisieren. So weit geht die BDA nicht. Allerdings fordert sie dort mehr Koordination der einzelnen Rentenversicherungsträger wie auch der Berufsgenossenschaften, die ja, anders als Krankenkassen, nicht im Wettbewerb stünden.
Im Fall der Rentenversicherung ist es so: Sie besteht zum einen aus 14 je eigenständig verfassten Trägern auf Landesebene, die von ihren Landesbehörden beaufsichtigt werden, und zum anderen aus der Rentenversicherung Bund (früher: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) und der Knappschaft Bahn-See, die unter Bundesaufsicht stehen.
Dass diese Träger nicht ausreichend koordiniert arbeiten, zeigt sich nach Analyse der BDA zum Beispiel an Rehakliniken, die sie betreiben: Noch immer sei es so, „dass mehrere Träger an den gleichen Standorten Kliniken betreiben und dort auch oftmals nicht angemessen zusammenarbeiten“, lautet der Befund. Ineffizient laufe es aber auch bei der nach Branchen gegliederten Unfallversicherung, deren Beiträge nur die Arbeitgeber zahlen. „So haben es die Berufsgenossenschaften bis heute nicht geschafft, sich auf ein einheitliches IT-Kernsystem zu verständigen“, kritisiert die BDA.
„Nicht, weil man es immer so gemacht hat“
Dennoch müsse das Ziel eines einheitlicheren Vorgehens „keineswegs zu einer zentralen Aufgabenerledigung führen“, urteilt sie. Dass auch dezentrale Organisationen einheitlich agieren könnten, zeige das Beispiel der Arbeitslosenversicherung mit ihren zehn Regionaldirektionen und 156 örtlichen Arbeitsagenturen.
Beherzte Straffungen fordern die Arbeitgeber in den Strukturen der sogenannten Selbstverwaltung. Das sind die teils weit ausdifferenzierten Sozialpartnergremien, in denen Arbeitgeber und Versichertenvertreter Steuerungs- und Aufsichtsfunktionen ausüben. Während etwa die ganze Bundesagentur für Arbeit nur einen Verwaltungsrat hat, der deren Vorstand beaufsichtigt und den Etat der Versicherung aufstellt, haben in der Rentenversicherung alle 17 Teilorganisationen je eigene Selbstverwaltungsgremien und -strukturen.
„Bei allen Sozialversicherungsträgern sollte es einheitlich als alleiniges Selbstverwaltungsorgan einen Verwaltungsrat geben“, heißt es in dem Papier. „Auf diese Weise würde die ehrenamtliche Selbstverwaltung auch in der Renten- und Unfallversicherung auf ein Organ konzentriert.“ Heute bestehende „Ineffizienzen durch Mehrfachbefassungen und Koordinierungsaufwand würden damit beseitigt“. Außerdem solle die Größe der verbleibenden Gremien auf höchstens 21 Mitglieder begrenzt werden, „damit auch im Plenum noch konstruktive Diskussionen stattfinden können“.
Für diese und weitere Änderungen setzen die Arbeitgeber auf Hilfe des Gesetzgebers. Aus guten Gründen hätten Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, die Bundesverwaltung nach Jahren des Wachstums beherzt zu straffen. Die gleiche Aufgabe stelle sich bei den Sozialkassen.
„Unterschiede zwischen den Sozialversicherungszweigen sind nur dort sinnvoll, wo sie sachlich begründet sind – nicht, weil man es immer so gemacht hat“, mahnt Dulger. Die Zusammenarbeit der Träger müsse „in allen Bereichen intensiviert werden, in denen Kooperationen denkbar sind“.