Annalena Baerbock steht vor ihrer nächsten Aufgabe: Die frühere Außenministerin von den Grünen ist zur Präsidentin der Generalversammlung der Vereinten Nationen gewählt worden. Auf Antrag eines Mitgliedsstaates war die Abstimmung geheim. Eine Gegenkandidatur gab es nicht. Baerbock folgt damit auf den Kameruner Philémon Yang, der das Amt der UN seit dem vergangenen Herbst innehat.
Die Rolle bringt keine unmittelbare politische Macht mit sich und ist vor allem organisatorischer, zeremonieller und protokollarischer Natur. Denn wer der Generalversammlung vorsitzt, muss vor allem moderieren, vermitteln, zuhören – und den Betrieb eines Gremiums mit 193 gleichberechtigten Staaten organisieren. Die Generalversammlung ist das einzige UN-Organ, in dem alle Mitgliedstaaten – ob die Supermacht USA oder das Fürstentum Liechtenstein – über eine gleichwertige Stimme verfügen.
Baerbocks neues Amt ist nicht zu verwechseln mit dem des UN-Generalsekretärs, das weiterhin António Guterres innehat, der als höchster Verwaltungsbeamter der Vereinten Nationen amtiert. Der Portugiese wurde 2021 für eine zweite Amtszeit bestätigt, die bis Ende 2026 läuft. Seine Position ist politisch einflussreicher, doch die Präsidentschaft der Generalversammlung gilt als höchstes protokollarisches Amt in der UN-Hierarchie – und bietet die Möglichkeit, in geopolitisch angespannten Zeiten Debatten zu strukturieren und Akzente zu setzen.
Vor allem protokollarische und organisatorische Aufgaben
Als Präsidentin der Generalversammlung wird Baerbock künftig die Plenarsitzungen in New York leiten, die Tagesordnung mitgestalten und auf die Einhaltung der Regeln achten: Wer redet, wie lange, und in welchem Ton. Sie muss gewährleisten, dass alle Staaten zu Wort kommen – auch jene, die nicht im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen. Unfreundliche Zwischenrufe werden protokollarisch geahndet.
Die Generalversammlung entscheidet über den UN-Haushalt, ernennt den Generalsekretär und besetzt zentrale Posten in internationalen Gremien. Inhaltlich sind die Beschlüsse der Vollversammlung zwar nicht bindend, doch gerade in Krisenmomenten – etwa bei Abstimmungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine oder zur Lage im Gazastreifen – ist das Gremium ein Stimmungsbarometer der Weltöffentlichkeit.
Im Gegensatz zum mächtigeren Sicherheitsrat kann die Generalversammlung keine völkerrechtlich verbindlichen Maßnahmen ergreifen. Der Einfluss ihrer Präsidentin entfaltet sich deshalb vor allem im Hintergrund: in der diplomatischen Vermittlung, der Vorbereitung von Abstimmungen und künftig wohl auch bei der Suche nach einem Nachfolger für Guterres. Baerbock kündigte an, diesen Prozess „auf transparente und integrative Weise“ organisieren zu wollen.
Baerbock will als Brückenbauerin handeln
In einer informellen Anhörung zu ihrer Kandidatur im Mai dieses Jahres hatte Baerbock die wichtigsten Ziele ihrer Amtszeit skizziert, und betonte die Relevanz der Vereinten Nationen angesichts zunehmender Abschottungstendenzen weltweit. Die UN wird in diesem Jahr 80 Jahre alt und stehe, so Baerbock, „unter starkem finanziellem und politischem Druck“ sowie vor „existenziellen Herausforderungen“. Sie wolle das Gremium als Brückenbauerin führen: „Als Präsidentin, sollte ich gewählt werden, werde ich allen 193 Mitgliedstaaten dienen – großen wie kleinen. Als ehrliche Vermittlerin. Als einende Kraft. Mit einem offenen Ohr. Und einer offenen Tür.“
Zugleich machte sie deutlich, dass die Arbeitsweise der Generalversammlung effizienter werden müsse: „Wir müssen unsere Ressourcen überprüfen, fokussieren und effizient einsetzen – auch in der Generalversammlung.“ Sie wolle dafür sorgen, dass die Perspektiven aller Regionen und Gruppen gehört würden. Ein besserer Dialog mit der Zivilgesellschaft sei ihr ebenso wichtig wie die Frage nach der Sichtbarkeit internationaler Politik. Die UN müsse ihre Arbeit „den Menschen näherbringen“, sagte sie – auch um einer wachsenden „Polarisierung“ der Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Die Erwartung sei klar: „Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass unsere Arbeit in ihrem täglichen Leben einen echten Unterschied macht.“
Inhaltlich will Baerbock ihre einjährige Amtszeit nutzen, um besonders drei Themen zu setzen: das Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele, den Kampf gegen die Klimakrise und die Gleichstellung der Geschlechter. Mit diesen Schwerpunkten knüpft sie an die Arbeit ihrer Amtszeit als Außenministerin an.
Amtsübernahme für den 9. September geplant
Baerbock ist die dritte deutsche Person, die den Vorsitz übernimmt, nach Rüdiger von Wechmar aus der alten Bundesrepublik 1980 und Peter Florin aus der DDR 1987. Sie ist erst die fünfte Frau seit Gründung der Vereinten Nationen, die dieses Amt übernimmt – und die erste, die direkt aus einem aktiven Außenministerinnenamt an die Spitze der Generalversammlung wechselt. Ursprünglich war mit der deutschen Diplomatin Helga Schmid eine andere Kandidatin vorgesehen. Die langjährige Spitzendiplomatin, zuletzt Generalsekretärin der OSZE, hatte sich intensiv auf die Aufgabe vorbereitet. Letztlich setzte sich jedoch Baerbock durch.
Die feierliche Amtsübernahme ist für den 9. September geplant – kurz vor Beginn der Generaldebatte der Generalversammlung. Das Gehalt für das Amt und die Mietkosten für die Wohnung in New York werden nicht aus dem UN-Budget bezahlt. Diese Kosten übernimmt jeweils die Regierung des Landes, aus dem der Präsident der UN-Vollversammlung kommt.