Kritische Rohstoffe: Deutschlands Abhängigkeit von China

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Es gibt einen Spruch, den im Rheinland jeder kennt. Dieser Spruch, so scheint es, war lange Zeit so etwas wie das inoffizielle Motto deutscher Unternehmen, wenn es um ihre Versorgung mit Bodenschätzen geht, ohne die viele Fabriken in Deutschland stillstünden. Die Rede ist von Industrierohstoffen, und der rheinische Spruch lautet: Et hätt noch immer jot jejange. Oder auf Hochdeutsch: Es ist noch immer gut gegangen.

Danach sieht es derzeit nicht mehr aus. Matthias Wachter, Abteilungsleiter Rohstoffe beim Bundesverband der Deutschen Industrie, sagt: „Wir steuern auf eine dramatische Situation zu. Vergleiche mit den Folgen der Gas- und Energiekrise im Jahr 2022 nach Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine sind nicht weit hergeholt.“ Von weiten Teilen der Öffentlichkeit unbemerkt und überdeckt von dem Lärm, den die Regierung von Donald Trump veranstaltet, tobt gerade ein globaler Machtkampf. Und bei dem geht es um viel mehr als nur um Zölle.

Während der Industrialisierung war Kohle der Treibstoff für den Aufstieg von Weltmächten. Für die Volkswirtschaften von morgen sind es bestimmte Metalle. Wer über sie verfügt, hat nicht nur einen unschätzbaren Vorteil auf dem globalen Markt der Zukunftstechnologien. Er hat auch die Macht, seine Rivalen auszubremsen. Und nach Lage der Dinge muss man feststellen: Deutschland hat sich in diesem Ringen um Einfluss und Märkte in gefährliche Abhängigkeiten begeben.

Energiewende und KI treiben die Nachfrage

Die Rohstoffe, um die es geht, heißen Lithium, Gallium oder Germanium, oder sie gehören zu einer Reihe von Metallen, die als Seltene Erden bezeichnet werden. Auf drei Feldern zeigt sich deren Bedeutung gerade besonders. Das erste ist die Energiewende: In Batterien für Elektroautos steckt Lithium, und Photovoltaik-Module funktionieren nur mit Stoffen, von denen viele Verbraucher nie gehört haben. Die fortschreitende Digitalisierung und der Energiehunger der Künstlichen Intelligenz wiederum führen dazu, dass immer mehr von diesem klimaneutral erzeugten Strom gebraucht wird – und in der nötigen Technik sind ebenfalls begehrte Metalle verbaut. Ohne Gallium läuft zum Beispiel kein Chip und ohne Chip kein Rechenzentrum. Und schließlich wäre da noch die Verteidigungsindustrie: Auch in den Sensoren oder den Legierungen jedes modernen Waffensystems finden sich Seltene Erden.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Deshalb explodiert die Nachfrage nach den Rohstoffen. Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass der weltweite Bedarf an Seltenen Erden in diesem Jahrzehnt um siebzig Prozent steigen wird, der an Lithium sogar um mehr als 400 Prozent. Die Europäische Kommission hantiert mit noch größeren Zahlen: Brüssel schätzte vor zwei Jahren, dass die EU-Staaten bis 2030 das Sechsfache an Seltenen Erden und das Zwölffache an Lithium brauchen werden.

Das Problem Deutschlands und anderer westlicher Länder ist jedoch: Von den Rohstoffen, die sie so dringend benötigen, produzieren sie nur einen geringen Teil selbst. Das liegt nicht immer an der Verfügbarkeit. Seltene Erden zum Beispiel sind gar nicht so selten, wie es der Name nahelegt, größere Vorkommen gibt es in Schweden und Grönland. Sie wurden nur nie erschlossen, weil es bequem war, die Förderung Ländern mit niedrigeren Arbeitskosten und Umweltstandards zu überlassen.

Manche Metalle bezieht Deutschland nur aus China

Nicht nur Seltene Erden, auch viele andere wichtige Metalle werden zu beträchtlichen Teilen in China abgebaut, wie Gallium oder Germanium. Betrachtet man auch die Weiterverarbeitung der Rohstoffe etwa in Raffinerien, ist Chinas Dominanz sogar noch größer. Auf manche Produkte hat die Volksrepublik mehr oder weniger ein Monopol. Wie das Statistische Bundesamt jüngst mitteilte, importierte Deutschland im vergangenen Jahr zwei Drittel seiner Seltenen Erden aus China, einzelne Metalle sogar ausschließlich von dort.

Die Anzeichen, dass das Ringen um solche Bodenschätze rauer wird, häuften sich zuletzt. Die unverhohlenen Drohungen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, Grönland zu annektieren, und der kürzlich abgeschlossene Rohstoffdeal mit der Ukraine, die über erhebliche Bodenschätze verfügt, sind auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Das gilt ebenso für handelspolitische Scharmützel zwischen den Vereinigten Staaten und China. So revanchierte sich China im aktuellen Zollstreit nicht von ungefähr mit Exportrestriktionen für Seltene Erden, woraufhin auch in Deutschland die Angst vor stillstehenden Bändern umging.

Dass die Vereinigten Staaten und China in dieser Auseinandersetzung einstweilen eine Lösung gefunden haben, sollte über eines nicht hinwegtäuschen: Peking weiß genau, welch mächtigen Hebel es mit seinen Rohstoffen in der Hand hat. Wie weit man dort im Zweifel gehen würde, zeigte sich im Jahr 2010, als China auch vor einem Totalembargo für Seltene Erden nicht zurückschreckte. Nach einer Auseinandersetzung im Ostchinesischen Meer traf es damals Japan, das daraufhin hektisch nach neuen Quellen Ausschau hielt.

„Die Gefahr nimmt zu“

Längst geht deshalb auch in Deutschland die Sorge um, von der Versorgung abgeschnitten zu werden. Im vergangenen Jahr analysierte das Institut IW Consult für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft die Verfügbarkeit von 45 Rohstoffen. Demnach hat sich innerhalb von zehn Jahren die Zahl der als kritisch eingestuften Rohstoffe um zwölf auf 28 erhöht – ihr Bezug gilt als nicht sicher. Die Autoren warnten: „Die Gefahr strategischer Verknappung des Rohstoffangebots nimmt mit zunehmender Unsicherheit in der Handelspolitik und wachsenden geopolitischen Konfrontationen zu.“

Ist Deutschland ausreichend gerüstet, um in den drohenden Auseinandersetzungen zu bestehen? Jakob Kullik ist skeptisch. Der Politikwissenschaftler von der TU Chemnitz hat seine Doktorarbeit über die deutsche Rohstoffpolitik geschrieben, und wenn er über das Thema spricht, dann benutzt er Wörter wie „deutsche Schlafmützigkeit“ und „langlebige Naivität“. Zwar gibt es in Deutschland seit 15 Jahren ein Dokument namens Rohstoffstrategie, und auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2023 spielt das Thema eine Rolle. Aber Kullik sagt: „Grundlegend hat sich mit Blick auf bessere Lieferketten, die Dominanz Chinas und die eigene Handlungsfähigkeit eigentlich nichts geändert.“

Handel und Geopolitik nicht mehr getrennt

Die deutsche und europäische Politik, sagt Kullik, hätten zu lange die geopolitische Dimension des Rohstoffmarktes nicht wahrhaben wollen. Damit ist gemeint: Während man in Europa lange dem Glauben anhing, Rohstoffe seien – ganz nach dem Prinzip der globalen Arbeitsteilung – jederzeit verfügbar, hat China seine Position vor allem aus strategischen Gründen immer weiter ausgebaut. In Peking nahm man dafür in Kauf, dass die Förderung vieler Rohstoffe aufgrund des hohen Aufwands zeitweilig ein Verlustgeschäft war. „China hat das nie geschreckt“, sagt einer, der nahe dran ist. „Das Ziel der Rohstoffpolitik war es letztlich immer, die internationale Konkurrenz auszuschalten.“

Wie sehr Deutschlands Unternehmen sich dieser Gefahr bewusst sind, ist unklar. Harald Elsner, Fachmann bei der staatlichen Deutschen Rohstoffagentur, sagt: „Die Unternehmen kennen mittlerweile das Problem und denken auch intensiv darüber nach. Allerdings blieb diese Auseinandersetzung bisher weitgehend theoretischer Natur, dabei müssten sie spätestens jetzt aktiv werden.“ So könnten sie langfristige Abnahmeverträge außerhalb Chinas schließen oder sich auch an Förderstätten im Ausland beteiligen, zum Beispiel in Australien. Ein wirklicher Ausweg aus der Abhängigkeit vom größten Anbieter China wäre das aber noch nicht.

Graphit-Abbau in der Ukraine: Das Land verfügt über viele begehrte Rohstoffe.
Graphit-Abbau in der Ukraine: Das Land verfügt über viele begehrte Rohstoffe.EPA

Die Antworten einer Umfrage der F.A.S. unter Dax-Konzernen sind aufschlussreich. Zwar will sich kaum ein Unternehmen zu der Frage äußern, ob ein vollständiger Exportstopp vonseiten Chinas noch in diesem Jahr zu erwarten sei. Viele betonen allerdings, man bereite sich auf „unterschiedliche Szenarien“ vor. Und eine Firma schreibt gar, „zum Glück haben wir keine Chipproduktion“, für die besagte Rohstoffe unerlässlich sind. Dahinter hat die Pressestelle ein Zwinker-Smiley gesetzt.

Die neue Bundesregierung kennt das Problem

Zumindest die neue Bundesregierung scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Auf Anfrage schreibt das Wirtschaftsministerium: „Ziel für die Unternehmen und das Land muss es sein, diese Abhängigkeiten zu verringern.“ Ziel sei es außerdem, „industrielle Wertschöpfungsstufen“, die bislang überwiegend im Ausland stattfänden, vermehrt wieder im europäischen Wirtschaftsraum anzusiedeln.

Auch in Europa tut sich seit einiger Zeit etwas. Die EU hat im sogenannten „Critical Raw Materials Act“ ambitionierte Ziele formuliert, die Europa bei Rohstoffen unabhängiger machen sollen. Danach sollen bis 2030 beispielsweise zehn Prozent des Bedarfs aus heimischen Förderstätten gedeckt werden und vierzig Prozent aus eigener Weiterverarbeitung. Das Problem ist nur: Vor Ort treffen solche Vorhaben oft auf Widerstand in der Bevölkerung. In Portugal beispielsweise wollen Bürgerinitiativen verhindern, dass Lithium abgebaut wird. Auch ein Pakt zwischen der EU und Serbien, dortige Lithium-Vorkommen zu erschließen, stößt auf starken Protest.

Ob die EU ihre Ziele erreicht, hält Politikwissenschaftler Kullik auch wegen solcher Rückschläge für fraglich. Dennoch sieht er Brüssel grundsätzlich auf dem richtigen Weg, um mehr Unabhängigkeit zu erreichen. Allerdings wünscht er sich deutlich mehr Schlagkraft beim Aufbau eigener Produktionsstätten. Auf Ebene der EU könnte eine Rohstoffagentur, die mit ausreichend Mitteln ausgestattet sei, effektiver Projekte identifizieren und fördern. Und in Deutschland müsse der Rohstofffonds, den die Ampelkoalition vergangenen Herbst genau hierfür aufgelegt hat, mit deutlich mehr Geld ausgestattet werden.

Wie übel die Sache sonst ausgehen könnte, zeigt sich nicht zuletzt in der Verteidigung – schließlich steht China im Ukrainekonflikt fest an der Seite Russlands. Im vergangenen Dezember hat auch die NATO eine Liste mit zwölf kritischen Rohstoffen veröffentlicht. Dazu hieß es: Die sichere Versorgung mit diesen Rohstoffen sei von entscheidender Bedeutung, um den technologischen Vorsprung und die Einsatzbereitschaft des Bündnisses aufrechtzuerhalten. In einem amerikanischen U-Boot der Virginia-Klasse zum Beispiel sind etwa vier Tonnen an Seltenen Erden verbaut, in einem Kampfflugzeug des Typs F-35 immer noch 400 Kilo.

Vergleichbare Zahlen zu deutschem oder europäischem Gerät sind öffentlich nicht verfügbar, aber Fachleute sagen: Sie dürften ähnlich hoch sein. Anders als in den Vereinigten Staaten ist in Europa aber kein Konzept bekannt, um die für die Rüstung nötigen Rohstoffe aus sichereren (und im Zweifelsfall teureren) Quellen zu beziehen. Und gegen jeden Widerstand eigene Minen zu bauen, um Rohstoffe selbst abzubauen, ist auch keine Lösung. Zumindest keine kurzfristige. Denn bis so eine Mine steht, vergehen schnell zehn oder fünfzehn Jahre.