Die Sache mit dem Werden und Vergehen kann man so sehen oder so. Für die einen mündet sie ins höchste 3D-gedruckte Gebäude der Welt, einen futuristisch anmutenden Turm in einem winzigen Schweizer Bergdorf. Für die anderen ist dieser Turm nichts als ein Phallussymbol, ein Stachel im Lauf der Welt. Sie meinen: Futtersilos und Ställe wären besser gewesen.
Das Dorf, in dem der 3D-Turm nun errichtet wurde, heißt Mulegns. Es liegt im Kanton Graubünden auf knapp 1.500 Meter Höhe an einer besonders finsteren Stelle der Julierpassstraße und hat aktuell noch elf oder zwölf Einwohner (lustigerweise gehen die Meinungen darüber auseinander). Wie viele Alpendörfer ist Mulegns vom Aussterben bedroht. Ein einziges Kind lebt noch hier, die Tochter des Bergbauern Giatgen Jegher. Der gilt als Widerständler, seit das Schweizer Fernsehen 2021 eine mehrteilige Dokumentation über die Pläne des Theatermachers Giovanni Netzer drehte, der das Aussterben von Mulegns mit Kreativität verhindern will. Er erweckte das alte Post Hotel zu neuem Leben und stellte die Villa daneben kurzerhand auf Schienen, um sie acht Meter weit zu verschieben und so ein lebensgefährliches Verkehrsnadelöhr zu beseitigen. Zum Dank postet die Bäuerin heute auf Instagram Reels von ihren Kühen (“Demonstranten von Mulegns”), und der Bauer klagt, er müsse arbeiten wie vor 100 Jahren, weil Netzers Aktivitäten ihn einschränkten. Platz ist Mangelware in Mulegns, außerdem mischt inzwischen der Denkmalschutz mit. Und das alles für Hotels, Villen, Türme, die keiner braucht?