US-Streitkräfte ließen Bomber mit Atomreaktor fliegen

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1955 schickte die US Air Force eine brisante Fracht gen Himmel: Ein Bomber transportierte einen Atomreaktor in die Luft. Das Projekt war sehr kostspielig – und brandgefährlich.

Am 17. September 1955 startete ein außergewöhnlicher Bomber von einer texanischen Luftwaffenbasis. Das modifizierte Flugzeug vom Typ B-36 “Peacemaker” beförderte in einem seiner Bombenschächte eine heikle Fracht: einen voll funktionsfähigen Atomreaktor.

Als der Bomber ausreichend Höhe und Abstand zu dicht bewohnten Gebieten gewonnen hatte, ging der Reaktor weit über der Erdoberfläche in Betrieb. Menschen, die das fast 50 Meter lange Kampfflugzeug vom Boden aus sahen, waren ahnungslos, welch strahlende und gefährliche Fracht es beförderte. Die Mission unterlag strengster Geheimhaltung.

Doch der Bomber flog nicht allein, eine Boeing B-50 eskortierte ihn. An Bord dieser Maschine befand sich technisches Personal, dazu Soldaten. Wäre der Bomber mit dem Atomreaktor abgestürzt, hätten sie abspringen und die Absturzstelle sichern müssen – im schlimmsten Fall ein Himmelfahrtskommando. Doch alles ging gut, und die Maschine mit der Bezeichnung Convair NB-36H, Spitzname “Crusader”, absolvierte ihren Flug ohne Zwischenfälle.

Wie aber kam man auf die Idee, einen aktiven Atomreaktor durch die Luft zu befördern? Im Amerika der Fünfzigerjahre galt die Nuklearkraft als eine technologische Verheißung. Zwar hatten die USA in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs mit zwei Atombomben das nukleare Inferno über Hiroshima und Nagasaki gebracht. Trotzdem hielt die Euphorie über die neue Technologie an. Selbst Autos könnten doch mit Atomkraft betrieben werden, soweit reichte die Vorstellungskraft.

Und auch die militärischen Planer machten sich ihre Gedanken, etwa bei der US Air Force: Eine Bomberflotte, angetrieben mit Atomkraft? Im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion, der jederzeit hätte heiß werden können, versprach diese Technologie einen strategischen Vorteil innerhalb der militärischen Abschreckung: Nuklearbetriebene US-Bomber hätten lange Zeiträume in der Luft bleiben können, ohne aufwendig betankt werden zu müssen.

Die technischen Voraussetzungen, um ein nuklearbetriebenes Flugzeug bauen zu können, waren allerdings gewaltig – und erforderten Geld und Zeit. Gleichwohl begannen die Planungen Ende der Vierzigerjahre, wie der Autor Patrick Hoeveler in seinem Buch “Die skurrilsten Flugzeuge der Welt” schreibt. Für die Erprobung wurde die besagte Convair NB-36H ausgewählt, sie hatte zuvor Schaden durch einen Tornado erlitten. Es war allerdings keineswegs geplant, dieses Flugzeug mit Atomkraft fliegen zu lassen. Vielmehr sollte mit seiner Hilfe zunächst der Betrieb eines Atomreaktors an Bord eines Flugzeugs erforscht werden.

Convair NB-36H: Das Cockpit der Maschine war stark geschützt.Vergrößern des Bildes
Convair NB-36H: Das Cockpit der Maschine war stark geschützt.

Die Idee des US-Militärs war nicht unumstritten. Aus Kreisen von Physikern – zu denen mit Robert Oppenheimer auch der sogenannte “Vater der Atombombe” gehörte – hieß es, das Projekt grenze “an Wahnsinn”, wie Autor Robert Bernier in einem Artikel für das National Air and Space Museum der amerikanischen Smithsonian Institution zitiert.

Gleichwohl begannen die Umbauarbeiten an der Convair NB-36H. Besonders die Crew musste vor der radioaktiven Strahlung geschützt werden. Dazu wurde nicht nur der Reaktor hinten in einem Bomberschacht durch tonnenschwere Verkleidungen isoliert, sondern das Cockpit nochmals extra gesichert. Es war eine Spezialfertigung mit reichlich Verkleidung aus Blei, um die fünfköpfige Besatzung – zwei Piloten und mehrere Ingenieure – zu schützen.

Es herrschte Zeitdruck, denn innerhalb der US-Streitkräfte wurde auch ums Geld konkurriert. 1954 hatte die US Navy ihre “USS Nautilus” bekommen, das erste nuklearbetriebene Unterseeboot der Geschichte. Da wollte die US-Luftwaffe nicht hinten anstehen. Entsprechend hob die Convair NB-36H am 17. September 1955 ab und nahm den ersten Atomreaktor an Bord eines Flugzeugs in Betrieb. Insgesamt 47 Testflüge absolvierte die NB-36H – mit 215 Flugstunden, davon knapp 90 Stunden mit aktivem Reaktor an Bord, wie Robert Bernier schreibt.