Warum die AfD mit der Wehrpflicht hadert

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Die AfD spricht auffallend wenig über die Wehrpflicht. Dabei ist das Thema eigentlich ideal für sie. Eine Partei, die sich als patriotisch versteht, müsste mit Feuereifer für die Verteidigung des Vaterlandes eintreten – erst recht, wenn sie damit auch noch ihre Konkurrenten quälen kann, allen voran die Union. Die muss Rücksicht nehmen auf die SPD. Die AfD könnte frei aufspielen, nach dem Motto: Wir ziehen das mit der Wehrpflicht durch, zieh doch mit, lieber Bundeskanzler. Doch da gibt es ein kleines Problem.

Die AfD ist nämlich selbst uneins bei dem Thema – bis hinauf in die Spitze. Die Wehrpflicht provoziert Konflikte zwischen Ost und West, Konservativen und Libertären, Taktikern und Strategen. Das ist schon seit Jahren so. Deshalb machte die Parteiführung das Thema nie groß. Aber jetzt werden die Befürworter einer Wehrpflicht ungeduldig.

Sie nennen drei Argumente dafür, Tempo zu machen. Erstens: Parteichefin Alice Weidel hatte sich im Bundestagswahlkampf weit aus dem Fenster gelehnt und einen zweijährigen Wehrdienst gefordert, damit liege die Sache sowieso auf dem Tisch. Zweitens: Gerade jetzt verschärfe sich die Debatte, das sei eine gute Gelegenheit, um die schwarz-rote Koalition vorzuführen. Drittens: In der eigenen Fraktion sind seit der Bundestagswahl die Machtverhältnisse verändert, manche sprechen von einer „Verwestlichung“. Lag der Anteil von AfD-Bundestagsabgeordneter aus dem Westen zuletzt noch bei rund 62 Prozent, sind es jetzt knapp 70. Der Einfluss ostdeutscher Wehrpflichtskeptiker sinke, nun schlage die Stunde derer, die die Pflicht wollten.

„Ernst mit der Landesverteidigung“

Ihr Wortführer ist Rüdiger Lucassen, ein Oberst a. D. aus Schleswig-Holstein und Leiter des Arbeitskreises Verteidigung der AfD-Bundestagsfraktion. Er findet, noch vor der Sommerpause müsse etwas passieren. „Der Zeitpunkt ist jetzt sehr günstig, um einen Antrag zur Wehrpflicht im Bundestag einzubringen“, sagte er der F.A.Z. „Damit zeigen wir, dass es uns ernst ist mit der Landesverteidigung.“

Eine Spitze gegen die Union – denn aus deren Reihen verlangten zuletzt immer mehr Politiker, zu handeln. Fraktionschef Jens Spahn forderte, Strukturen zu schaffen, „die eine zügige Rückkehr zur Wehrpflicht möglich machen“. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und der Außenpolitiker Norbert Röttgen, beide CDU, äußerten, man müsse umsteuern. Eine Wehrpflicht müsse her, es reiche nicht, wie im Koalitionsvertrag mit der SPD verabredet auf Freiwilligkeit zu setzen. Dort heißt es, „zunächst“ wolle man es so versuchen. Ein Schlupfloch. Doch die Sozialdemokraten wollen die Union vorerst nicht durchschlüpfen lassen.

In der AfD-Führung sieht man die Chance. Aber eben auch die Risiken. Aus den ostdeutschen Landesverbänden droht Unmut. Weidels Ko-Chef Tino Chrupalla hatte die AfD in den vergangenen Jahren als Friedenspartei etablieren wollen, ebenso der thüringische Landeschef Björn Höcke. Der schrieb noch am Sonntag auf Telegram, wenn jetzt die Wehrpflicht eingeführt werden solle, geschehe das unter „düsteren Vorzeichen“. Es werde nur um die Interessen einer „global vernetzten Politikerkaste“ gehen. Wollte diese wirklich verteidigungsbereite Bürger, ließe sie ihnen Waffen im Privatbesitz. Doch das geschehe nicht. „Sie brauchen Kanonenfutter.“ Manche in der AfD glauben, das Friedenslager lasse erst dann mit sich über eine Wehrpflicht reden, wenn Russlands Krieg in der Ukraine vorbei sei. Doch weiter die Füße still zu halten, ist ebenfalls ein Risiko für die Parteiführung. Die AfD könnte als Weichei-Partei erscheinen.

Den Eindruck will Weidel unbedingt vermeiden. „Die AfD steht hinter der Wehrpflicht und einer Bundeswehr, die ihrem Auftrag der Landesverteidigung vollumfänglich nachkommen kann“, sagte sie der F.A.Z. Versuche, deutsche Soldaten in „fremden Konflikten zu verheizen“, fänden in ihrer Partei jedoch klaren Widerstand. Das deckt sich mit dem, was ihr Parteifreund Lucassen verspricht: „Unser Antrag ist so formuliert, dass deutlich wird, dass Wehrpflichtige nur bei Landesverteidigung und Amtshilfe im Katastrophenfall eingesetzt werden, nicht um in Kriegen überall auf der Welt zu kämpfen.“

Wie viele in der AfD sind wirklich für eine Wehrpflicht?

Manche in der AfD-Fraktion dürfte beunruhigen, dass Lucassen überhaupt einen Antrag in der Schublade hat. Denn würde der im Bundestag eingebracht, hieße das ja, dass die Führung der Fraktion – Weidel und Chrupalla – ihn unterstützt. Ob es so weit kommt, dürfte sich in den nächsten Wochen klären. Lucassen rechnet damit, dass einige Leiter anderer Arbeitskreise seinen Antrag ablehnen – dann läge die Entscheidung beim Fraktionsvorstand. Der müsste abwägen, was dafürspricht, ihn zu bringen.

Aus Sicht von Lucassen: so ziemlich alles. Dabei bringt er ein brisantes Argument: „In unserer Partei steht eine deutliche Mehrheit hinter der Wiedereinsetzung der Wehrpflicht.“ Wie groß ist diese Mehrheit? Das beschäftigt in der Fraktion viele. Denn die AfD will sich ja gerade dadurch von anderen Parteien abheben, dass sie weniger in Hinterzimmern taktiert und mehr auf die Mehrheit hört.

Eigentlich sieht die Sache eindeutig aus. Im Grundsatzprogramm der AfD steht seit 2016, dass die Wehrpflicht zurückkommen soll. Als die Partei Anfang des Jahres zum Parteitag zusammenkam, schrieb sie eine entsprechende Passage auch ins Programm für die Bundestagswahl. Dem vorangegangen war eine parteiinterne Befragung zur Wehrpflicht. Von der hatten die Gegner sich Wasser auf ihre Mühlen erhofft – doch 72 Prozent stimmten für die Wehrpflicht. Zwar beteiligten sich nach F.A.Z.-Informationen nur rund 7500 der mehr als 50.000 Parteimitglieder. Aber die Befürworter der Wehrpflicht finden: Demokratie ist Demokratie, das Ergebnis zählt.

Sie berufen sich außerdem auf eine Forsa-Umfrage aus dem März. Die ergab, dass mehr als die Hälfte der Deutschen die Wehrpflicht wieder einsetzen wollen. Fehlt neben Parteimitgliedern und Deutschen nur noch eine wichtige Gruppe: die Anhänger der AfD. Um ein Bild davon zu bekommen, wie die denken, entschied die Fraktionsführung nach Informationen der F.A.Z. im Frühjahr, eine umfangreiche Befragung beim Umfrageinstitut INSA in Auftrag zu geben. Seitdem sind Wochen verstrichen, eigentlich müsste das Ergebnis da sein. Aus Führungskreisen ist nur zu erfahren, es sei noch nicht veröffentlicht. Über die Gründe mutmaßen andere in der Fraktion: ein knappes Ergebnis oder gerade ein eindeutiges, das keine Ausflüchte mehr zuließe.

Tatsächlich sind nicht nur ostdeutsche AfD-Politiker bei dem Thema skeptisch. Auch Westdeutsche, die eher libertär eingestellt sind, wollen sich vom Staat nicht in die Pflicht nehmen lassen. So eindeutig, wie die Befürworter der Wehrpflicht es sich wünschen, ist die Lage also nicht. Das macht es für Weidel schwierig, zu entscheiden. Ihr Erfolg basiert auch darauf, dass sie kontroverse Themen innerhalb der Partei geschickt wegmoderiert. Doch zuletzt verlor die Partei in Umfragen, während die Union ihren Vorsprung ausbaute. Aus der Fraktion heißt es, man müsse in die Offensive kommen.