Das Saarland macht vor, wie der Umbau der Stahlindustrie gelingen kann

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Der Bau ist genehmigt, der Betrieb ist genehmigt, Anlagen für 2,4 Milliarden Euro bestellt. Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr. „Die Kugel ist aus dem Lauf“, sagt Michael Bott. Der promovierte Physiker leitet als Direktor Dekarbonisierung der Stahl-Holding-Saar den größten Umbau in der saarländischen Industriegeschichte. Und er kann einen wichtigen Meilenstein melden. „Alle Genehmigungen liegen jetzt vor, zum ersten Mal in Deutschland“, sagt er im Gespräch mit der F.A.Z.

Der Konzern habe eine Strategie der offenen Kommunikation gewählt, und die habe sich ausgezahlt – Klagen hätten die Baugenehmigung jedenfalls nicht verzögert. Das Projekt wurde nach seinen Worten von Anfang an mit viel Wohlwollen der Politik und der Bevölkerung begleitet, sonst, sagt er, hätte es viel länger gedauert. „Das geht nur, wenn alle wollen.“ Umweltverbände, Anrainer, Behörden – alle hätte mitgezogen. Der Plan, die Industrie zu dekarbonisieren und zugleich die Arbeitsplätze zu erhalten, habe für eine positive Einstellung gesorgt.

Für das Saarland ist der Umbau der Stahlindustrie ein wichtiger Bestandteil der Transformation. Seitdem entschieden ist, dass Ford die Autoproduktion schließt und aus der Ansiedlung des amerikanischen Chipherstellers Wolf­speed doch nichts wird, wiegt der Umbau der Stahlindustrie noch schwerer. Die Schwesterunternehmen Saarstahl und Dillinger Hütte sind mit zusammen 13.000 Beschäftigten und rund 5 Milliarden Euro Umsatz im internationalen Maßstab klein, für das Saarland aber noch immer der wichtigste industrielle Arbeitgeber.

In ein paar Jahren sollen die alten koksbefeuerten Hochöfen abgeschaltet werden, der Stahl soll stattdessen mit Strom und Gas und im besten Fall mit grünem Wasserstoff produziert werden. Dafür braucht es neben zwei neuen sogenannten Elektrolichtbogenöfen eine Direktreduktionsanlage, in der Eisenerz zu Eisenschwamm reduziert wird, der dann zusammen mit Schrott in den Öfen zu Stahl weiterverarbeitet werden kann. Die Produktionskette ist neu für Deutschland, und sie wird teuer. Allein die drei Anlagen, geliefert von der österreichischen Primetals und der Mönchengladbacher SMS-Group, kosten 2,4 Milliarden Euro. In Summe schätzt der Konzern die Kosten auf 4,6 Milliarden Euro. Neben den Anlagen sollen Milliarden in den Umbau der Gelände fließen, in Umweltschutzmaßnahmen, Lärmschutz, Wasserleitungen, Straßen, eine neue Schrotthalle, Anschlüsse für Wasserstoff, Trafos für Strom, die Erweiterung des Hafens. Finanziert wird das Projekt mit 2,6 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, zwei Drittel stellt der Bund, ein Drittel das ohnehin stark verschuldete Land. Zwei Milliarden muss das Unternehmen selbst beisteuern.

Viel kommuniziert

Schon das Gelände hätte für Gegner genügend Anlass zum Streit geboten. In Dillingen, direkt am Werk, besitzt der Konzern zwar ein unbebautes Grundstück, allerdings einen Wald. Noch dazu liegt das 18 Hektar große Gelände auf dem Gebiet zweier Gemeinden, Saarlouis und Dillingen. Aus diesem Wald galt es ein Industriegebiet zu machen und zudem die Auflagen für das gerade mal 350 Meter entfernte Wohngebiet zu beachten. Von Anfang an war klar, das geht nur im kollaborativen Stil, sagen Bott und der für den Neubau verantwortliche Manager Patrick Naumann. Die Unternehmen hätten deshalb viel Aufwand in die Kommunikation gesteckt, Umweltverbände ebenso regelmäßig informiert wie die Gemeinderäte aus dem guten Dutzend Anrainergemeinden. Zudem wurde jeden Freitag ein Jour fixe festgelegt, mit allen Beteiligten.

Allein für den Bebauungsplan seien zwanzig Gutachten nötig gewesen. Etwa um zu beurteilen, welche Folgen der Bau mit sich bringt – hydrologisch, geologisch und elektromagnetisch – und wie sich die Lichtbelastung verändert. Denkmalfragen kamen hinzu. Im vergangenen Jahr hätten Behörden und der Umweltverband NABU eigens Amphibien umgesiedelt. Wohlwollen allein reiche aber nicht aus. Behörden seien an Vorgaben gebunden, und die gelte es einzuhalten, schließlich müsse die Erlaubnis rechtssicher sein. Zumal die Umweltaufsicht in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – wo Salzgitter und Thyssen ähnliche Projekte planen – das Pionierverfahren genau im Blick behalte.

Eine Herausforderung, sagt Bott, sei der erwartete Lärm gewesen. Um die Belastung so gering wie möglich zu halten, muss der Konzern den 145 Meter hohen Turm der Direktreduktionsanlage einpacken und schalldämmen. Weil der Wasserstoff heiß werden kann, seien die Brandschutzauflagen erhöht worden. Unmittelbar am Gelände fließt der kleine Fluss Prim, den hätte man für den Wasserbedarf zwar nutzen können. Weil das der Gewässerschutz abgelehnt habe, baue der Konzern nun aber eine 3,5 Kilometer lange Leitung an die Saar.

In Texas oder im Mittleren Osten wäre das alles nicht nötig gewesen, sagt Bott. Nach seiner Schätzung hätte der Konzern dann zwischen 500 Millionen und eine Milliarde Euro gespart. Die saarländische Stahlindustrie stehe zu den Auflagen ohne Wenn und Aber, aber es müsse eben auch klar sein, dass das Geld koste. Wegzug ist ohnehin keine Option: Beide Stahlkocher gehören der landesnahen Montan-Stiftung-Saar. Deren Aufgabe ist es, die Industriearbeitsplätze an der Saar zu halten.

Waffengleichheit gefordert

Vorstandschef Stefan Rauber trommelt seit Monaten öffentlich für Waffengleichheit, fordert eine Sanktion von Billigstahl aus Ländern, die ohne diese Auflagen auskommen. Nach seinen Worten braucht es Antidumpingzölle der EU und grüne Leitmärkte: also Bereiche, in denen klimaneutraler Stahl, wenngleich teurer, vorgeschrieben wird – etwa beim Bau von Brücken oder Bahntrassen. Wiederholt kritisierte er deshalb die Bahn. Saarstahl produziert schon seit einiger Zeit in einem Elektrostahlwerk in Lothringen „grüne“ Schienen. Sie würden in ganz Europa verkauft, nur an die bundeseigene Bahn nicht. Dort zähle nach wie vor nur der Preis.

Nach Einschätzung von Projektleiter Bott gibt es zum Umbau keine echte Alternative. Die beiden Hochöfen stoßen nach seinen Worten acht Millionen Tonnen CO2 jedes Jahr aus. Steigende Kosten für Treibhausgas-Zertifikate würden die Produktion um jährlich 600 bis 800 Millionen Euro verteuern. „Das würden wir nicht überleben.“ Immerhin: Bis Wasserstoff in ausreichender Menge und zu wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden ist, können die Unternehmen die neuen Anlagen mit Gas betreiben, auch das spart nach früheren Angaben größere Mengen an CO2 ein.

Im Jahr 2028 soll der erste Elektroofen in Völklingen in Betrieb gehen, anderthalb Jahre später der in Dillingen. 2030 dann werde der erste Hochofen abgeschaltet. Das ist jedenfalls der Plan. An den Genehmigungen wird er nicht mehr scheitern.