Iran sollte nie eine Atombombe besitzen, daran kann kein Zweifel bestehen. Und der Nahe und Mittlere Osten wäre gewiss besser dran ohne das revolutionäre schiitische Regime, das seit 1979 in Teheran herrscht. Diese Gedanken dürften für viele der Äußerungen leitend gewesen sein, die in den vergangenen Tagen von westlichen Akteuren kamen. Aber internationale Politik, zumal in Kriegszeiten, ist kompliziert.
Ein Regimewechsel?
Die israelische Begründung für den Angriff ist nachvollziehbar, solange es um das Grundsätzliche geht: Iran bedroht die Sicherheit Israels. Die konkreten Ausführungen, die aus Jerusalem und Tel Aviv kommen, wirkten allerdings nicht überzeugend und zusammengestückelt. So hieß es, ein Angriff Irans habe unmittelbar bevorgestanden, und Iran habe derzeit ein geheimes Atombombenprogramm betrieben. Ausschließen lässt sich das nicht, aber die amerikanischen Geheimdienste kamen noch im März zum gegenteiligen Schluss. Eine Selbstverteidigung „in letzter Minute“ erscheint jedenfalls zweifelhaft.
Inzwischen droht Israel offen damit, einen Regimewechsel in der Islamischen Republik herbeizuführen. Man muss Iran nicht mögen, um das besorgniserregend zu finden. Das Abdanken des islamistisch-militärischen Komplexes rund um die Ajatollahs und die Revolutionsgarde wäre, wie gesagt, im Grunde zwar wünschenswert. Vielen Iranern ist das Regime verhasst. Israels Angriffe führen indessen möglicherweise zu einem Schulterschluss zwischen der Bevölkerung und den Machthabern. Auch im Gazastreifen ist das zu beobachten, sofern man das von außen beurteilen kann.
Das liegt daran, dass Israel den wenigsten als vertrauenswürdiger Akteur gilt. Nach dem beispiellosen Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angekündigt, man werde die Region neu ordnen. Das wiederholt er seither regelmäßig, wenn Israel gegen einen Gegner Erfolge errungen hat. „Wir verändern das Gesicht des Mittleren Ostens“, sagte Netanjahu am Montag.
Aber wie sieht dieses neue Gesicht der Region aus, unter militärischer Dominanz Israels? Westliche Partner des Landes wie die deutsche Regierung glauben gern den Beteuerungen israelischer Diplomaten und Militärs, die von Sicherheitsrisiken und Terrorgefahren sprechen, gegen die man vorgehen müsse. Auch das ist einerseits richtig. Das Militär erhält seine Befehle allerdings von der Regierung, und die wird seit Jahren von Falken und zunehmend auch von jüdisch-messianischen Ideologen dominiert. Sicherheitspolitische und ideologische Motive und Ziele vermischen sich dadurch immer stärker.
Beispiel Libanon
Ein Beispiel ist Libanon: Israel zog seine Truppen gemäß der Vereinbarung vom Dezember aus dem Süden des Landes zurück – besetzt aber einseitig weiter fünf Außenposten. Die Regierung führte dafür Sicherheitsgründe an – ließ dann aber zu, dass Hunderte ultraorthodoxe Juden in gecharterten Bussen zu einem der Außenposten fuhren, um dort am Grab eines Rabbiners zu beten.
Ein anderes Beispiel ist der Gazastreifen, wo der Kampf gegen die Hamas immer stärker überlagert wird von den Bestrebungen der Siedlerfraktion in der Regierung, die Palästinenser zu vertreiben. Im Grunde ist das nichts Neues: Schon nach dem Sieg im Sechstagekrieg 1967 – ein weiterer Krieg, den Israel laut eigenen Angaben zur Abwehr eines bevorstehenden Angriffs begann – hieß es, man dürfe die eroberten Gebiete aus Sicherheitsgründen nicht hergeben. In der Praxis begann schon bald eine ideologisch motivierte Besiedelung dieser Gebiete.
Das heißt nicht, dass Iran eine blühende Zukunft verheißen wäre, sollte der Krieg zu Khameneis Ende führen. In Syrien mischt Israel sich seit dem Sturz des Assad-Regimes auf undurchschaubare Weise ein. Im Süden besetzt es Gebiete und sucht eine Bevölkerungsgruppe – die Drusen – anscheinend in eine Art Klientelverhältnis zu bringen. Dabei sollte ein stabiles Syrien, das nicht von der Türkei dominiert wird und Israel nicht feindlich gesinnt ist, im Interesse Jerusalems sein.
Der neue Machthaber Ahmed al-Scharaa hat ungeachtet seiner Vergangenheit als Dschihadist entsprechende Signale ausgesandt. Bislang scheint es so, als sei Israel eher daran gelegen, dass der Nachbar schwach und fragmentiert ist.
Wenn der neue Nahe und Mittlere Osten so aussieht, würde dadurch keine langfristige Stabilität geschaffen – weder für Israel noch für seine Nachbarn.