Warum China in afrikanische Eisenbahnen investiert

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Auf Besucher ist der Wachmann nicht vorbereitet. Ohne Genehmigung kein Zugang, sagt der Sambier, der wie aus dem Nichts hinter dem hohen Zugangstor zum Gedenkpark der Tanzania-Zambia-Railway Authority (Tazara) im sambischen Chongwe auftaucht. Die Genehmigung stelle nur die chinesische Botschaft oder die Vertretung eines chine­sischen Staatskonzerns aus, fügt er hinzu und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist.

Bahnstrecken in Afrika waren einst die Domäne der Kolonialmächte, vor allem der Briten. Cecil John Rhodes, der Mann, dessen Statuen südafrikanische Studenten vor einigen Jahren stürzten, hatte den Traum einer „Cape to Cairo“-Bahnverbindung, von der Südspitze bis zum Norden des Kontinents. Heute sind Eisenbahnen ein Rückgrat chinesischer Investitionen in Afrika. Sie verbinden stra­te­gisch wichtige Gebiete, aber sind auch teuer. In Peking ist das Geld inzwischen knapp, und zugleich stecken afrikanische Länder wie Sambia in der Schuldenkrise. Weil es aber um wichtige Rohstoffe und die Konkurrenz mit dem Westen geht, bleibt China im Geschäft. Das zeigt sich auch an der Tazara.

Die Verbindung, an deren Bau der Gedenkpark erinnert, gibt es heute noch. Es ist eine 1860 Kilometer lange Bahnstrecke von Kapiri Mposhi mitten im kupferreichen Sambia bis Daressalam in Tan­sania am Indischen Ozean. Mit dem ersten Spatenstich 1970 wollten die gerade unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten und China ein Zeichen setzen. Die Strecke, die auch „Freedom Railway“ genannt wurde, sollte Freiheit und Un­abhängigkeit von den Kolonialmächten symbolisieren. Tatsächlich ging es darum, Sambia unabhängig zu machen von seinen Nachbarländern Rhodesien – das heutige Simbabwe – und Südafrika, die zu jener Zeit noch von weißen Minderheitsregierungen geführt wurden. Sie hatten in den Sechzigerjahren immer wieder den Transport sambischer Rohstoffe durch ih­re Territorien zu südafrikanischen Häfen sabotiert.

Scharen chinesischer Arbeiter

In Chongwe erkennt man in der Ferne hinter dem Zugangstor zur Gedenkstätte einen schwarzen Obelisken. Auf dem Po­dest steht in chinesischen Schriftzeichen und auf Englisch: „Eiserner Wille“. China, das in der Zeit unter Mao Zedong selbst noch ein Entwicklungsland war, gewährte über Jahre hinweg zinsfreie Kredite und Zuschüsse für die Bahnstrecke. Scharen chinesischer Arbeiter wurden auf den Kontinent geschafft, um gemeinsam mit Afrikanern das gigantische Vorhaben zu verwirklichen. Viele kamen dabei ums Leben. Ihnen ist der Gedenkpark gewidmet.

Tazara-Gedenkstätte in Chongwe
Tazara-Gedenkstätte in ChongweClaudia Bröll

Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob China das Interesse an der Tazara verloren hätte. Aus chinesischen Schulbüchern ist die historisch bedeutende Bahnstrecke bereits verschwunden. Und im chinesischen Eisenbahnmuseum in Peking haben sie den ihr gewidmeten Ausstellungsort mittlerweile abgeschafft, wie eine Mitarbeiterin erzählt. Die Tazara selbst ist in die Jahre gekommen. Es gibt zu wenig funktionierende Züge und Lokomotiven, die In­frastruktur bröckelt. Minenkonzerne, die in Kongo oder Sambia die Rohstoffe abbauen, transportieren diese lieber über die Straßen zu Häfen in Durban, Richards Bay oder Walvis Bay als über die Schiene nach Daressalam. Als öffentliches Unternehmen hat die Tazara Schulden im dreistelligen Millionenbereich angehäuft.

Aufgeben wollen Sambia und Tansania die Eisenbahn – ein wichtiges Transportmittel für die lokale Bevölkerung – nicht. Seit Jahren verhandeln beide Regierungen mit chinesischen Investoren über die Übernahme der Schulden und eine Erneuerung der Bahnstrecke, wobei der Versuch einer Privatisierung 2016 am Widerstand des mittlerweile verstorbenen tan­sanischen Präsidenten John Magufuli scheiterte. Seine Nachfolgerin Samia Suluhu Hassan scheint in dieser Hinsicht aufgeschlossener zu sein. Auch ihr sambischer Amtskollege Hakainde Hichilema treibt die Suche nach einer Lösung für die Tazara voran, nicht zuletzt wegen Sambias hoher Staatsverschuldung.

Eine „neue Ära“ für die Tazara

Auf dem „Forum für China-Afrika-Kooperation“ im September vergangenen Jahres in Peking war es dann so weit. Sambia, Tansania und China unterzeichneten eine Absichtserklärung für den weiteren Be­trieb, einschließlich einer „dringend be­nötigten Erneuerung der Infrastruktur und der Züge“. Sechs Monate später folgte die Bekanntgabe einer Investition der China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC) in einer Höhe von 1,4 Milliarden Dollar für Gleise, 32 Lokomotiven, mehr als 700 Waggons und die übrige Infrastruktur. Der chinesische Staatskonzern erhält eine Konzession für dreißig Jahre, um sich um die Erneuerung, Instandhaltung und den Betrieb zu kümmern. Von einer Partnerschaft mit der Privatwirtschaft und einer „neuen Ära“ für die Tazara war die Rede.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Tim Zajontz, Forscher an der Universität Freiburg, verfolgt aus der Ferne jede Etappe der Verhandlungen. Aus seiner Sicht bestätigen sie das fortbestehende Interesse Chinas an Afrika und seinen Bahnstrecken. Allerdings seien die Zeiten von Infrastrukturprojekten als Entwicklungshilfe vorbei, ebenso die Zeiten, in denen China nach dem Gießkannenprinzip Kredite für Großprojekte wie Stadien, Straßen oder Eisenbahnstrecken vergab. Chinas neue Devise lautet eher „klein und schön“ oder „grün und smart“. Letzteres ist oft auf Werbeplakaten in afrikanischen Flughäfen zu lesen, die den Bau neuer Siedlungen anpreisen.

Ein chinesischer Kollege an der Cornell-Universität in New York sieht es ähnlich wie Zajontz. „Die Banken in China müssen sich um ihre Bücher kümmern und haben mittlerweile erkannt, dass auch für politisch vergebene Kredite in Afrika ihnen niemand aus der Patsche mit den Schulden hilft“, sagt Huang Yufan, der zu chinesischen Entwicklungskrediten forscht. China ist mittlerweile der größte bilaterale Gläubiger in Entwicklungsländern. Mit zahlungsunfähigen Staaten wie Sambia mussten lange Verhandlungen zur Umschuldung geführt werden.

Die Banken stecken in einem Dilemma

Huang sagt, er höre in Gesprächen mit chinesischen Beteiligten, dass sie angesichts der Verschuldung eigentlich keine Projekte mehr in Ländern wie Kenia oder Sambia durchführen wollen. „Gleichzeitig aber dominiert die Politik, und chinesische Banken gehören dem Staat – wenn die oberste Führung es wirklich will, kann sie Banken drängen, Kredite zu zahlen.“ Die Banken steckten in einem Dilemma, sagt Huang: „Wenn man Präsident der Chinesischen Entwicklungsbank oder der staatlichen Export-Import-Bank ist, steht man unter Druck, man ist Parteimitglied, man will gute Ergebnisse für die ‚Neue Seidenstraße‘ liefern. Aber sie müssen sich auch um ihre Bücher kümmern.“

Das Dilemma zeigt sich aktuell in Kenia. Von 2014 an vergab China günstige Kredite für den Bau einer Eisenbahn­strecke von der Hafenstadt Mombasa über die Hauptstadt Nairobi ins benachbarte Uganda. Ziel war die Anbindung an die Demokratische Republik Kongo: Kupfer, Kobalt und Seltene Erden aus den dortigen Minen sollten mit dem Zug zum Hafen von Mombasa gebracht und von dort aus nach China verschifft werden. Kenias damaliger Präsident Uhuru Kenyatta wollte das Projekt unbedingt zu seiner Wiederwahl 2017 fertig haben, doch bisher endet die Strecke im Nirgendwo westlich von Nairobi. Im April erst war Kenias heutiger Präsident William Ruto in Peking, um für den Weiterbau der Bahn bis nach Uganda zu werben. Kostenpunkt: viereinhalb Milliarden Dollar. Das würde Kenias Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben. Und China, das in einem Wirtschaftsabschwung steckt, hat inzwischen eigentlich andere Prioritäten.

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Aber es geht eben auch um Geopolitik. Anders als sein Vorgänger trat Präsident Ruto bis zuletzt als enger Verbündeter der USA auf. Die Unsicherheit, die Donald Trump auch über Afrika bringt, zwingt Ruto nun aber dazu, sich alle Optionen zu erhalten – weshalb er sich den Chinesen gegenüber in jüngster Zeit wieder offen gibt. Diese Gelegenheit scheint Peking sich nicht entgehen lassen zu wollen. Es gibt Berichte, dass China den Ausbau der bislang unrentablen Strecke unterstützen will. Die Rede ist von neuen Krediten, einer Beteiligung der kenianischen Regierung und Investitionen chinesischer Un­ternehmen.

China ist in Afrika wohlgelitten

Ob die direkte Verbindung von den Minen Kongos zu den Häfen Chinas je entstehen wird, halten Fachleute angesichts der exorbitanten Kosten für fraglich. Zumindest auf afrikanischer Seite ist das Interesse an solchen Bahnprojekten aber ungebrochen. Die aus Kolonialzeiten stammenden Strecken dienten nur dazu, Rohstoffe von den Minen zu den Häfen für den Export zu transportieren, sagt Cobus van Staden, China-Afrika-Experte an der Universität Stellenbosch. „Jetzt dringen afrikanische Regierungen auch auf Streckennetze, um die eigene wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben.“

Im Gegensatz zur Wahrnehmung in westlichen Staaten sei China in Afrika weiterhin wohlgelitten, zumal sonst kaum Geber zu finden seien, „die darauf brennen, Eisenbahnstrecken kreuz und quer durch den Kontinent zu bauen“, sagt van Staden. Multilaterale Organisationen wie die Weltbank seien von der Finanzierung großer Infrastrukturvorhaben zu Pro­jekten etwa im Gesundheits- oder Bildungsbereich umgeschwenkt. Das sei nötig, komme der breiten Bevölkerung zugute, doch die Projekte seien häufig komplex, mit vielen Bedingungen versehen, und Erfolge zeigten sich vor allem langfristig.

Afrikanische Staatslenker haben indes oft andere Interessen: weithin sichtbare moderne Bauten, die Fortschritt und Selbstbewusstsein symbolisieren und möglichst innerhalb einer Amtszeit aus dem Boden gestampft werden – so wie Präsident Kenyatta die Eisenbahn zur Wahl in Kenia vorzeigen wollte. Die schnelle Verwirklichung von Projekten ist aus Sicht von Cobus van Staden ein wichtiger Grund, weshalb China auch von demokratisch gewählten Regierungen umworben wird.

Reibungslos laufen die Projekte freilich in vielen Fällen nicht. Das gilt auch für die Eisenbahnverbindung von Äthiopien nach Djibouti, jenem strategisch günstig am Roten Meer gelegenen Staat, wo China einen Hafen betreibt und knapp tausend Soldaten stationiert hat. Der chinesische Generalunternehmer hatte auf der vollständigen Elektrifizierung der Linie bestanden. Als die Strecke fertig war, stellte man allerdings fest, dass der Strom nicht ausreichte und es häufig Blackouts gab. Dass die chinesische Export-Import-Bank dem Deal zugestimmt hatte, liegt laut Huang Yufan von der Cornell-Universität auch daran: Die Banken hätten vor Ort kaum eigene Experten für Sorgfaltsprüfungen.

Zur Finanzierung der Kredite für solche Projekte konnte China lange Zeit auf seine Devisenreserven zurückgreifen, die es durch sein exportorientiertes Wirtschaftsmodell anhäufte. Staatsunternehmen aus dem Bausektor wiederum finden in Afrika eine Gelegenheit, Überkapazitäten zu verbauen, weil in China selbst wegen der Immobilienkrise nicht mehr so viel gebaut wird. Bei der Äthiopien-Djibouti-Bahn kam hinzu: Da sie von der obersten Führung in Peking zu einem Flaggschiff der Seidenstraßen-Initiative erkoren wurde, konnten die Auftragnehmer davon ausgehen, dass so ein Projekt nicht scheitert, ganz gleich wie einträglich es ist.

Chinesische Zugbegleiterinnnen vor der Jungfernfahrt auf der Linie Addis Abeba-Djibouti
Chinesische Zugbegleiterinnnen vor der Jungfernfahrt auf der Linie Addis Abeba-Djiboutipicture alliance / Photoshot

Heute ist die Lage eine andere. „China blickt stärker als in der Vergangenheit auf die ökonomische Tragfähigkeit eines Projekts“, sagt Zajontz von der Universität Freiburg. Zur Modernisierung der Tazara in Sambia und Tansania beispielsweise würden chinesische Bergbaukonzerne, die von der Bahnstrecke profitieren, Kapital beisteuern. Das soll einen zusätzlichen An­reiz liefern, den Rohstofftransport von der Straße auf die Schiene zu verlagern.

Doch China hat Konkurrenz. Der geplante „Lobito-Korridor“ zeigt, dass auch der Westen großes Interesse an Afrikas Rohstoffen und Bahnstrecken hat. Was die Chinesen vom Osten Afrikas her aufbauen, versuchen die USA und Europa von Westen her. 1700 Kilometer soll der nach dem angolanischen Hafen Lobito benannte Korridor lang sein. Er erstreckt sich von dort bis Sambia und über eine Abzweigung bis Kongo. Die Milliarden­investitionen sollen nicht nur in die Bahnstrecken fließen, sondern auch in Projekte entlang des Korridors, die der lokalen Wirtschaft zugute kommen, in erneuerbare Energien und nachhaltige Landwirtschaft zum Beispiel.

Noch ist unklar, ob die Trump-Regierung das noch unter Joe Biden auf den Weg gebrachte Projekt in der bisher geplanten Form unterstützt. Doch es scheint unwahrscheinlich, dass Trump tatenlos China den Vortritt lässt. Wie auch China im Zweifel eher neues Geld verspricht, als in diesem Wettlauf der Großmächte zurückzufallen.