Wir sind alle Afrikaner. Dieser Befund ist keine 40 Jahre alt. Noch bis zur Jahrtausendwende war die These, die Spezies Homo sapiens sei auf dem afrikanischen Kontinent entstanden, heftig umstritten. Doch immer präzisere Funddatierungen und genetische Informationen aus fossilem Knochen haben von der konkurrierenden Hypothese einer multiregionalen Abkunft der modernen Weltbevölkerung von älteren, archaischen Formen des Genus Homo an verschiedenen Orten der Erde wenig übrig gelassen. Alle heutigen Menschen stammen ganz überwiegend von Leuten ab, die vor 50.000 Jahren Afrika verließen.
Doch Homo sapiens war schon lange davor aus Afrika hinausgezogen. So gibt es Hinweise auf seine Anwesenheit in Griechenland vor mehr als 200.000 Jahren, in China vor mehr als 80.000 und sogar in Australien vor rund 65.000 Jahren. Allerdings waren diese frühen Migrationswellen in einem gewissen Sinne nicht nachhaltig: Sie hinterließen keine nachweisbaren Spuren im Genom der heutigen Menschen.
Warum nicht? Oder anders gefragt: Warum klappte die Eroberung der Welt und die vollständige Verdrängung aller anderen Homininenformen – etwa des Neandertalers in Europa – dann am Ende doch? Was machte den Auszug vor 50.000 Jahren so besonders? Bisherige Erklärungen postulierten werkzeugtechnische Innovationen oder die Ausbildung eines fitteren Immunsystems nach der Vermischung mit außerafrikanischen Homininen. Doch für ersteres gibt es keine Indizien und zu letzterem muss auch in früher ausgewanderten Populationen gekommen sein, ohne dass es sie schließlich vor dem Verschwinden rettete.
Eroberung neuer Nischen in Afrika
Eine Gruppe um die maltesische Archäologin Eleanor Scerri, Leiterin der Forschungsgruppe für Paläosysteme am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena, sowie des Evolutionsbiologen Andrea Manica von der Universität Cambridge hat nun in Nature neue Ergebnisse veröffentlicht, die diese Frage beantworten helfen.
Die Forscher kompilierten dazu eine Datenbank hinreichend genau datierter archäologischer Daten aus ganz Afrika während der jüngsten beiden Eiszeiten, zwischen 120.000 und 14.000 Jahren vor heute. Dies kombinierten sie mit Informationen aus Klimasimulationen, welche Aufschluss über die Entwicklung der verschiedenen ökologischen Nischen in diesem Zeitraum geben. Das erlaubte ihnen nachzuverfolgen, wann Menschen in Afrika welche Nischen besetzten und darin überleben konnten.
„Ökologen haben erst vor rund 25 Jahre begonnen solche korrelativen Methoden zur Modellierung von Nischen zu nutzen“, schreibt der Paläohistoriker William Banks vom Centre National de la Recherche Scientifique in Bordeaux in einem begleitenden Kommentar in Nature und nennt die Arbeit des Teams um Scerri und Manica ein Beispiel dafür, wie leistungsfähig solche interdisziplinären Ansätze in der Archäologie und Anthropologie sein können.

Tatsächlich konnten die Autoren damit nachweisen, dass das von Menschen besetzte Nischenspektrum sich vor etwa 70.000 Jahren deutlich auszuweiten begann und dieser Vorgang bald eine Dynamik entfaltete, die vor 50.000 Jahren ihren Höhepunkt erreichte – gerade um die Zeit des folgenreichen Auszugs aus Afrika.
Das hat den erfolgreichen Exodus offenbar entscheidend vorbereitet, schließen die Forscher aus ihrer Analyse. „Diese vermehrte Fähigkeit, sich neuen Habitaten anzupassen, von äquatorialen Wäldern bis zu Trockenwüsten, dürfte den menschlichen Populationen die nötige ökologische Flexibilität gegeben haben, um mit den neuen Umweltbedingungen fertig zu werden, denen sie im Verlauf der Expansion aus Afrika begegneten“, schreiben sie. „Das erlaubte ihnen dann den Erfolg, der früheren Migrationswellen versagt geblieben war“.
Ohne Nebeneffekte war diese neue Anpassungsfähigkeit indes nicht, wie die Forscher in ihrer Arbeit erwähnen. „Eine zweite Expansion ist dann von etwa 29.000 Jahren an zu beobachten“, schreiben Scerri und Kollegen. Dann, am Beginn der jüngsten Eiszeit, hätten Menschen sämtliche Regionen und Ökosysteme Afrikas besetzt und an deren Ende eine Reihe neuer Verhaltensweisen an den Tag gelegt. „Darunter teilweise Sesshaftigkeit, Hinweise auf dauerhafte soziale Netzwerke über weite Strecken hinweg und wachsende interterritoriale und interpersonale Gewalt“.
Wenig später sind die Nachfahren der Auswanderer dann bereits in der neuen Welt nachweisbar, wie eine andere in dieser Woche erschienene Studie nun abschließend gezeigt hat. Vor vier Jahren hatte ein Team um den britischen Geographen Matthew Bennett einen sensationellen Fund veröffentlicht: In Science berichteten sie über die Entdeckung menschlicher Fußspuren im versteinerten Ufersand eines ehemaligen Sees im White Sands National Park im amerikanischen Bundesstaat New Mexico.
Das Sensationelle daran: ihrer Datierungen zufolge waren die Fußabdrücke zwischen 21.000 und 23.000 Jahre alt. Sie stammen damit aus der Zeit, an der die jüngste Eiszeit ihren Höhepunkt erreicht hatte. Bis dahin stand in allen Schul- und Lehrbüchern, die ersten Menschen hätten aufgrund der eiszeitlichen Vergletscherungen erst später nach Nordamerika einwandern können. Die frühesten gut dokumentierten Jäger-und-Sammler, die Angehörigen der sogenannten Clovis-Kultur, traten denn auch erst vor etwa 13.000 Jahren auf.
Dies ist nun endgültig überholt. In Science Advances hat ein Team unter der Leitung von Vance Holliday von der University of Arizona ganz ohne Beteiligung des Bennett-Teams, mit neuen stratigraphischen Daten und der Radiocarbon-Analyse von 26 weiteren Proben in zwei verschiedenen Laboren das Alter jenes versteinerten Seeufers in New Mexico noch einmal unabhängig bestimmt. Es ist demnach definitiv zwischen 23.600 und 17.000 Jahre alt. So sicher wie man sich in der Naturwissenschaft überhaupt sein kann waren damals also schon Menschen in Amerika. Keine Dreißigtausend Jahre nach dem Aufbruch ihrer Vorfahren aus Afrika.